Fortsetzung Averescu
Entscheidend für seine Karriere wurde das Jahr 1907. Im Norden der Moldau begannen Bauernunruhen, die sich gegen die Zwischenpächter der riesigen Bojarenlatifundien richteten. Diese Aufstände breiteten sich wie ein Feuer nach Süden aus, wo die Pächter meist Bulgaren, Griechen oder auch Rumänen waren, und zeigte ein wachsendes Potential an Gewalt. Schließlich bot die konservative Regierung die Armee auf, um die umherziehenden Bauernheere aufzuhalten, als auch Bukarest bedroht wurde. Aber vielfach weigerten sich die Bauernsöhne in der Armee auf die Auständischen zu schießen. Nun übernahmen die Liberalen unter Dimitrie Sturdza die Regierung. Zur großen Überraschung aller wurde der einer größeren Öffentlichkeit unbekannte Brigadekommandant Averescu zum Kriegsminister ernannt. Und dieser begann zielstrebig die militärische Niederschlagung des Aufstands anzugehen: Er verlangte vom König die Ausrufung des Notstands und die Generalmobilmachung, die den Einsatz von Artillerie ermöglichte. Danach ging die Armee ohne Rücksicht vor, wobei es zu in ihrer Verantwortlichkeit umstrittenen Exzessen kam. Die Schätzungen der Opferzahlen des Aufstands reichen von 470 bis 11000. Damit war der General Averescu als "Retter der Nation" endgültig in der Sphäre der hohen Militärs und der Politik angekommen – ein zweideutiger Ruhm, der dem Ruf des "Schlächters" diametral entgegen stand. Zudem gereichte dem Aufsteiger im politischen Spiel das öffentliche große Lob zum Nachteil und er wurde 1909 durch eine Intrige zum Rücktritt gezwungen. Otu bewertet Averescus Vorgehen bei der historisch folgenreichen răscoala als "schnell" und "standhaft".
1913, im Balkankrieg, führte Averescu bereits als Generalstabschef die rumänischen Streitkräfte zusammen mit dem Thronfolger Prinz Ferdinand in der auf wenig Widerstand stoßenden Kampagne in Bulgarien. Reibereien zwischen diesen beiden Militärs setzten sich auch zwischen den anderen Generälen und Averescu fort. Obwohl Averescu nach dem Sieg über Bulgarien als eigentlicher Architekt der Eroberung von Territorien in der Dobrudscha und südlich der Donau galt, musste er aus politischen Rücksichten auf die wieder an die Regierung gelangten Liberalen die Funktion des Generalstabschefs abgeben und wurde Chef des 1. Armeekorps in Craiova.
Aus dieser Position konnte er den ausgebrochenen 1. Weltkrieg beobachten und in seinen militärischen und politischen Aspekten publizistisch kommentieren. Für Rumänien hielt er bei Abwägung aller Argumente nur eine Beteiligung auf Seiten der Entente (F, GB, RU) für adäquat. Zugleich kritisierte er den Reformstau der vernachlässigten Armee. Nach Ausbruch des Krieges waren Ausrüstungsgegenstände auf den internationalen Märkten kaum noch erhältlich, um die vergrößerte Armee mit Material zu versorgen. Enttäuschend für Averescu wurde er 1916 nach Eintritt Rumäniens in den Krieg nur mit der Führung des 2. Armeekorps betraut, ohne in die größeren strategischen Planungen eingebunden worden zu sein. Auch ein Besuch bei dem ihm wohl bekannten König Ferdinand und dem liberalen Premierminister I.C. Brătianu konnte daran nichts ändern. Die 2. Armee hatte zentrale Positionen in den Karpaten, um diese zu überschreiten und Siebenbürgen zu erobern. Während hier erste Erfolge für Rumänien erreicht wurden, bereitete bereits nach wenigen Kriegstagen der Verlust des Brückenkopfes von Turtucaia südlich der Donau eine Einstimmung auf die entscheidenden Niederlagen der rumänischen Armee vor. Otu gibt die Hauptschuld für das Versagen der Armee der Regierung Brătianu und dem ihr verbundenen Chef des Generalstabs Dumitru Iliescu. Die folgenden Umstell-ungen führten Averescu wieder in die Spitzen der Armee, zusammen mit dem General Constantin Prezan. Beide entwickelten allerdings unterschiedliche Strategien für das weitere Vorgehen: Prezan bevorzugte die Fortführung der Dynamik im Norden der Front (Bukowina, Karpaten), während Averescu ein völlig neues Konzept der Defensive im Norden und einer Offensive im Süden vertrat. Otu lässt erkennen, dass dieses nur in Friedenszeiten mit langer Vorbereitungszeit hätte funktionieren können. In der Kompromisslösung übernahm Averescu den Oberbefehl über die Südarmee und führte einen bald abgebrochenen Angriff bei Flămânda; danach befehligte der General wieder die 2. Armee, die die Angriffe der Mittelmächte in Siebenbürgen abwehren sollte. Zudem war mit dieser Stellung der Oberbefehl über die neue Nordarmee verbunden, was Averescu zum Vorgesetzten von General Prezan machte. In der komplexen Befehlslage zwischen König, Großem Hauptquartier, Generalstab und Generälen gelang Averescu immerhin, den Übergang der Mittelmächte unter von Falkenhayn über den Predeal vorerst zu verhindern, während im Süden von den deutschen Truppen bereits die Karpaten überschritten und die Kleine Walachei besetzt wurde.
Im Kontext der mit Hilfe einer französischen Militärmission unter General Berthelot neu organisierten Armee sollte Averescu den ihn in die Geschichtsbücher katapultierenden Sieg von Mărăști erringen. Hatte der Stellungskrieg am Karpatenrand der südlichen Moldau im Oituz- und Trotuș-Tal keinen Durchmarsch der deutschen Truppen erlaubt, so gelang es Averescu mit den russischen Alliierten den Mittelmächten im Juli 1917 im Oituz-Tal bei Mărăști eine erste Niederlage beizubringen. Zusammen mit dem folgenden Sieg der Generäle Constantin Christescu und Eremia Grigorescu bei Mărășești sollte für den Rest des Krieges zumindest die Moldau als einzig verbliebenes freies rumänisches Territorium erhalten bleiben und damit die Staatlichkeit des kleinen Hohenzollern-Königreichs. "Averescu konnte sich als Stratege und großer Heeresführer endgültig durchsetzen, seine Popularität stieg beinah ins Unermessliche." (175) Bei den wenige Monate später wegen der revolutionären Vorgänge in Russland begonnenen Verhandlungen mit den Mittelmächten über einen Waffenstillstand hielt sich Averescu zurück, befürwortete diese aber. Das Abkommen wurde am 7. Dezember 1917 in Focșani geschlossen. In der folgenden Periode vor einem Friedensschluss erreichte Averescu zum ersten Mal eines seiner persönlichen Ziele neben der Militärkarriere: Der General wurde in die politische Dynamik einbezogen und als Premierminister vorgeschlagen, ein Amt, das er am 5.2. 1918 übernahm. Die liberale Vorgängerregierung unter Brătianu, die seit 1914 im Alleingang mit dem neuen König Ferdinand I. die Neutralität und dann den Kriegseintritt 1916 beschlossen hatte, mochte mit den folgenden unangenehmen Verhandlungen und der demütigenden Kapitulation nicht in Verbindung gebracht werden, so dass selbst die Machtabgabe an Averescu noch in Brătianus Kalkül passte. Averescu führte Vorverhandlungen mit seinem Bekannten aus Berlin, von Mackensen, und hatte es im Frühjahr 1918 zudem auch mit der Unabhängigkeit Bessarabiens von der ebenfalls kurzzeitig unabhängigen Ukraine zu tun sowie der Präsenz von russischen Revolutionstruppen in der Region, die nach Odessa evakuierte rumänische Politiker nicht zurückkehren ließen. In diesen beiden miteinander verwobenen Problemen war Averescus russischer Gegenspieler der gebürtige Bulgare Cristian Rakovski, der lange in der sozialistischen Bewegung Rumäniens aktiv gewesen war. Otu schildert detailliert die komplexen Dynamiken, mit denen es die rumänische Politik in diesen Wochen der Friedensverhandlungen und der veränderten Kriegsperspektive in Russland zu tun hatte. Am 18. März 1918 endete bereits die Regierungszeit Averescus, sein Nachfolger wurde Alexandru Marghiloman, der den Friedensvertrag von Buftea unterzeichnen sollte.
Dieser Ausflug in die Politik eröffnete trotz seiner ernüchternden Ergebnisse das neue Betätigungsfeld des Generals. Averescu machte sich zielstrebig an die Gründung einer neuen Partei, „Volksliga“, die mit der sichtbar gewordenen Rückständigkeit und den offensichtlichen Fehlern und dem Versagen der politischen Klasse, die zur Kriegsniederlage führten, abrechnen sollte. Die Popularität des Generals hatte einen weiteren Höhepunkt erreicht – obwohl der Sieger von Mărăști wegen seiner Rivalität mit dem König und den Liberalen nicht einmal zum glanzvollen Einzug in Bukarest mit der Königin, Berthelot und den anderen Generälen am 1. Dezember 1918 eingeladen wurde. Seine Partei propagierte eine Verfassungsreform und die Verteilung von Land an die Bauern, was seit Jahrzehnten ein zentrales Thema der politischen Auseinandersetzung in Rumänien gebildet hatte. Entsprechend genoss Averescu gerade auf dem Land eine abgöttische Verehrung, die allerdings zunächst nicht zum Tragen kam, da der General sich 1919 für einen Wahlboykott entschied und damit von der Wahlniederlage der Liberalen gegen die neue Bauernpartei nicht profitieren konnte. „Ein schwerer und weittragender politischer Fehler“ (264) bewertet Otu dieses Verhalten, da die Volksliga wahrscheinlich einen die Zukunft Rumäniens entscheidenden Wahlsieg hätte erringen können. Als ein Jahr später die Regierung Vaida Voievod entlassen wurde, kam Averescu doch noch zum Zuge und konnte einen Großteil des Parteiprogramms umsetzen: Sozialreformen, Wirtschaftsaufbau, Verfassungsreformen. Es galt, das verwüstete Land neu aufzustellen und vor allem die Integration der neu erworbenen Provinzen anzugehen: So waren beispielsweise im Land 1919 noch vier verschiedene Währungen in Gebrauch.
Aussenpolitisch spielte eine besondere Rolle die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen mit der
entstehenden Sowjetunion, was wegen der Bessarabien-Frage ein heikles Thema darstellte. 1920 hatte Rumänien in Paris die Anerkennung der Vereinigung
Bessarabiens mit dem Regat durch die Großmächte erreicht. Ebenso wurden Abkommen mit den neuen osteuropäischen Staaten in Mitteleuropa und dem Balkan angebahnt. Zugleich
zählt Otu als Leistung der Regierung den Widerstand gegen sozialistische und kommunistische Unruhen im Land auf (1920 Generalstreik, Attentat auf das Parlament, Prozess gegen
Sozialisten). Zeitgenossen waren der Meinung, dass ohne Averescu das Land sozialistisch hätte werden können. Dennoch ließen bereits im März 1922 nach 2 Jahren interne
Veränderungen eine neue liberale Regierung unter Brătianu an die Macht kommen, die sogar bis 1926 amtieren konnte. Wie Otu darstellt, hatte
Averescu Absprachen mit Brătianu getroffen, es ging dabei um den Wechsel der Regierungen, die auch dem General eine Chance ließen. So kam er 1926 wieder
überraschend an die Macht (seine Partei besaß nur noch wenig Rückhalt bei den WählerInnen) – aber es war ein Mandat „im Schatten Brătianus“ (304). Die Partei hatte sich
mittlerweile verändert, der lange als „rechte Hand“ Averescus dienende Constantin Argetoianu verließ nach Korruptionsvorwürfen die Partei und es gab Fusionen,
Gruppierungen, Allianzen unterschiedlichster Art, deren Beschreibung daran erinnert, dass auch heute noch die rumänische Politik nach eigenen „Gesetzen“ abläuft. Averescu kam in
Kontakt mit rechten Kreisen (Goga, A.C. Cuza), lehnte allerdings die ihm oft als Option zugeschriebene Errichtung einer Militärdiktatur durch Absetzung des Königs ab. Innenpolitisch wurde der
Umgang mit den Eskapaden des exilierten Thronfolgers Carol II. zu einem wichtigen Faktor. Nach dem Tod Ferdinands I. 1927 (und dem von Brătianu
im gleichen Jahr) und der Ein-setzung einer Regentschaft, spielte die Frage der möglichen Rückkehr Carol II. eine entscheidende Rolle in Rumänien. Hatte sich
Averescu zunächst kategorisch gegen Carol II. ausgesprochen, so zählte er nach dem Ende seiner Regierung sogar zu den Wegbereitern der Inthronisation des
wankelmütigen Königs. Obwohl mehrmals noch von Carol II. als möglicher Premierminister ins Gespräch gebracht, blieb Averescu lediglich ein politisch aktiver
ehemaliger Machtspieler, dessen Einfluss aber zunehmend schwand. Zusammen mit General Prezan mit der Marschallwürde ausgezeichnet stand der älter gewordene Militär zwar hin und
wieder im Rampenlicht – so als er 1937 eine Zusammenkunft gegen den seit 1933 immer wieder verlängerten Ausnahmezustand organisierte – aber politische Macht besaß er kaum noch, um die fatale
Entwicklung der rumänischen Politik im Zeichen von rechtsextremem Terror, Königsdiktatur und Demokratieabbau zu korrigieren.
Otus Arbeit kann als ein politbiographischer Essay gelesen werden, in dem zahlreiche Fakten und Hintergründe zu einer der bedeutendsten Gestalten der rumänischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dargelegt und diskutiert werden. Averescu erscheint als Politiker, der nach dem Krieg als Heilsbringer sozialer Gerechtigkeit und rationaler Verwaltung galt, aber ebenso in den Wirren der 1930er Jahre mit Abtrünnigen der rechtsradikalen Legion gegen den zerstörerischen Terror der Eisernen Garde konspirierte. Es geht dem Autor keineswegs darum eine Hagiographie zu schreiben, vielmehr werden die Schwächen und Kanten des Generals und Politikers immer wieder betont. Das Buch ist daher empfehlenswert als Einstieg in die Kulissenkämpfe und Perspektivenwechsel der rumänischen Politik im vergangenen Jahrhundert.
Es verfügt über eine ausführliche Bibliographie (leider nur in deutscher Übersetzung, die Originaltitel sind nicht verzeichnet!) und einen Namenindex sowie einige aussagekräftige Abbildungen. Die Übersetzung ist gut lesbar, wenn auch an manchen Stellen Rumänismen nicht vermieden wurden. Aber es bleibt mehr als lobenswert, dass ein Kleinverlag das Risiko auf sich genommen hat, diese umfangreiche Arbeit über eine der wichtigsten Gestalten der rumänischen Politik auch einem deutschsprachigen Publikum zur Verfügung zu stellen.
Petre Otu: Alexandru Averescu. Marschall, Politiker, Legende. [Mareșalul Alexandru Averescu: militarul, omul politic, legenda. București 2005]. Übersetzung und Nachwort v. Viorel Bucur.
Lektor Verlag Hainburg [o.J.], 407 Seiten, 14 Abb., ISBN 978-3-941866-02-7.