Moldau unentschieden?
Die Resultate der Präsidentenwahl und des EU-Referendums
© Alex Buretz
Die Republik Moldau hat durch die Präsidentenwahl und ein Referendum für die EU für kurze Zeit wieder europäische Aufmerksamkeit errungen. Angesichts der speziellen Lage während des russischen Überfalls auf das Nachbarland Ukraine erhielten die Präsidentschaftswahlen, aber besonders auch das Referendum zur Verfassungsänderung wieder Platz in den TV- und Radionachrichten und der gedruckten Presse. Während die Wahl eher wie erwartet mit einem Sieg der Amtsinhaberin Maia Sandu (Partei PAS) ausging, der allerdings nicht die absolute Mehrheit und daher eine Stichwahl gegen den Zweitplazierten Stoianoglo (PSRM, Sozialisten) brachte, gestaltete sich das Referendum spannend bis unübersichtlich. Sandu erreichte 42,39%, Alexandr Stoianoglo 26,01%, Renato Usatîi 13,80 %, Irina Vlah 5,39%. Stoianoglo aus der russlandfreundlichen postkommunistischen PSDR wird sich Sandu zu einer weiteren TV-Debatte stellen. Bei Usatîi handelt es sich um den Bürgermeister von Bălți, Vlah ist die frühere, pro-russische bașcană (Ministerpräsidentin) der autonomen Region Găgăuzia. Für die WählerInnen aus "Transnistrien" gab es nach Berichten keine Probleme beim Besuch der Wahllokale auf dem Gebiet rechts des Dnjestrs.
Nach Schließung der Wahllokale um 21 Uhr Ortszeit sorgt die Zählung der Referendumsstimmen für einige Spannung.
Das Referendum fragte, ob die WählerInnen eine Veränderung der Verfassung hinsichtlich des Beitritts zur Europäischen Union unterstützten ("Sustineți modificarea Constituției în vederea aderării Republicii Moldova la Uniunea Europeană?"). Es gilt bei Zustimmung als die Regierung bindend. Zunächst lagen die Nein-Stimmen vorne: Als 737 von 2219 Wahllokalen ausgezählt waren (33,21%) lag NEIN bei 56,95% (150879 Stimmen) und JA bei 43,60% (117825 Stimmen). Um Mitternacht waren 1804 Lokale mit 1057508 Stimmen ausgezählt, wovon 54,99% (581480 Stimmen) mit NEIN und 45,01% (476028) mit JA zählten. Im Laufe der Nacht sank dann kontinuierlich die Zahl der NEIN-Stimmen und entsprechend stieg die der JA-Stimmen an. Hier dürften die erst am Schluss gezählten Stimmen aus der Diaspora für das knappe Pro-Europa-Votum gesorgt haben. Um 6.00 Uhr hieß es 50%-50%, als 2167 der 2219 Sektionen ausgezählt waren, um 16.00 Uhr am 21.10. fehlten nur noch 5 Sektionen und es stand 50,46% (750352 Stimmen) mit JA zu 49,54% (736567) mit NEIN. Die Verteilung im Land zeigt, dass um die Hauptstadt Chișinău für die EU gestimmt wurde, nördlich davon und in Gagausien dagegen.
Das sehr knappe Ergebnis dürfte für Diskussionen sorgen. Präsidentin Sandu wies auf die bekanntgewordene Bezahlung von VotantInnen mit wahrscheinlich russischem Geld hin und betonte: "Was gestern geschah, aber auch in den beiden letzten Jahren, ist ein Attentat auf die Demokratie und die Freiheit unseres Volkes. Ein Attentat auf die Hoffnung unseres Volkes, Teil der friedlichen Familie Europas zu sein. (...) Ihr Ziel, 300 000 Stimmen zu kaufen, der Nachweis durch die staatlichen Institutionen von 150 000 für ihre Stimme bezahlter Menschen, zeigt, dass wir aufmerksam auf unsere Fehler schauen und aus dieser Attacke auf unsere Souveränität lernen müssen."
EU beschließt
Beitrittsverhandlungen
mit der Republik Moldova
Der Europäische Rat der Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer hat am 14.12.2023 in Brüssel beschlossen, neben der Ukraine auch mit der Republik Moldova in Beitrittsverhandlungen einzutreten. Georgien erhielt den Status eines Beitrittskandidaten, den Moldova bereits im vergangenen Jahr erreicht hatte. Die notwendige Einstimmigkeit scheint so zustande gekommen sein, dass der ungarische Premierminister Victor Orbán den Raum verließ und alle anwesenden Regierungschefs für den Beginn der Beitrittsgespräche mit der Ukraine und Moldau stimmten. Orbán machte nachträglich kein Veto geltend. Die konkreten Gespräche beginnen, wenn alle Empfehlungen der Europäischen Kommission vom November 2023 erfüllt sind.
Präsidentin Maia Sandu nannte die Entscheidung "eine neue Seite in unserer Geschichte". In einem Video mit Parlamentspräsident Igor Groșu und Regierungschef Dorin Recean sprach sie die BürgerInnen an: "Es ist ein sehr wichtiger Schritt auf unserem Weg der europäischen Integration und in erster Linie Ihr Verdienst, dass wir soweit gekommen sind. Denn Sie, durch Ihr Votum, durch Ihre auf die Verteidigung der Demokratie gerichteten verantwortungsvollen zivilen Aktivitäten seit Jahren, für den Aufbau eines besseren Lebens für uns und die zukünftigen Generationen, haben zu dieser Entscheidung beigetragen. Wir haben viel Arbeit weiterhin, aber wir sind ermutigt durch diese Würdigung und diese wichtige Entscheidung der EU-Staaten, die noch einmal bekräftigt haben, dass sie wünschen, dass die R. Moldova Teil der großen Familie der EU sein soll."
Die Präsidentin lud die Bevölkerung ein, am Sonntag das Ereignis am Präsdientenpalast zu feiern.
Drohne über Rumänien
"Alarmstart" deutscher NATO-Flugzeuge
In der vergangenen Nacht zum 14.12.2023 ist eine weitere russische Drohne über Rumänien explodiert. Sie hinterließ auf unbewohntem Gebiet bei Grindu im Kreis Tulcea einen 1,5 m tiefen Krater. Auch dieser Vorfall, den das Verteidigungsministerium MApN bekannt machte, steht im Zusammenhang mit den starken Drohnenangriffen auf die Region Odessa mit den ukrainischen Donauhäfen an der Grenze zu Rumänien. Demnach ist gegen 22.45 Uhr vom ISU (Inspectoratul pentru Situaţii de Urgenţă) für den Norden des Kreises Tulcea eine Gefahrenwarnung (RO-Alert) ausgegeben worden. Sie fordert die BewohnerInnen auf, Schutzräume aufzusuchen oder in Häusern zu verbleiben. Der Alarm galt bis 2.00 Uhr nachts. Ebenso stiegen rumänische F-16 Flugzeuge aus Fetești und Eurofighter Typhoon mit deutscher Besatzung von der Basis "Mihai Kogălniceanu" zur Überwachung auf. Nachdem das Eindringen von Objekten auf dem Radar erkennbar war, fanden vom Innen- und Aussenministerium zusammengestellte Suchtrupps die Spuren der Drohnenexplosion bei Grindu.
Der in deutschen Medien (dpa) aufgrund von Aussagen eines NATO-Sprechers berichtete Augenkontakt der im "Alarmstart" eingesetzten Flugzeuge mit "russischen Luftfahrzeugen" (also den Drohnen; tagesspiegel.de) ist in rumänischen Medienplattformen nicht gemeldet worden.
Das rumänische Aussenministerium bestellte den russischen Botschafter wegen der erneuten Verletzung des Luftraums ein.
Abb: OpenStreetMap
Rumänien im Krieg
Nach Angriffen auf ukrainische Grenzorte baut Rumänien Bunker und gibt Luftalarm
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine befinden sich die Republik Moldau und Rumänien in einer extremen Lage. Während die Moldau als potentielles weiteres Ziel der russischen Aggression angesehen wurde, ist Ukraines Nachbarland Rumänien neben Polen und dem Baltikum der nächste westliche Nachbar des Krieges. Wie Moldau bereits den Überflug und Absturz von russischen Raketen erlebte, haben in den vergangenen Tagen russische Angriffe auf die Getreideinfrastruktur der Ukraine am Grenzfluss Donau auch Folgen für das NATO- und EU-Mitglied Rumänien gezeigt. Am 4. September 2023 hatte das rumänische Verteidigungsministerium und auch Präsident Klaus Johannis noch kategorisch der Behauptung der Ukrainer widersprochen, es seien im Zusammenhang mit einem Angriff auf Ismail und Reni auch eine oder zwei Drohnen auf rumänisches Territorium gefallen und explodiert. An diesem Tag konferierte der türkische Präsident Erdogan (erfolglos) mit dem russischen Präsidenten Putin über eine weitere Wiederaufnahme des Getreideabkommens. Schon am 6.9. legte allerdings Rumänien auf dem Summit Trei Mari (3-Meere-Gipfel) in Bukarest Metallteile vor, die aus Resten von Drohnen stammten, die in der Nähe von Tulcea gefunden worden waren. Am 9.9. gab es dann Bilder zu sehen, die alle Zweifel beseitigten: 2,5 km südöstlich von Plauru (Gemeinde Ceatalchioi), einem rumänischen Dorf am nördlichen Donauarm Chilia gegenüber dem ukrainischen Ismail, fanden sich Splitter einer russischen Drohne in einem verbrannten und von umgestürzten Bäumen gesäumten Waldstück. Offensichtlich war die Drohne dort explodiert, ohne größeren Schaden zu verursachen. Teile einer weiteren Drohne tauchten dann bei Tulcea in der Nähe des Dorfes Nufăru am Donauarm Sf. Gheorghe auf - immerhin schon 15 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Dass damit die Situation sich verschärft hatte, machten die Reaktionen der Behörden deutlich: Es wurde den BewohnerInnen von Plauru angeboten, mit staatlicher Unterstützung in andere Orte zu Verwandten, Freunden, etc. umzuziehen, was etwa 40 Personen annahmen. Für weitere Betroffene wurden Unterkunftsmöglichkeiten außerhalb des Ortes angeboten. Auch Unterstände vor Ort werden vorbereitet: Lastwagen transportierten Bauteile für Bunker in die Gegend. Über Mobiltelefon wurde am 12.9. in den nördlichen Vierteln von Galați und im Kreis Tulcea Alarm gegeben, der dort, wo kein Netzempfang möglich ist, durch Lautsprecher und fahrbare Sirenen ergänzt werden soll. Ebenso wurde der Luftraum unter 4000 Meter Höhe im Gebiet Tulcea für bestimmte Flüge gesperrt.
Politiker von Staatspräsident Johannis bis Verteidigungsminister Angel Tîlvăr verurteilten die russischen Angriffe auf die ukrainische Getreideinfrastruktur an der Donau und die Gefahren für die rumänische Bevölkerung in Grenznähe als Verletzung der rumänischen Souveränität. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass Rumänien innerhalb der NATO Schutz vor Angriffen Russlands fände. NATO-Vizechef Mircea Geoană bekräftigte, dass diese Drohnenreste nicht Zeichen eines gezielten russischen Angriffs auf Rumänien seien, sondern eher Geschehnisse, wie sie unter diesen Umständen vorkommen und wahrscheinlich auch weiterhin sich ereignen können.
Kritik wurde allerdings in den Medien an der vermeintlichen Untätigkeit und Planlosigkeit der Militärs angesichts der Vorfälle geübt. Mittlerweile wird vermutet, dass Abwehrsysteme vom Typ Gepard in der Gegend nahe der ukrainischen Grenze stationiert werden könnten.
Aus Bulgarien wurde inzwischen gemeldet, dass zum ersten Mal eine mit Explosivanlage versehene Drohne an den Schwarzmeerstrand in Tuilenovo angeschwemmt und von der Polizei kontrolliert gesprengt wurde.
Plötzlich politische Hauptstadt Europas
Der European Political Summit in der Republik Moldova
Es ist eine dramatische Entwicklung, die die Republik Moldau seit dem russischen Überfall auf das Nachbarland Ukraine durchmacht. Immer wieder als nächstes Opfer der Invasion vermutet, konfrontiert mit 100000 Flüchtlingen, intern selbst zwischen EU-Richtung und Anbindung an die alten Ex-Sowjetstrukturen mit ökonomischen Beziehungen nach Russland zerrissen, erlebte das in Europa eher unbekannt gebliebene Land plötzlich große Aufmerksamkeit in der politischen Szenerie: StaatspräsidentInnen, AussenministerInnen, die EU-Kommissionspräsidentin, gar der US- Aussenminister, haben die kleine und erst seit 30 Jahren existierende Republik zwischen Pruth und Dnjestr besucht, um sich kundig zu machen und Unterstützung auszusprechen. Höhepunkt dieser Pendeldiplomatie und ein einzigartiges Ereignis in der jungen Geschichte von Moldova stellt ohne Zweifel der European Political Community Summit im Schloss Mimi im Weinort Bulboaca wenig entfernt von der Haupststadt Chișinău dar, der 49 Staatschefs, Premierminister und PolitikerInnen aus der Spitze der EU am 1. Juni 2023 zusammenbrachte. Von Ursula von der Leyen, Michels, Borrell, Metsola über Sunak, Macron, Scholz, Rutte, Meloni, Nehammer, Johannis, aber auch den serbischen Präsidenten Vucic, die aserbaidschanischen, armenischen und georgischen Staatschefs reichte das Tableau der anwesenden europäischen politischen Elite.
Besondere Aufmerksamkeit erregte vor allem der Besuch des ukrainischen Präsidenten Zelenskij im gewohnten olivfarbenen T-Shirt. Ihm wurde von Staatschefs wie Klaus Johannis weiterhin Unterstützung und Kooperation zugesagt. Ähnliches galt auch für Moldova.
Das Gipfelformat geht auf den französischen Präsidenten Macron zurück, der in Prag im vergangenen Oktober die Premiere des Summits veranlasst hatte, um über die regelmäßigen Treffen hinaus in einem größeren europäischen Rahmen als ihn die EU bietet, konkrete Fragen der Sicherheit,Entwicklung und Energieversorgung zu diskutieren. Über die Lage der Ukraine, Moldovas und das Kriegsgeschehen hinaus bot das Treffen daher auch im Programm Gelegenheit, weitere Konflikte anzusprechen wie die in der Kaukasus-Region zwischen Armenien und Aserbaidschan und auch das serbisch-kosovarische Problem.
Die moldauische Präsidentin Maia Sandu erklärte nach der Tagung: "Wir haben gezeigt, dass wir vereint sind gegen die größte militärische Aggression nach dem Zweiten Weltkrieg – und gegen die Verletzungen internationalen Rechts. Ich habe Präsident Zelenskij gesagt, dass wir an der Seite der Ukraine sein werden so lange wie nötig. Als Präsidentin der Republik Moldova weiß ich, dass, wenn es nicht den Widerstand und den Mut der Ukraine gäbe, mein eigenes Land bedroht wäre. Heute haben wir über Sicherheit gesprochen. Wir sprachen über die Notwendigkeit den europäischen Kontinent vor Krieg, Aggressionen und hybriden Bedrohungen zu schützen."
„Ihre Anwesenheit hier ist ein großer Beweis, dass Moldova nicht allein ist. Ich drücke meine Anerkennung aus im Namen aller unserer Bürger aus. Ihre Präsenz macht uns stolz darauf, dass wir diesen Summit beerbergt haben.Ihre Anwesenheit lässt uns mehr als je in unsere Zukunft als friedliches, demokratischer und freies Land glauben. Ein Land, das sich auf einem irreversiblen Weg des Beitritts zur Europäischen Union befindet. Während unser summit sich besonders auf Fragen paneuropäischer Bedeutung konzentrierte, erlaubte er uns ebenso, in Moldova konkrete Projekte zu beschleunigen, die die Integration mit dem Rest Europas vertiefen. Ich sah eine Reihe von greifbaren Resultaten für Moldova."
Fragilität und Bedrohung
Die Republik Moldau als Spielball im Krieg?
Der Zusammenhang schien evident: Als die moldauische Ministerpräsidentin Natalia Gavriliță am 10. Februar 2023 zurücktrat, war für viele westliche Medien der unmittelbare Zusammenhang mit dem russischen Einfluss in dem Land offensichtlich. Hatte doch zuvor der ukrainische Präsident Selenskyj bekannt gemacht, dass es einen Plan Russlands gebe, die Republik Moldau zu destabilisieren und von dem abrünnigen Teil PMR ("Transnistrien") aus anzugreifen. Präsidentin Maia Sandu stimmte Selenskyjs Analyse zu und bestätigte den Verdacht gegenüber Russland. Und als Bestätigung ließ sie vorsichtshalber das Fußball-Conference-League-Spiel in Chișinău von Sheriff Tiraspol gegen Partizan Belgrad ohne Zuschauer stattfinden, da befürchtet wurde, dass unter den russenfreundlichen Belgrader Ultras sich leicht Aktivisten mit destabilisierenden Absichten finden könnten.
So einfach scheint der Fall aber nicht gelagert zu sein. Der Rücktritt Gavrilițăs war seit einiger Zeit erwartet worden. "Letztlich wurde seit langem über die Notwendigkeit eines Wechsels gesprochen und jetzt ist er eingetreten", erklärte im Jurnal Național der politische Analyst Anatol Țăranu. Hintergrund sei ein Konflikt innerhalb der Spitze der Regierungspartei PAS (Partidului Acțiune și Solidaritate), der auch Staatspräsidentin Maia Sandu angehört. Der Experte Veaceslav Berbeca sieht es ähnlich: "Der Rücktritt dieser Regierung hat mehrere Erklärungen. Einer wäre die Bedeutung der Stimulierung des Reformprozesses in der Republik Moldova, weil viele Entscheidungen konfus waren und keine klare Vision in dieser Regierung existierte. Zweitens glaube ich, dass ein Druck in der Gesellschaft besteht, dem Rechnung getragen werden muss."
Die Premierministerin betonte bei ihrem Rücktritt die Erfolge der Regierung seit 2021 wie die Bekämpfung der Korruption, den Widerstand gegen die Machenschaften der Oligarchen und deren juristische Sanktionierung, aber auch die besondere Krisensituation seit dem Beginn des Überfalls Russlands auf das Nachbarland Ukraine: Es sei der Moldau gelungen, in der Energiekrise mit internationaler Hilfe neue Wege der Versorgung aufzubauen und mit der Gasleitung ins rumänische Iași (Jassy) sich unabhängig von GAZPROM zu machen. Als weiteren Pluspunkt der Regierung nannte sie den Erwerb von internationalem Vertrauen und die damit möglich gewordene Bewerbung zur Aufnahme in die Europäische Union. Sie betonte aber auch, dass die Republik Moldova nun in eine neue Phase eintrete, die der Sicherheitsproblematik.
Insofern bietet auch die Wahl des Nachfolgers Dorin Recean einen Hinweis: Er bekleidete bisher u.a. das Amt des Innenministers und zuletzt des Generalsekretärs des Obersten Sicherheitsrates (Consiliul Suprem de Securitate) und betonte bei Amtsantritt unter der Dominante der EU-Orientierung neben der Funktionsfähigkeit der Institutionen und der Unterstützung der Wirtschaft als dritten Punkt die Sicherheit des Landes als Priorität. "Wir haben das größte Risiko von Provokationen. Folglich müssen wir den Bereich der Sicherheit konsolidieren."
Präsidentin Maia Sandu wies mehrfach in den vergangenen Tagen auf die besondere Situation der Republik Moldau hin. In der Süddeutschen Zeitung erklärte sie: "Es ist nichts Neues, dass Russland die Republik Moldau destabilisieren will und korrupte Gruppierungen unterstützt. Erst im vergagngenen Herbst haben sie Leute bezahlt, damit sie demonstrieren. Moskau hoffte, die Energiekrise ausnutzen zu können. Nun haben wir neue Erkenntnisse, dass geplant war, Leute aus dem Ausland ins Land zu bringen, um zu provozieren." ( 24.2.2023) In der Tat haben seit einiger Zeit die permanenten, von der Partei des verurteilten Milliardendiebs Ilan Șor organisierten und bezahlten Demonstrationen an Größe zugenommen. Wo sich vor Wochen nur wenige Menschen heranziehen ließen, um die wirren Erklärungen der Partei "Șor" anzuhören, zeigen sich jetzt mehrere Tausend, die die vorgegebenen Parolen mit der Aufforderung zum Rücktritt von Präsidentin Sandu rufen. Und weisen darauf hin, dass die Zahl derjenigen, die ein wie auch immer begründetes Interesse an einer Ausrichtung an Russland haben, wachsen könnte. Und dass dies einher geht mit den Absichten der kriminellen Oligarchen, ihren Einfluss im Land wiederherzustellen. Anfang Märze wurde berichtet, dass 80 junge Leute aus Istanbul nach Chișinău zurückkamen, die angeblich auf Kosten von Șor in der Türkei als Demonstranten und Aufruhrstifter ausgebildet worden seien.
Mittlerweile wirft Russlands Pressesprecher Peskov der Ukraine vor, sie wolle durch Provokationen ihre Absicht vertuschen, Transnistrien anzugreifen, was umgehend aus der Ukraine dementiert wurde.
Dietmar Müller
Russisch-rumänische Beziehungen
Zwischen geopolitischem Determinismus und Westorientierung
Reni, Sulina-Arm, Donau, Getreide, Schwarzes Meer, Weltmarkt – diese Begriffe tauchten im Frühsommer 2022 in den Weltnachrichten auf. Sie bilden ein Wortfeld für ein Phänomen, das gegenwärtig durch den russischen Angriff auf die Ukraine entstanden ist, das aber bereits für den Krimkrieg vor rund 170 Jahren eine wichtige Ursache darstellte: der russische Versuch, das Schwarze Meer zu beherrschen und somit auch den Zugang des regionalen Getreides auf den Weltmarkt über die Untere Donau nach Belieben zu regulieren. Stand in den 1850er Jahren freilich das Getreide der rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei in Frage, so ist es heute das der Ukraine.
Im Kern ist in dieser historischen Analogie eine geopolitische Konstante angesprochen, die das rumänisch-russische Verhältnis der letzten 200 Jahre charakterisiert. Wohin auch immer sich das politische Bukarest ausrichtete, im Norden des Landes stellte Russland jederzeit eine politische, militärische und wirtschaftliche Macht dar, die nicht leicht zu übergehen war. Zu der russischen Komponente kam hinzu, dass Rumänien sich – mit der Ausnahme von Ungarn – von weiteren slawischen Staaten und Kulturen im Süden (Serbien/Jugoslawien, Bulgarien) umgeben sah. Diese geopolitische Konstellation war eine der wichtigsten Gründe für die Selbstverortung der Eliten, die das rumänische Volk in historisch unterschiedlichen Konstellationen als Verteidiger der europäischen Zivilisation, als Bollwerk gegen den Bolschewismus, als nationalkommunistische Alternative und bis vor kurzem als Atlantiker im südlichen Ostmitteleuropa positionierten. Auffällig ist dabei, und dies konstituiert eine weitere Konstante im rumänisch-russischen Verhältnis, dass es niemals nur eine bilaterale Beziehung sein konnte, immer war es Teil eines mehrere Pole umfassenden Beziehungsgeflechtes.1
Angesichts der hier nur umrissenen Bedeutung Russlands für Rumänien, ist der Kenntnisstand im Land über den großen Nachbarn im Norden erstaunlich gering. Die Medien berichten oberflächlich und aus zweiter Hand. In der Geschichtswissenschaft dominieren die BeziehungshistorikerInnen, während die RussistInnen innerhalb der Slawistik eine Randexistenz fristen. Aus der geringen Zahl von ZeithistorikerInnen, PolitikwissenschaftlerInnen und AnalystInnen, die sich mit Russland beschäftigen, können dies wiederum nur eine Handvoll auf der Grundlage von einschlägigen Sprach- und Regionalkenntnissen.
Historischer Überblick (18. bis 20. Jahrhundert)
Der Resonanzboden für philorussisch-kulturelle Nähe und pro-russische politische Sympathien ist in Rumänien im südosteuropäischen Vergleich schwach ausgebildet, liegt zeitlich tief in der Vergangenheit und ist seitdem gründlich zugeschüttet worden. Man muss dafür bis zum Beginn des 18. Jahrhundert zurückgehen, als Teile der bojarischen Oberschicht und der sich herausbildenden Öffentlichkeit Hoffnungen in das Russische Reich auf seinem Weg nach Konstantinopel investierten, im Verlauf dessen auch die rumänischen Fürstentümer größere Autonomie oder gar die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich zu erlangen hofften.2 Die Grundlage für den erwartungsvollen Blick nach St. Petersburg stellte dabei die geteilte orthodoxe Religion. In einer langen Reihe von Feldzügen gegen das Osmanische Reich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts etablierte sich das Russische Reich als diplomatisch-militärische Schutzmacht der rumänischen Fürstentümer sowie als Regionalmacht im Schwarzmeerraum, wofür emblematisch die Verträge von Küçük Kainarca (1774) und Adrianopol (1829) stehen.3 Der beschleunigte Machtverfall des Osmanischen Reiches seit Anfang des 19. Jahrhunderts bewirkte in den Fürstentümern jedoch keine uneingeschränkte Hinwendung der Eliten zum russischen Modell, vielmehr setzte eine kulturell-politische Umorientierung ein, im Zuge derer Russland zunehmend als imperiale Macht, als Hort der Reaktion und Autokratie verstanden wurde, Westeuropa aber als Vorbild für die eigene Modernisierung und Demokratisierung.
Die Abwendung von St. Petersburg hatte wesentlich mit der harten Besatzungszeit von 1806 bis 1812 zu tun, als auch ein Teil der Moldau (später Bessarabien genannt) vom Russischen Reich annektiert wurde,4 aber auch mit den Organischen Reglements von 1831/32, als unter russischer Ägide ein konservatives Modernisierungsmodell in den rumänischen Fürstentümern implementiert wurde. In der rumänischen Historiographie ist dabei oft übersehen worden, dass die mehr einem Entwicklungsprogramm denn einer Verfassung gleichenden Organischen Reglements für St. Petersburg eine Art Testlauf für eigene staatliche Modernisierungsprojekte darstellten, und dass sie in vielen Aspekten in den Fürstentümern Elemente moderner Staatlichkeit nach westeuropäischen Mustern einführten.5
Die Hinwendung zu westlichen Modellen vollendete sich 1848, als die rumänischen Revolutionäre maßgeblich von russischen Truppen besiegt und ins Pariser Exil getrieben wurden. Die von dort zurückgekehrte Politikergeneration erlangte die Staatsgründung nach dem Krimkrieg in den Jahren 1859/66 in Anlehnung an west- und mitteleuropäische Modelle und explizit gegen Russland gerichtet, welches Bessarabien und den Zugang zum Schwarzen Meer über die untere Donau wieder abtreten musste. Spätestens 1877/78 hatte sich in der rumänischen Öffentlichkeit das Bild der imperialistischen Gefahr im Norden verfestigt, als der gemeinsame Sieg gegen das Osmanische Reich erst durch den entscheidenden Einsatz rumänischer Truppen vor Plevna errungen werden konnte, Rumänien dafür im Berliner Kongress aber das gesamte Bessarabien erneut abtreten musste.
In Berlin konnte Rumäniens Diplomatie 1878 nur partiell mit der Meistererzählung von ihrer mission civilisatrice durchdringen, wonach es als bürgerlich-liberaler Nationalstaat im Osten des Kontinents dessen Werte territorial gegen Russland und das Osmanische Reich sowie kulturell gegen nicht-europäische Einflüsse (v. a. des osteuropäischen Judentums) verteidigt. Größeren Erfolg hatte eine davon abgeleitete Positionierung am Ende des Ersten Weltkriegs, in den Rumänien nach zweijähriger Neutralität an der Seite der Entente und im Bündnis mit dem Russischen Reich eingetreten war. Als dieses im Gefolge des Kriegs und der Oktoberrevolution zusammenbrach, reklamierte Bukarest eine anti-revisionistische und anti-bolschewistische Position für sich, wurde von den westlichen Ententemächten unter anderem im Osten wiederum mit Bessarabien und insgesamt mit einem in Fläche und Bevölkerung verdoppelten Großrumänien belohnt.
Auf der Soll-Seite stand zunächst der Verlust des in Gold thesaurierten Staatsschatzes sowie von Regalien und Archivalien von nationaler Bedeutung, die kriegsbedingt nach Russland verbracht worden waren, und nun von der kommunistischen Macht nicht mehr zurückgeführt wurden.6 Weiterhin wurde von Moskau die Inkorporation Bessarabiens in Großrumänien niemals anerkannt. Mit dem Goldschatz und der Bessarabienfrage sind zwei Themen angesprochen, welche das rumänisch-russische Verhältnis bis auf den heutigen Tag mitprägen und belasten. In der Zwischenkriegszeit war die gesamte politische und kulturelle Elite des Landes – abgesehen von der alsbald verbotenen Kommunistischen Partei und einigen von der Radikalität des staatlich durchgesetzten Wandels in der Sowjetunion faszinierten Intellektuellen – politisch anti-kommunistisch und kulturell anti-russisch eingestellt. Damals entstand der historiographische und kulturelle Kanon an Schriften, welcher den Wertehorizont und die geopolitische Positionierung Rumäniens in Bezug auf Russland formulierte.
Der politische Aufbruch des territorial erweiterten Großrumäniens endete im Hitler-Stalin Pakt von 1939, dessen Folgen 1940 vollzogen wurden, als die Nordbukowina und große Teile Bessarabiens an die Sowjetunion abgetreten werden mussten.7 Darin manifestierte sich aus rumänischer Perspektive das historische Trauma, dass die Grenzen des Landes und selbst sein politisches Regime nur teilweise im autonomen Handlungsbereich der eigenen Eliten stand und sich vielmehr in Abhängigkeit vom Willen west-, mittel- und osteuropäischer Großmächte befand. Diesem Narrativ zufolge, sei wie schon 1878 und 1918/20 auch nun die Westorientierung des Landes nicht gewürdigt worden, diese habe es vielmehr in eine politische Sackgasse geführt, aus der es in Gestalt des Militärdiktators Ion Antonescu nur eine „starke Hand“ herausführen könne. Der Eintritt Rumäniens in den Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Achse Deutschland-Italien war primär auf die Rückgewinnung Bessarabiens und der Nordbukowina gerichtet, stellte gleichzeitig aber auch eine Abwendung vom demokratischen Weg Westeuropas dar.
Während das erste de facto Waffenbündnis mit dem Russland des 20. Jahrhunderts im Ersten Weltkrieg territorial zur Erfüllung des Idealraumbildes Großrumänien geführt hatte, endete der Zweite Weltkrieg mit der Zwangsintegration des Landes in den sowjetischen Machtbereich. Der Verlust Bessarabiens und der Nordbukowina wurde bestätigt und König Mihai I zusammen mit den alten Eliten außer Landes getrieben. Die im Land verbliebenen „bürgerlichen“ Politiker wurde politisch kaltgestellt oder kamen in den kommunistischen Gefängnissen ums Leben. Schließlich wurde die Einparteienherrschaft und Planwirtschaft nach sowjetischem Muster errichtet. Nach Stalins Tod setzten gegen Ende der 1950er Jahre in Bukarest indes erfolgreiche Versuche ein, sich von der nahezu vollständigen Abhängigkeit von Moskau in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zu emanzipieren.
Nach einhelliger Meinung der Literatur handelte es sich bei diesem nun einsetzenden Nationalkommunismus unter Gheorghe Gheorgiu-Dej jedoch keineswegs um eine Entstalinisierung und Liberalisierung, sondern vielmehr um eine Rumänisierung des Stalinismus.8 Unter Nicolae Ceauşescu seit 1965 wurde die Autochthonisierung des Kommunismus intensiviert bis hin zu einer regelrechten Sucht, die Anfänge und die Kontinuität des rumänischen Volkes immer tiefer in thrakischen, dakischen und römischen Vorzeiten zu verorten.9 Dies hatte eine ganz offensichtlich anti-slawische und anti-russische Zielrichtung, war eine Reaktion auf die Historiographie im rumänischen Hochstalinismus bis 1953, wo alles Progressive in der rumänischen Geschichte angeblich unter russischem Einfluss stattgefunden habe. Nun wurde der nationalbewusste Kanon aus der Zwischenkriegszeit partiell rehabilitiert und wieder aufgelegt, wobei selbst das Thema Bessarabien und Bukowina nicht Tabu war.
Mit dem Nationalkommunismus setze ein rumänischer Sonderweg innerhalb des Warschauer Paktes ein, der dazu führte, dass Bukarest im Verhältnis zu Moskau auch in den 1980er Jahren und sogar über den Systembruch von 1989/90 hinaus eine andere Politik verfolgte, als die meisten Staaten Ostmittel- und Südosteuropas.10 Die Politik Michail Gorbatschows von Glasnost und Perestrojka wurde als gefährliche Lockerung perzipiert und bis zum Dezember 1989, als der Systembruch dann gewaltsam erfolgte, strikt abgelehnt. Und als die meisten Staaten der Region bereits eine klare Westorientierung verfolgten, verhandelte der damalige Außenminister Adrian Năstase mit der Sowjetunion einen Freundschaftsvertrag, der vom Präsidenten Ion Iliescu am 4. April 1991 unterzeichnet wurde und einen späteren Beitritt zur NATO unmöglich gemacht hätte, wäre er jemals in Kraft getreten.11
Die rumänische Russlandexpertise
Begibt man sich heute in den Bukarester Buchhandlungen auf die Suche nach Literatur zur russischen Entwicklung nach 1991, so fällt auf, dass diese fast ausschließlich aus Übersetzungen aus westlichen Sprachen besteht. Die einzig signifikante Ausnahme machen Publikationen von Armand Goşu aus, der die rumänische Russlandexpertise seit rund 20 Jahren so sehr dominiert, dass er allgemein als „Mr. Russia“ eingeschätzt wird.12 Wie konnte es in einem Land von der Größe und geopolitischen Lage Rumäniens in der erweiterten Nachbarschaft der Russischen Föderation zu diesem Monopol kommen? Er selbst kritisiert diesen Umstand als unmittelbares Versagen der post-kommunistischen Bildungs- und Außenpolitik aufgrund fortdauernder staatssozialistischer Praktiken der Elitenrekrutierung, weist aber auch auf längere Traditionen der Fehlperzeption und der Ignoranz bezüglich des großen Nachbarn im Norden hin.
Fortsetzung...
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1 Für die Zeit nach 1989 siehe Vlad Naumescu, Politica Marilor Puteri în Europe Centrală şi de Est. 30 de ani de la sfârşitul războiului rece (Die Politik der Großmächte in Ostmittel- und Osteuropa. 30 Jahre seit dem Ende des Kalten Kriegs), Bucureşti 2019.
2 Bogdan Murgescu, Anul 1711 şi filorusismul Românesc în secolul al XVIII-lea (Das Jahr 1711 und der rumänische Philorussismus im 18. Jahrhundert), Studii şi articole de istorie 78 (2011), S. 15-22.
3 Für Küçük Kainarca siehe G. Fr. Martens, Recueil des principaux traités de l’Europe, Göttingen 1791–1801, Bd 4, S. 606-638 https://archive.org/details/recueildesprinci04martuoft/page/606/mode/2up; für Adrianopol siehe Dokument 18.1.4. in: Peter Brandt / Werner Daum / Martin Kirsch / Arthur Schlegelmilch (Hg.), Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, Teil 2: 1815–1847, Bonn 2010.
4 Armand Goşu, Între Napoleon şi Alexandru I. Contextul internaţional al anexării Basarabiei (Zwischen Napoleon und Alexander I. Der internationale Kontext für die Annexion Bessarabiens), Bucureşti 2022.
5 Dietmar Müller, Bogdan Murgescu, Ioan Stanomir, Die rumänischen Fürstentümer 1815–1847, in: Werner Daum unter Mitwirkung von Peter Brandt / Martin Kirsch / Arthur Schlegelmilch (Hg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Band 2: 1815–1847, Bonn 2012, S. 1.337-1.366.
6 Als Reprint der klassischen Studie von 1934 dazu wieder erhältlich ist Mihail Gr. Romaşcanu, Tezaurul Român de la Moscova (Der rumänische Staatsschatz in Moskau), Bucureşti 2022.
7 Dietmar Müller, Von Moskau über Jalta nach Malta: Die Folgen des Hitler-Stalin-Pakts als Opferdiskurs in Rumänien, in Anna Kaminsky / Dietmar Müller / Stefan Troebst (Hg.), Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europäer, Göttingen 2011, S. 359-376.
8 Siehe stellvertretend Vladimir Tismăneanu, Stalinism for All Seasons: A Political History of Romanian Communism, University of California Press 2003.
9 Katherine Verdery, National Ideology under Socialism – Identity and Cultural Politics in Ceauşescu’s Romania, Berkeley e. a. 1991.
10 Sergiu Celac / Dan Dungaciu, Romanian-Russian Relations since 1989, in: Andrei Zagorski (ed.), Russia and East Central Europe After the Cold War – A Fundamentally Transformed Relationship, Prague 2015, S. 323-360, hier S. 326.
11 Daniel N. Nelson, Romanian Security, in: Revue d’Études Internationales 27 (1993) 3-4, S. 185-209, hier S. 203f.
12 Armand Goşu, Rusia, o ecuaţie complicată. Convorbiri cu Lucian Popescu (Russland, eine komplizierte Gleichung. Gespräche mit Lucian Popescu, 2. erw. Ausgabe, Bucureşti 2022, S. 14. Nach einer Korrespondententätigkeit in Moskau für die BBC in den 1990er Jahren war Goşu an leitender Stelle (von 2005-2014) und bis heute als Osteuropafachmann in der Wochenzeitung 22 tätig. Der zitierte Band resultiert aus Gesprächen, welche die Entwicklungen in der Russischen Föderation, Moldova, Ukraine und Belarus tagesaktuell auf Contributors.ro reflektierten (www.contributors.ro).
Invasion Anfang 2023?
Screenshot TVRMoldova
Eine Aussage des moldauischen Geheimdienstchefs Alexandru Musteață hat es in die westeuropäischen Medien geschafft und verstärkt die Befürchtung vor einem möglichen neuen Angriff Russlands auf die Ukraine. Dem TVR Moldova sagte Musteață (SIS) am 19.12.2022 unverblümt: "Die Frage ist nicht ob Russland eine neue Offensive auf das Territorium der Republik Moldova machen, sondern wann dies geschehen wird: sei es Anfang des Jahres, Januar, Februar, sei es später, März, April. Aber nach der Information, die wir haben, hat Russland vor, weiter zu gehen. Mit dem Ziel, einer Verbindung mit dem transnistrischen Gebiet, das Territorium der Republik Moldova ist, und mit Klarheit können wir sagen, dass ja, sie haben die Absicht hierher zu kommen, die Verbindung zu machen. Was danach folgt, ihre Absichten in Bezug auf Chişinău, können wir diskutieren, aber dies ist ein reales und sehr hohes Risiko."
Diese Sätze schlugen in der moldauischen Bevölkerung hohe Wellen, so dass der Direktor des Serviciu de Informație și Informație eine Präzisierung veröffentlichte, wonach der reale Zeitpunkt und die Vorgehensweise vom Ablauf des Krieges in der Ukraine abhänge. In einem weiteren ausführlichen Gespräch des Senders am gleichen Tag erklärte Musteață seine Aussagen noch einmal. Er verwies bei dieser Gelegenheit auf Nachfrage auf das riesige Munitionslager in Cobasna auf dem Gebiet der abtrünnigen PMR hin, das seit Jahren eine große Zahl von Waffen und Munition beherberge (20000 t), von denen nicht bekannt sei, in welchem Zustand sie sich befänden und damit gerade in der aktuellen Kriegssituation eine besondere Gefahr darstellten.
Raketen über der Republik
Moldau
Am 10.10.2022, dem 229. Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine, verletzten
3 russische Raketen
Foto:Von Allocer - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8897938
zwischen 8.33 und 9.02 Uhr den Luftraum der Republik Moldova. Abgeschossen von Schiffen im Schwarzen Meer überflogen die Marschflugkörper das europaweit größte Munitionsdepot in dem Dorf Cobasna im von der Republik Moldau abtrünnigen Territorium PMR ("Transnistrien") und auch die Stadt Soroca westlich des Dnjestr.
Das Verteidigungsministerium nannte "diesen Vorfall einen extrem schweren und bedauerlichen,
der ohne Zweifel weitere Spannungen provoziert. Die Verletzung unseres nationalen Luftraums ist komplett inakzeptabel. Die Bombardierung des Nachbarlandes muss sofort aufhören." Es sei damit auch
die Infrastruktur der Republik Moldau, insbesondere die Zivilluftfahrt gefährdet worden. Moldova nimmt offiziell den Status eines neutralen Staates ein. Der russische Botschafter in Chișinău wurde dringlich ins Außenministerium gebeten.
Durch die russischen Bombardements auf die Ukraine wurde auch die Lieferung von Elektrizität nach Moldau beeinträchtigt, die dort 30% des Verbrauchs ausmachen. Kurzfristig ließ sich für diesen Ausfall aber ein Ersatz durch das Kraftwerk MGRES in Cuciurgan ("Transnistrien") organisieren, wie der moldauische Infrastrukturminister Andrei Spînu mitteilte.
Screenshot: www.youtube.com/watch?v=V_gy9DFtw5U
Prinz Christopher Ghika leitet Trauerzeremoniell
Wie 2021 bei dem Tod des britischen Prinzgemahls Philip oder dem Platin-Jubiläum der Königin lag auch die Organisation und Überwachung des zeremoniellen Ablaufs der Bestattung von Queen Elizabeth II in der Verantwortung von Generalmajor Christopher Ghika von den Irish Guards. Der hochdekorierte Militär war verantwortlich für die Aufsicht aller beteiligten Truppen am militärisch dominierten Zeremoniell der Beerdigung der Königin. Ghika führt das Household Cavalry Mounted Regiment an, jene berittenen Soldaten, die in historischen Uniformen mit Helmen die Begleitung der Zeremonien wie der jährlichen Geburtstagsparade für die Queen, Trooping the Colour, bilden, oder zu Fuß mit dem auffälligen Helmbusch teilnehmen.
Der Name Ghika verweist auf die Herkunft des Militärs, der in der Tat aus der Familie der alten rumänischen Bojarenfamilie Ghika stammt. Sein Vater, Brigadier Prince John Ghika, Vorgänger in der Irish Guards-Führung, war 1928 in Paris geboren worden als ältestes Kind von Valentine Bibesco und Dumitru Ghika-Comănești. Die Mutter von Valentine war Marta Bibescu (Marthe Bibesco), die legendäre Schriftstellerin, Proust-Bekannte, aus der Familie Lahovary-Mavrocordat, die ihre europäischen Hochadelsverbindungen mit politischen Ambitionen und auch entsprechenden Aktivitäten verband (z.B. mit Winston Churchill, König Alfonso XIII., Ramsay McDonald u.a. ). Ihr einziges Kind,Valentine, aus der Ehe mit George III Valentin Bibesco, (er schenkte Martha das Schloss Mogoșoaia bei Bukarest), musste während des Krieges mit ihrem Ehemann Dumitru aus der alten Familie der Ghika in Rumänien bleiben und beide wurden danach im kommunistischen Regime zu Gefängnishaft verurteilt. Immerhin konnte ihr Sohn John Rumänien verlassen und lebte in England, wo er – nachdem er zunächst im Zweiten Weltkrieg noch als "feindlicher Ausländer" interniert war – Karriere im Militär machte. Als seine Eltern 1956 frei kamen, konnten sie zu ihm nach England ziehen.
Der Sohn Christopher Ghika wurde 1970 geboren und verfolgte ebenso eine militärische Laufbahn, die ihn u.a. nach Nordirland, Irak, USA, Afghanistan, Sierra Leone führte. 2015 war er Deputy commander of Strategy and Information for Combined Joint Task Force-Operation Inherent Resolve in Bagdad. In die internationalen Schlagzeilen geriet er zweimal: Als sein Name im Zusammenhang mit der Restitution von großen Waldstücken in Rumänien in einem Prozess gegen einen Angehörigen der adeligen Familie Sturdza genannt wurde, wonach Ghika mit diesem eine betrügerische Vergrößerung seiner Ansprüche vereinbart habe, um durch Abholzen großen Gewinn zu machen. In den Prozess gegen Sturdza war auch der wegen Korruption verurteilte Politiker Viorel Hrebenciuc verwickelt. Ghika stritt jede Beteiligung ab und wurde nicht in den Prozess involviert. Militärisch fiel 2019 eine Aussage Ghikas auf, als er in Bagdad keine Gefahr der Unterstützung der syrischen Gegner durch den Iran sah, dem das US-Kommando öffentlich widersprach.
An der Trauerfeier nahm neben dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis und seiner Frau Carmen ebenfalls die rumänische Königshausvertreterin Margareta mit ihrem Ehemann, Prinz Radu, teil, Tochter des 2017 im Alter von 96 Jahren verstorbenen letzten rumänischen Königs Mihai, der seinerzeit an der Hochzeit Queen Elizabeths 1947 teilgenommen hatte. Die Verbindung des rumänischen Hauses zur britischen Monarchie war immer eng – seit Zeiten der aus schottisch-deutsch-russischem Adel stammenden Königin Mary (die noch die kleine Elizabeth kennengelernt hatte) und Mihai, der bei Elizabeths Hochzeit seine Frau Ana Maria von Bourbon Parma kennenlernte. Elizabeths Ehemann, Prinzgemahl Philip, war Margaretas Taufpate gewesen.
Margareta von Rumänien und Prinz Radu mit Cherie und Ex-Premierminister Tony Blair in Schloss Windsor vor der St. George's Chapel
Screenshot:https://www.youtube.com/watch?v=V_gy9DFtw5U
Moldauisches Kindererholungsheim am 128. Tag des Krieges bei Odessa angegriffen
Ein vom moldauischen Gesundheitsministerium betriebenes Kindererholungsheim in Sergeevka bei Odessa an der Küste des Schwarzen Meeres wurde am Morgen des 1. Juli 2022 von russischen Raketen getroffen. Nach Mitteilung der moldauischen Gesundheitsministerin Ala Nemerenco wurde das Gebäude nicht schwer beschädigt, aber von den dort wohnenden Angestellten 6 verletzt, einer davon tödlich. Allerdings zeigen Fotos auf der Website von der moldauischen Site von Europalibera oder der Zeitung Ziarul de Gardă, dass das vorher neu renovierte und mit Swimmingpool ausgestattete Heim schwer beschädigt sein dürfte. Das Heim liegt etwa 35 km vom Territorium der Republik Moldau entfernt.
Ein weiterer russischer Angriff in der Nähe von Odessa tötete am gleichen Tag 21 Menschen.
Beide Angriffe werden mit dem Rückzug der russischen Truppen von der Insula Șerpilor (Schlangeninsel) in Zusammenhang gebracht.
Moldaus Ex-Präsident Igor Dodon für 72 Stunden festgenommen
Abb.: https://commons.wikimedia.org/wiki/File 09.05.2020 Ceremonia de depunere de flori cu ocazia Zilei Victoriei și comemorării eroilor căzuți pentru Independența Patriei, cu participarea Președintelui Parlamentului
Es ist der 90. Tag und der Beginn des vierten Monats des russischen Angriffs auf die Ukraine, zugleich der 50. Geburtstag der moldauischen Präsidentin Maia Sandu, die sich zurzeit in den USA für eine Rede vor Studierenden der Harvard Universität aufhält, während Premierministerin Natalia Gavrilița am Wirtschaftsgipfel in Davos teilnimmt, als mehrere Häuser von Sandus Vorgänger Igor Dodon (PSRM) und seiner Verwandten stundenlang durchsucht und dieser dann für vorerst maximal 72 Stunden festgenommen wird. Diese Aktion der Staatsanwaltschaft in Chișinău ist die Schlagzeile des Tages der moldauischen Medien. Vor dem Tor zum Gebäude spielen sich Tumulte ab, Unterstützer und Gegner des Ex-Präsidenten von der Sozialistischen Partei skandieren durch Megafone ihre Losungen. Als ein Kleinbus vorfährt und Maskierte und schwerbewaffnete Polizisten den Politiker aus dem Hof in das Fahrzeug bringen, muss eine Kette von Gendarmerie die Menge auf Abstand halten. Rufe wie "Pușcărie" (Gefängnis) oder "Libertate" (Freiheit) sind zu hören.
Nach den Meldungen sind in der Villa Geldnoten in Höhe von mehreren Zehntausenden Euro, Dollar und Lei gefunden worden. Ein Schwager Dodons soll laut Korruptionsstaatsanwaltschaft in einem der Häuser während der Durchsuchung versucht haben, ein Papierdokument zu zerstören, indem er es zu verschlucken suchte. Das Dokument belege Immobilientransaktionen in Höhe von 700 Millionen €. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Dodon beziehen sich auf "passive Korruption, Finanzierung einer Partei durch kriminelle Organisationen, Landesverrat und illegale Bereicherung".
Dodon war von 2016 bis 2020 Staatspräsident der Republik Moldau. 2019 wurde Maia Sandu für mehrere Monate Premierministerin, bevor sie bei den Wahlen zum Präsidentenamt 2020 Dodon besiegte und ihre Partei danach auch die Parlamentswahlen deutlich gewann.
Wer steckt dahinter?
Sandu sieht noch keine "imminente Gefahr" für Moldau nach Explosionen in PMR
Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu hat nach der Sitzung des höchsten Sicherheitsrates des Landes am 26.4. 2022 zur Ruhe aufgerufen. Sie vermutet hinter den Anschlägen in der PMR "Spannungen unterschiedlicher Kräfte in der Region, die Interesse daran haben, die Situation zu destabilisieren." Dies schaffe auch Risiken für die Republik Moldau. Weiterhin sagte sie in einem Interview, dass die Vorfälle in "Transnistrien" aber noch keine "imminenten Sicherheitsrisiken" für die Moldau rechts des Dnjestr erkennen ließen, während sie für das Regime links des Dnjestr hoffe, dass es auch dort keine Versuchungen gebe, die das Leben der BürgerInnen in Gefahr bringen könnten. Dem widerspricht der Sicherheitsanalytiker Dumitru Mînzărari von der Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Hinweis, dass bei einer Provokation, bei der niemand regiert, auch nichts folge. "In dem Fall aber, in dem die folgenden Aktionen des Aggressors unabhängig von der Reaktion des Zieles erfolgen, handelt es sich nicht um eine Provokation." Konkurrierende Kräfte in der Region in Sicherheitsfragen gebe es nicht. "Es gibt Russland, das alles und jeden kontrolliert." Kein transnistrischer Akteur könne gegen den Willen Russlands handeln. (https://www.ziarulnational.md/un-expert-militar-exlude-faptul-ca-exploziile-din-transnistria-ar-fi-provocari-avem-de-a-face-cu-scenariu-doi-exista-rusia-care-ii-controleaza-pe-toti-si-pe-toate/)
In der Frage der Verursacher herrscht dennoch keine Einigkeit. Der ukrainische Präsident Zelenskij sieht die Vorfälle
als klare russische Destabilisierung und Bedrohung der Republik Moldova, um das Gebiet in den Krieg zu ziehen. Die Ukraine sei aber vorbereitet und fürchte sich nicht vor den russischen
Streitkräften in PMR. Der russische Kreml-Sprecher Peskov nannte die Vorfälle "beunruhigend". Der Präsident der PMR, Vadim Krasnoselski, erklärte, dass erste Spuren in die Ukraine führten. Es
werde den Verursachern aber nicht gelingen, PMR in den Krieg zu ziehen.
Mittlerweile ist im Internet eine Videoaufnahme zu sehen, die wohl den Angriff auf das Gebäude in Tiraspol in aller Deutlichkeit aus mehreren Perspektiven zeigt. Es sind drei vermummte Männer zu sehen, die 3 Granaten auf das Gebäude abfeuern und mit einem Auto flüchten. Die Straße und das Gebäude sind wegen des Osterfeiertags fast menschenleer.
In einer Fragestunde des Bundestages bezeichnete die Aussenministerin Annalena Baerbock die Lage um die Moldau als "sehr kritisch". Auf Nachfrage bestätigte sie, dass für die Moldau in dieser Situation mehr getan werden müsse.
Explosionen in der PMR
Nationaler Sicherheitsrat der Republik Moldova einberufen
Abb.: screenshot/www.youtube.com
Am Abend des 25.4. 2022 gab es nach Meldung mehrerer Medien aus der Republik Moldau als auch aus PMR gegen 17 Uhr Ortszeit in der Hauptstadt der PRM
Tiraspol eine Attacke mit Raketenwerfern auf ein Gebäude. Das Gebäude ist der Sitz des Sicherheitsdienstes. Es gab keine Verletzte oder Tote, aber es wurden Fenster auch an
Nachbargebäuden zerstört. Fotos im Internet zeigen Reste einer Panzerfaust auf der Straße
(https://newsmaker.md/ro/foto-explozii-la-tiraspol-in-apropierea-sediului-ministerului-securitatii/).
Nach Meldung der pridnestrovischen Behörden gab es am frühen Morgen des 26.4. gegen 6:40 Uhr und 7:05 zwei weitere Explosionen im Raion Grigoriopol. Sie trafen zwei riesige drehbare Sendemasten in Maiak, die beide zerstört worden seien. Auch hier habe es keine Opfer gegeben. Die Türme hatten eine große Reichweite gehabt und seien Ende der 1960er Jahre von der UdSSR errichtet worden. Seit Kriegsbeginn wurden sie wohl für die Übertragung russischer Radioprogramme genutzt.
Der Präsident der nicht anerkannten PMR, Vadim Krasnoselski, rief am Mittag den "Sicherheitsrat Transnistriens" ein. Dabei wurde auch ein Angriff auf eine Militäreinheit im Dorf Parcani erwähnt. Der Sicherheitsrat erklärte für die nächsten 15 Tage die höchste Alarmstufe der Terrorgefahr.
Auch in Chișinău wurde auf die Vorgänge reagiert: Nachdem morgens der SIS (Informations- und Sicherheitsrat) zusammengetreten war, rief Staatspräsidentin Maia Sandu aufgrund der Vorfälle den Höchsten Sicherheitsrat (Consiliul Suprem de Securitate) für 13 Uhr Ortszeit ein.
Obwohl der SIS als auch das Büro für die Reintegration zu Ruhe und Wachsamkeit aufriefen und der Chef des transnistrischen Teils der Vereinten Kontrollkommission zur Überwachung der Grenzsituation (russisch, moldauisch, transnistrisch) ebenfalls die Ruhe in der Sicherheitszone an der Grenze betonte, werden die Vorfälle unweigerlich durch das von dem russischen General Rustam Minnekajew vergangene Woche skizzierte Vorhaben gedeutet, wonach es von der Krim durch die Südukraine bis hin zu Transnistrien (PMR) eine geschlossene russisch eroberte Zone geben könnte. Auch ein Militärführer in Donezk habe diese Strategie als neue Phase des Krieges eingefordert. Entsprechend nannten ukrainische Stellen die Explosionen in der PMR als vom russischen Geheimdienst FSB initiierte Provokationen, um Anlass für Angriffe zu schaffen. Der Kreml-Sprecher Dimitri Peskov nannte die Nachrichten aus der PMR über die Vorgänge "beunruhigend".
In TVR Moldova berichtete die Direktorin des rumänischsprachigen Gymnasiums in Tiraspol, dass vor der Grenzstation zur Republik Moldova sich bereits längere Schlangen von PMR-Bewohnern gebildet hätten, die die PMR verlassen wollten. Es herrsche ziemliche Aufregung und Unsicherheit in Tiraspol.
43. Tag des Krieges gegen die Ukraine
Moldau
Am 24. Februar 2022 noch nicht vorhersehbar, ist nach 43 Tagen der kriegerische Überfall
Russlands auf die Ukraine weiterhin
in vollem Gange. Er hat in der Region zahlreiche Veränderungen und politische Aktivitäten verursacht. Das in West-Europa kaum beachtete und bekannte Moldau wurde zu einem wichtigen Flüchtlingsziel, das wegen der geringen Wirtschaftskraft unbedingt auf internationale Hilfe angewiesen ist. Auf Initiative von Rumänien, Frankreich und Deutschland fand am 5.4. in Berlin eine internationale Unterstützerkonferenz (Moldova Support Conference, MSC) statt, zu der auch die moldauische Ministerpräsidentin Natalia Gavriliţa und der Aussenminister Nicu Popescu mit weiteren MinisterInnen angereist waren. 47 Staaten und zahlreiche internationale Organisationen nahmen teil und sprachen der Republik Moldau ein Finanzpaket von fast 700 Millionen € zu. Auf fünf Säulen sollen die Kredite und Zuschüsse verteilt werden: humanitäre Hilfe; Energiehaushalt; Korruptionsbekämpfung; Grenzmanagement; finanzielle Hilfe. Nach Aussage von Popescu sei das Ziel, die Flüchtlingsversorgung und -weiterleitung zu gewährleisten, die Energiesicherheit zu erhöhen, die Reform des Rechtsstaats weiterzutreiben und den Lebensstandard der Bevölkerung trotz der Krisen beizubehalten oder zu erhöhen. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock präzisierte, dass in Energiefragen Moldau bereits in den Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) aufgenommen worden sei, worauf aufbauend das Land am europäischen Energiemarkt teilnehmen könne. Zudem sei eine Energiewende zu einem neuen Energiemix angestoßen.
In Chișinău befasste sich das Parlament mit einem neuen Gesetz zur Bekämpfung der Desinformation durch Massenmedien. Ziel des Vorhabens sei, gerade in Zeiten des Krieges durch erweiterte Befugnisse des Serciviu de Informații și Securitate (SIS) die Bevölkerung vor Manipulation und Propaganda zu schützen. Es sollen konkret keine Produktionen mehr verbreitet werden, die aus Staaten kommen, die nicht der europäischen Konvention für grenzüberschreitendes Fernsehen beigetreten sind. Ausgenommen von dem Gesetz sind künstlerische Filme, Unterhaltungsshows ohne Bezug zu Militär und Kurzfilme. Auch sollen digitale Medien deutlicher die Angaben zu den Betreibern sichtbar machen. Die Sitzung der ersten Lesung wurde vom oppositionellen Block der Kommunisten und Sozialisten des früheren Präsidenten Igor Dodon zunächst blockiert, indem sich ihre MitgliederInnen vor die Redetribüne stellten. Später verließen sie vor der Abstimmung den Plenarsaal. Sie warfen der Regierung vor, durch dieses Gesetz die Zensur und eine Diktatur in der Republik Moldau einzuführen. Das Gesetz wurde mit 56 Stimmen angenommen.
PMR
Häufiger wird in der Republik Moldau nun nach "Transnistrien" (PMR) geschaut. Mehrfach wiesen ukrainische Stellen auf beobachtete Bewegungen bei den dort stationierten Truppen oder auf dem Flugplatz hin, um die Taktik der südlichen russischen Streitkräfte zu unterstützen – offenbar aber ohne Bestätigung. Präsidentin Maia Sandu erklärte, dass es keine Informationen gäbe, dass der Flugplatz illegal von russischen Flugzeugen benutzt würde. Zwar seien auf dem aktuell nicht genutzten Flugplatz in Tiraspol "gewisse Arbeiten" beobachtet worden, diese seien aber jahreszeitlich nicht ungewöhnlich. Allerdings sei aber eine Gefahr nicht generell für die Zukunft auszuschließen. Auch der neue Vizepremierminister für die Verhandlungen mit der PMR, der frühere Botschafter der Moldau in Berlin, Oleg Serebrian, nannte die möglichen Angriffsvorbereitungen in Tiraspol lediglich eine Annahme. Das umstrittene Munitionslager Cobasna der als "Friedenstruppe" in der transnistrischen "Zona de securitate" anwesenden 1500 Angehörigen der russischen Armee stelle keine militärische Gefahr im Zusammenhang mit dem Krieg dar. Vielmehr hätten sich russische Truppen aus Mykolajiv (Nikolaev) an die Grenze des Oblast Cherson zurückgezogen. Wegen der verwandtschaftlichen und geschäftlichen Verflechtungen mit der Ukraine seien sowohl Wirtschaft als auch Bevölkerung gegen einen Angriff auf die Ukraine. Auch die Führung zeige sich sehr vorsichtig in ihrer Rhetorik hinsichtlich der Ukraine.
Die pridnestrovischen Behörden verwiesen darauf, dass 25 000 Menschen aus der Ukraine in ihr Territorium geflohen seien, zumeist zu Verwandten. Die PMR stelle keine Gefahr für die Ukraine dar und werde dies auch nicht.
21. März 2022:
26. Tag seit Kriegsbeginn
Moldau, PMR, Rumänien
Abb. fmf.md
Moldau
Die Region an Pruth und Dnjestr sah sich seit dem 24. Februar Hunderttausenden Geflüchteten gegenüber, die sich nach Rumänien und in die Republik Moldau in Sicherheit brachten. Dies stellt die Moldau vor gravierendere logistische und finanzielle Probleme als das EU-Land Rumänien. In der Reihe der Gespräche der Präsidentin Maia Sandu und des Außenministers Nicu Popescu mit zahlreichen Partnern und Gästen wie US-Außenminister Blinken, dem französischen Außenminister Le Drian, dem estnischen Staatspräsidenten Alar Karis, dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, dem italienischen Außenminister Di Maio, dem UNO-Generalsekretär Guterres (für diese Woche sind Besuche des polnischen und des Schweizer Präsidenten angekündigt) wurde immer wieder auf die notwendige Unterstützung für das kleine Land zwischen Pruth und Dnjestr verwiesen, das – gemessen an der Bevölkerungszahl – den höchsten Anteil an Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen bzw. weitergeleitet hat: Über 325 000 Geflüchtete, wovon 225 000 weiter nach Rumänien reisten, 100 00 blieben in der Republik Moldova, darunter 50 000 Minderjährige. Groß ist die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die zahlreiche notwendige Gegenstände spendete und durch viele Freiwillige Hilfe für die Geflüchteten bereit stellt. Der Großteil der Güter gelangt aus dem Ausland nach Moldau – über 100 Tonnen. Auch die moldauische Diaspora trägt mit Spenden bei. (Die absolut größte Zahl mit über 1 Mio Geflüchteten hat Polen verzeichnet.) Einige der PolitikerInnen wie die Präsidenten Karis und Johannis sprachen auch ihre Unterstützung für den EU-Aufnahmeantrag der Moldau aus. Das online-G7-Außenministertreffen will eine Unterstützergruppe bilden, die sich speziell den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Republik Moldau im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation aus der Ukraine stellen, und bei Weltwährungsfonds und Weltbank dessen Probleme vortragen soll.
Kritik übt die Sozialistische Partei (PSRM) des früheren Präsidenten Igor Dodon an der Ausübung des Notfallrechts in der Republik Moldau, das das demokratischen Recht der Meinungsfreiheit einschränke. Die unveränderte Sendeteile aus russischen TV-Sendern abspielenden moldauischen Stationen RTR Moldova, NTV Moldova, Primul în Moldova wurden von der Aufsichtsbehörde CA (Consiliul Audiovizualului) mehrfach mit Geldbußen belegt, da sie z.B. die Behauptung, dass in der Ukraine chemische und biologische Waffen produziert würden, übernahmen, ohne Gegenpositionen und Dementis zu senden.
PMR
Bereits Anfang März trat die durch ihren Champions League-Sieg gegen Real Madrid einem größeren Publikum bekannt gewordene Fußballmannschaft Sheriff Tiraspol in ihrem Spiel in der moldauischen Divizia Națională gemeinsam mit dem Gegner Milsami Orhei mit einem Banner auf, das den Schriftzug No War (!!) trug. Der Verein des Miteigentümers des Sheriff-Konglomerats Viktor Gușan positioniert sich so nach Vorgabe des moldauischen Fußballverbands eindeutig für das Ende des Krieges, der auch den fußballerischen Aktivitäten im Wege steht: Die Mannschaft muss jetzt von Assistenztrainer Dmitro Kara-Mustafa gecoacht werden, da der ukrainische Cheftrainer Jurij Vernydub in die Ukraine zurückgekehrt ist, um sich der Armee anzuschließen.
In einer ausführlichen Reportage hat die Journalistin Daniela Calmîș von der Zeitung Ziarul de Gardă in Chișinău die Stimmung in der abgespaltenen PMR eingefangen. Sie sprach mit mehreren BewohnerInnen im sauber und aufgeräumt wirkenden Tiraspol und Tighina (Bender), die sehr unterschiedliche Ansichten auf die Lage in der Region und in der PRM äußerten. Mehrfach wurde auf die zahlreichen ukrainischen Verwandten verwiesen, die Geflüchtete unterbringen konnten. (Die Bevölkerung teilt sich zu fast genau je einem Drittel auf Ukrainer, Russen, Moldauer auf. Die offizielle Zahl lautet auf 17 000 Flüchtlinge.) Entsprechend herrscht die Hoffnung auf Frieden vor, ohne dass man/frau sich für eine Seite entscheiden wolle. Es findet sich auch ein Interviewpartner, der deutlich auf die Abhängigkeit von und die Vorteile der russischen Seite hinweist. Kein Zweifel herrscht für ihn, dass Russland bis an oder über den Dnjestr gelangen werde. Es gibt aber auch deutliche Kritik am Regime in Tiraspol. Im Youtube-Video der Reportage spricht ein früherer Richter sich für die Ukraine aus und kritisiert das Regime in PMR als diktatorisch. Alles sei aus Moskau vorgegeben. Auch eine Frau hat die Erfahrung gemacht, dass es kaum Chance gebe, gegen Mißstände zu protestieren, wie auch ein Student aus Furcht vor Repressalien nicht ins Detail gehen möchte und auf die fast ausschließliche Information der Bevölkerung durch russische TV-Sender verweist. Calmîș bemerkt ein Straßenschild nach Odessa: 102 km – nicht einmal 2 Stunden Fahrzeit, wie die Journalistin kommentiert.
Rumänien
Rumänien möchte das Nachbarland Moldau durch ein Gasreservoir auf rumänischem Boden unterstützen, um die Republik Moldova weniger abhängig vom russischen Gas zu machen. Außenminister Bogdan Aurescu bot diesen Beitrag zur Energiesicherheit Moldaus vor dem Treffen der EU-Außenminister am heutigen Montag an. Ebenso unterstützte Aurescu den Aufnahmeanträge von Ukraine, Moldau und Georgien in die EU. Für Anfang April kündigte er ein Treffen mit Frankreich und Deutschland in Berlin mit dem Ziel der Einrichtung einer Plattform zur Unterstützung der Moldau an (Moldova Support Platform).
Über die Bildung der Kampfgruppen an der "Südostflanke" der NATO sprach Präsident Johannis mit dem britischen Premierminister Johnson. Diese könnten - wie Mircea Geoană, früherer Außenminister und jetziger Stellvertreter des NATO-Generalsekretärs, äußerte - bis zum Ende des Frühlings bereits eingerichtet sein. Geoană erklärte zudem, dass die NATO einen andauernden Fortgang des Krieges erwarte.
Bisher haben 500 000 ukrainische Flüchtlinge die Grenze nach Rumänien überschritten. Davon sind 80 000 im EU-Land geblieben, darunter 30 000 Kinder.
(Quellen: www.zdg.md, www.adevarul.ro, www.deschide.md)
Dazwischen oder auf einer Seite?
Unsichere Nachrichten über die PMR im Ukraine-Krieg
Am 30. Jahrestag des Krieges zur Abspaltung des schmalen linksdnjestrischen Gebietes von der gerade entstandenen Republik Moldova hat der Präsident des sich selbst als "Pridnestrowische Moldauische Republik" (PMR) bezeichnenden, von keinem anderen Staat (auch nicht der Russischen Föderation) anerkannten de facto-Staates in Zeremonien mit Kranz- und Blumenniederlegung an die militärische Auseinandersetzung erinnert. Fotos auf der englischsprachigen Ausgabe der offiziellen Website des Präsidenten zeigen Vadim Krasnoselsky mit dem damaligen ersten Präsidenten Igor Smirnov und anderen Vertretern des Staates bei einer Zeremonie in Dubossary (Dubasari), wo 1992 bei Kämpfen zahlreiche Menschen starben. Nachdem bereits 1991 kleinere bewaffnete Konflikte ausgebrochen waren, markierten Dubossary und vor allem die Stadt Bender (Tighina) die blutigsten Auseinandersetzungen. In Bender kamen im Juni 1992 800 Menschen ums Leben, 5000 wurden verwundet, 100 000 flüchteten in die ebenfalls gerade erst unabhängig gewordenen Ukraine.
Entgegen der vermeintlichen Beobachtung von Militärmanövern in
dem schmalen Landstreifen am östlichen Dnjestr, scheint sich
die PMR
im aktuellen Konflikt ruhig zu verhalten. Krasnoselsky wies zurück, dass es Vorbereitungen zum Angriff auf die
Ukraine gebe. Am 1. März war auf der Website zu lesen, dass "die Situation in der
Republik im Moment stabil und unter Kontrolle" sei. Krasnoselsky betone, Pridnestrovie plane keine aggressive
Aktionen in Beziehung zu seinen Nachbarn und betrachte alarmiert und mit Bedauern die Ereignisse in der Ukraine. Aktuell am 6. März entstandene Gerüchte, die Zerstörung des Flugplatzes in Winnitza durch 8 Raketen sei
vom Boden der PMR ausgegangen, dementierte neben PMR-Ministerien auch das moldauische Verteidigungsministerium.
Eine Erklärung für die distanzierte Betrachtung des Präsidenten des nach Russland orientierten Territoriums findet die moldauische Presse in den Interessen des Oligarchen Viktor Gushan, der Mitbesitzer des "Sheriff"-Imperiums ist und ein Viertel des BIP der PMR kontrolliert. In seinem Firmenkonglomerat von Tankstellen, Medien, Baufirmen, Getränkeproduktion, Fußballverein u.a. war Krasnoselsky Sicherheitschef, bevor er Politiker wurde. Gushan sehe aktuell keinen Gewinn darin, die laufenden Geschäfte durch unnötige Turbulenzen zu gefährden.
Die moldauische Zeitung Ziarul de Gardă (Chișinău) hingegen verweist am 5. März auf eine Mitteilung des "sogenannten
Außenministers" der PRM, der vor Provokateuren warnt,
die zu Demonstrationen aufriefen. Es herrsche wegen der Pandemie ein Demonstrationsverbot. Am 6. März kamen allerdings einige Leute in Tiraspol zusammen, um Russland und Putin zu unterstützen,
wie die Plattform newsmaker.md berichtet.
Als Reaktion auf "die geopolitische Entscheidung, die internationalen Grenzen und Einflusssphären im regionalen Raum zu verändern", wie das transnistrische Außenministerium das Aufnahmegesuch in die EU der Republik Moldova qualifizierte, verlange die PMR die Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft und warf Chișinău vor, "komplett die Diskussion der Fragen in existierenden Verhandlungsformaten, einschließlich der internationalen Plattform der 'Permanenten Koferenz' zu ignorieren". Tiraspol verlange einen Dialog mit Chișinău mit dem Ziel "einer endgültigen Verabredung der Beziehungen auf der Basis der zivilisierten gutnachbarlichen Beziehungen zweier unabhängiger Staaten."
Aus der Neutralität zur EU
In den vergangenen Tagen wurde die Republik Moldau von einer Reihe von PolitikerInnen aus der EU aufgesucht oder hatte durch Telefonate Anteil an der Aufmerksamkeit für die Lage des Landes an der EU-Grenze, das großteils von der Ukraine umschlossen ist. Präsidentin Maia Sandu telefonierte seit Beginn des Krieges am 24.2. mit dem rumänischen Staatspräsidenten Johannis, der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, dem niederländischen Ministerpräsidenten Rutte, dem kanadischen Premierminister Trudeau, Frankreichs Präsident Macron, US-Außenminister Blinken, die Premierministerin Natalia Gavriliţa sprach mit der litauischen Präsidentin Ingrida Šimonytė, In den Gesprächen ging es zumeist um finanzielle Unterstützung des Landes bei der Bewältigung der plötzlich auftretenden Flüchtlingskrise, bei der bisher 130 000 Geflüchtete aus der Ukraine in das Land kamen bzw. es als Transit nach Rumänien nutzten.
Die Staatschefs dankten der Republik Moldau für ihre Anstrengungen und Solidarität mit der Ukraine. Weiterhin wurden die aktuelle Lage und die Unterstützung des Landes diskutiert. Am 1. März kam die OSZE-Generalsekretärin Helga Maria Schmid nach Chişinău, um den Konvoi der ukrainischen OSZE-Mission zu treffen, der über die Moldau evakuiert worden war. 300 Personen waren in 80 z.T. gepanzerten Fahrzeugen über die nordmoldauische Grenzstation Ocniţa ein- und mittlerweile in ihre Heimatländer weitergereist. Gestern und heute ist der EU-Repräsentant für außenpolitische Fragen, Borrell und der Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung, Várhelyi, in Chişinău. Sie trafen mit Maia Sandu und Natalia Gavriliţa zusammen. Heute kommen der französische Außenminister Le Drian und der EU-Kommissar für Krisenfälle, Lenarcic, in die moldausch Kapitale. Übermorgen trifft US-Außenminister Blinken in Chişinău ein.
Während inländische PolitikerInnen der Republik Moldau wiederholt auf den Status des Landes zwischen Prut und Dnjestr als neutrales verwiesen, brachte nicht nur Sandu eine besondere Rolle der Moldau im Verhältnis zur EU zur Sprache, was sich nach dem Beitrittsantrag des ukrainischen Präsidenten Zelenskys ebenfalls auf eine Aufnahme der Republik Moldau in die EU fokussierte. Bereits vor einer Woche wurde der rumänische EU-Parlamentarier Siegfried Mureşan zitiert, wonach die Republik Moldau in dieser Krise nun wie ein Mitgliedsstaat behandelt werde und entsprechende finanzielle und humanitäre Unterstützung erhalte. Diese Aufmerksamkeit findende Erklärung hat sich in wenigen Tagen zur Aufforderung Mureşans verdichtet, jetzt einen Antrag auf Aufnahme in die EU zu stellen. Der frühere rumänische Präsident Traian Băsescu hatte bereits zu Beginn der Krise den Moment günstig für die Vereinigung der Moldau mit Rumänien erachtet. Mureşan: "Die Lage in der östlichen Nachbarschaft der EU hat sich fundamental geändert, es hat sich auch die Situation für die Republik Moldova geändert. Die Menschen können innerhalb der Grenzen der EU nur in Sicherheit leben, wenn die Länder der unmittelbaren Nachbarschaft der EU ebenfalls sicher, stabil sind und wenn Frieden herrscht. Die nächste Nachbarschaft zu verteidigen, bedeutet die EU verteidigen." Igor Grosu, der Parlamentspräsident, sagte heute, 3.3. zu, dass in kurzer Zeit Präsidentin Sandu einen Antrag zum Beitritt in die EU vorlegen werde. Dies geschah noch am frühen Abend in Chişinău. Ebenso hat Georgien einen solchen Antrag gestellt.
Nicht zu Wort kommen in den rumänischsprachigen Medien die Ansichten der russischsprachigen Bevölkerung. Durch die Verordnungen des Notstandsgesetzes hat der Rat für Ausnahmesituation ein besonderes Auge auf die russischsprachigen Medien, die eine hohe Quotenzahl erreichen und vielfach Beiträge aus russischen TV-Sendern ohne Kommentar übernehmen. Um der Gefahr der Manipulation und Propaganda entgegenzuwirken, hat der Serviciul de Informații și Securitate bereits 3 Portale geschlossen: Radio Sputnik Moldova, gagauznews.md und ehomd.md [am 3.3. noch/wieder zugänglich]. Bei Sputnik Moldova distanzierte sich der rumänischsprachige Teil der Belegschaft von der Geschäftspolitik des Portals und reichte die Kündigung ein. Die Behörde für die Überwachung der TV-Sender, Consiliul Audiovisualului (CA), sprach mehreren Sendern – darunter der reichweitenstarke RTR Moldova – Geldbußen zu, da sie nicht immer objektiv und vorurteilsfrei über den Ukrainekrieg berichteten. Diese Fehler seien in den eigenen Beiträgen passiert, nachdem die Sender komplett auf die Ausstrahlung von in Russland produzierter Beiträge verzichteten. (moldova.europalibera.org)
Der Krieg in der Ukraine überlappt sich in erstaunlicher Weise mit der Erinnerung an die bewaffnete Auseinandersetzung vor 30 Jahren in der Republik Moldova und der transnistrischen PMR, als sich die PMR von der Moldau abspaltete. Die Spitze des Staates gedachte des Ereignisses durch Kranzniederlegung am Ehrenmal in Chişinău am Ziua Memoriei și Recunoștinţei (Tag des Gedächtnisses und der Anerkennung). Der Präsident der PMR, Vadim Krasnoselsky, tat gleiches in Dubossari.
Über die aktuelle Atmosphäre in der Republik Moldova informiert dieses Gespräch zwischen Dr. Josef Sallanz und Dr. Florian Kührer-Wielach.
Rumänien –
Grenzstaat der EU zum Krieg
Abb.: https://www.youtube.com/watch?v=hXR0-4Ul0dU
Eine der ersten Reaktionen in der rumänischen politischen Öffentlichkeit auf den Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine stellte neben den Bekräftigungen der Verurteilung des russischen Vorgehens durch Präsident Klaus Johannis die mehrfach geäußerte Annahme dar, dass Rumänien wahrscheinlich Ziel von Flüchtlingen sein werde. Die Familienministerin Gabriela Firea (früher Bürgermeisterin von Bukarest) von der Regierungspartei PSD versprach am 26.2.2022, dass die vorher als Jugendlager genutzten Einrichtungen entlang der ukrainischen Grenze bereit für die Aufnahme von Flüchtlingen seien: "Wir haben für die Unterbringung der Flüchtlinge alle Lager für die Jugend in den Landkreisen an der Grenze zur Ukraine und zur Republik Moldau vorbereitet. Über 600 Plätze stehen zur Verfügung in 7 Erholungszentren." (www.adevarul.ro)
Der Premierminister Valentin Ciucă bekräftigte in der Frage der Gasversorgung, dass Rumänien auch bei Stopp der Lieferungen aus Russland sich selbst versorgen könne. Er sagte dies bei einem Besuch der Grenzstation Siret im Kreis Suceava am Freitag, 25.2., mit den Ministern Lucian Bode (Inneres), Vasile Dîncu (Verteidigung), Alexandru Rafila (Gesundheit) und dem DSU-Chef, Staatssekretär Raed Arafat sowie dem Vorsitzenden des Kreisrates von Suceava Gheorghe Flutur. "Ich hätte mir nicht vorstellen können, eine solche Situation zu erleben. In meiner langen Berufskarriere habe ich viele Orte mit sehr viel Leid gesehen, aber was ich jetzt gesehen habe, ist viel Leid, Menschen, die vom Horror eines Krieges betroffen sind, aber auch die Tatsache, dass Menschen mit den staatlichen Stellen sich mobilisiert haben". Dabei wurde er unterbrochen von einem Mann, der fragte, wer sich mobilisiert habe und darauf hinwies, dass bisher nur Freiwillige aktiv geworden seien. (www.adevarul.ro)
Inzwischen hat eine große Welle der Hilfsbereitschaft für die ukrainischen Flüchtlingen Rumänien erfasst. An den Grenzstationen werden Fahrgelegenheiten, Lebensmittel, Essen, Unterkünfte, Kleidung angeboten, die Spenden türmen sich in den Sammelpunkten. Das Wetter hat sich allerdings verschlechtert, Aufnahmen zeigen Ankommende am Übergang in Siret in Schneeschauern, geschützt nur durch dünne Zeltwände für den ersten Aufenthalt. Die Zahl der Ankommenden in Rumänien hat innerhalb einer Woche 110 000 überschritten, darunter 18 000 Minderjährige und Kinder. Etwa 70 000 haben das Land bereits wieder verlassen. Am Montag, 28.2., besuchte die Kommissarin für Inneres der EU, Ylva Johansson, die Grenze bei Siret und sprach in Bukarest mit Premierminister Ciucă und Staatspräsident Johannis.
Am Wochenende gingen mehrere Tausend RumänInnen auf die Straßen, um gegen den Angriff auf die Ukraine zu protestieren. In Iași waren es mehr als 700, die von der Piața Unirii bis zum Kulturpalast zogen, in Hermannstadt mehrere Hundert auf dem zentralen Ringplatz.
Politisch hat Präsident Johannis nach dem Überfall die schnelle Versorgung mit zusätzlichen Militäreinheiten von der NATO gefordert. Dies wurde beschlossen und die ersten 134 Soldaten einer schnellen Eingreiftruppe sind unter der Federführung Frankreichs als "strategischem Partner" am 1.3. in Rumänien angekommen, wie Johannis nach einem Telefongespräch mit dem französischen Präsidenten Macron mitteilte. Insgesamt sollen 500 Soldaten auch aus anderen Staaten in Rumänien zusätzlich stationiert werden. Vorher bereits stellte Johannis die Erhöhung des Verteidigungsetats von 2 auf 2,5% des BIP in Aussicht und bekräftigte die Unterstützung für die Aufnahme von Ukraine und Republik Moldau in die Europäische Union.
Expertentum unter Kriegsbedingungen -
Ukrainische Aktualität
Abb.:Screenshot https://www.youtube.com/watch?v=_a4vocyvOPU
Das Institut für europäische Politik (IEP) in Berlin veranstaltet seit längerer Zeit Frühstückskonferenzen zur Ukraine, um die spezifische politische Lage dieses Landes in den Blickpunkt wissenschaftlicher und politischer Reflexionen zu rücken. Die für den 25. Februar 2022 zum Thema Russia-Ukraine crisis: What role can Germany play in conflict resolution? geplante 24. Breakfast-Debate wurde angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine umgewandelt zu der Diskussion Russian invasion of Ukraine: What is the current situation and what can the West do?. Es sprachen unter Moderation von Ljudmyla Melnyk der Politologe Olexiy Haran (Ilko Kucheriv Democrativ Initiatives Foundation, DIF)aus Kiew, aus Warschau die geflüchtete Expertin Mariia Zolkina ebenfalls von DIF, aus der Nähe von Kiew die Wirtschaftswissenschaftlerin Nataliia Shapoval (Kyiv School of Economics, KSE)und der Sicherheitsexperte Janis Kluge von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sowohl Haran als auch Zolkina verwiesen auf die nur vorgeschobene Begründung des Angriffs auf die Ukraine mit der NATO-Ausbreitung und den Donbass-Aktivitäten. Diese spielten in Wahrheit keine große Rolle. Sanktionen hätten nur Sinn, wenn sie sofort in Kraft träten. Beide verwiesen auf Nachfrage des Publizisten Richard Herzinger auf das Instrument der "no-fly-zone", das die NATO und weitere Institutionen über der Ukraine installieren könne, um die Raketen- und Luftangriffe der russischen Armee zu stoppen. Shapoval verwies auf die möglichen Folgen etwa der SWIFT-Sanktionen für die europäische Bevölkerung, die aber zu akzeptieren seien. Kluge bezweifelte, ob Sanktionen schnell funktionieren und sprach über ihren möglichen "fallout", was Shapoval als die Haltung kritisierte, die die Ukraine jetzt nicht gebrauchen könne. Sie verwies aber auf die möglichen ökonomischen und finanziellen Reserven Russlands. Kluge zeigte daraufhin die mittel- und langfristigen Folgen der Sanktionen, die auf jeden Fall ihre desaströsen Wirkungen auf die Wirtschaft und Finanzwelt Russlands ausüben würden. Alle waren sich einig, dass die Ukraine militärisch allein dastehe, da sich die NATO nicht im Land engagiere. Zolkina betonte, dass Russland generell sich als Sieger präsentiere, da der Westen nur in Kategorien des Wohlstands und möglicher Konsequenzen für die Prosperität denke, Russland bzw. Putin tue dies nicht. Die ukrainischen DiskutantInnen betonten die Bedeutung der Unterstützung und der Information in westlichen Ländern und baten um Einwirkung auf die dortigen Regierungen.
Das IEP hat die zentralen Statements der ukrainischen TeilnehmerInnen online zugänglich gemacht. Sie sind unter folgendem Link abrufbar: https://www.youtube.com/channel/UCqrw9ab8TCqeMcW4t5LhE-g.
Flüchtlinge und Notstandsverordnung
In einer kurzfristig einberufenen Sitzung verhängte am Donnerstagabend das Parlament für 60 Tage den Notstand über die Republik Moldau. Alle 88 anwesenden ParlamentarierInnen stimmten für den Vorschlag. Premierministerin Natalia Gavrilița nannte 20 Punkte, die im Zentrum der Verordnungen stehen, darunter die Einreiseregelungen, die Reisemöglichkeiten, die Überwachung der Medien auf mögliche Falschmeldungen und Provokationen, das Versammlungsrecht, die Sicherung der Infrastruktur und der Versorgung mit Lebensmitteln u.a.
Die moldauische Innenministerin Ana Revenco teilte mit, dass bis 8 Uhr morgens am 25. Februar, über 15600 UkrainerInnen in die Republik Moldova gekommen seien. An der meist frequentierten Übergangsstelle Palanca (im Süden des Landes nahe Odessa) habe es eine 20 km lange Autoschlange gegeben, die während der Nacht auf 8 km gesunken sei, am Vormittag aber wieder anwachse. Die meisten Ankommenden geben an, Verwandte und Freunde zu besuchen und keine Unterbringung zu benötigten. Einige hundert beantragen allerdings auch Asyl, während 3100 weiter nach Rumänien reisen wollten. Die Innenministerin teilte weiter mit, dass der Zugverkehr zwischen Chișinău und Odessa eingestellt sei.
Die moldauische Eisenbahngesellschaft CFM ergänzte diese Aussage mit der Nachricht, dass die wegen der Pandemie eingestellte Verbindung von Chișinău nach Iași in Rumänien wieder eröffnet werde, um insbesondere den dortigen Flughafen zu erreichen, nachdem der Flugraum in der Republik Moldau geschlossen wurde.
Die moldauische Tageszeitung Ziarul de Gardă berichtet, dass sie über Informationen verfügt, wonach der Präsident der "vorgeblichen Transnistrischen Moldauischen Republik", Vadim Krasnoselsky, mitgeteilt habe, dass er der ersten Sitzung der Operationseinheit in Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine beigewohnt habe. Es sei dabei um die Voraussetzungen für die Unterkunft von Flüchtlingen gegangen sei. Von 5140 Personen, die die "Grenze" zwischen der transnistrischen Region und der Ukraine übertreten haben, seien 770 nach Ukraine ausgereist, aber 4370 nach Transnistrien, die vor allem Verwandte und Freunde besuchen wollten. Über 1000 gaben an, das Gebiet nur zur Durchreise zu benutzen. 140 wurden vorübergehend in Unterkünften untergebracht.
Die Pressemitteilung des Präsidentenbüros erkläre weiterhin, dass "die Behörden die nötigen Maßnahmen veranlasst haben, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten." Wie Ziarul de Gardă weiterhin von dieser offiziellen Stelle erfuhr, sei das Personal von Spezialeinheiten in Kasernen beordert worden.
Die Schlangeninsel (rum. Insula Șerpilor) – eine winzige Insel 45 km vor der ukrainischen Küste und der rumänischen Donaumündung, die seit 1948 zur Sowjetunion und nach deren Untergang zur Ukraine gehört (und eine gewisse Rolle in der Nationalmythologie Rumäniens spielt) - wurde von einem russischen Kreuzer beschossen und erobert. Die dort befindlichen Grenzpolizisten wurden getötet, wie mehrere Medien melden.
[Update: 28.2.2022
Die Zeitung Ziarul de Gardă berichtet, dass nach Angaben der ukrainischen Marine die Grenzpolizisten der Schlangeninsel nicht getötet, sondern von russischen Einheiten gefangen genommen worden seien. Die Infrastruktur der Insel wurde zerstört.]
Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte gestern, dass die russischen Militärs einen Landkorridor im Süden von der Krim bis zur "so genannten transnistrischen Republik" herzustellen beabsichtigen. Dies sei das Ziel der Angriffe auf Odessa, Cherson und andere Ziele an der Südküste des Schwarzen Meeres.
Auf der Videokonferenz der B9-Staaten hat Rumäniens Präsident Klaus Johannis eine "kohärente und einheitliche Verbesserung der Abschreckungs- und Verteidungsposten auf der östlichen Flanke, besonders am Schwarzen Meer", gefordert. Journalisten der Nachrichtenagentur Reuter haben recherchiert, dass seit Januar kein NATO-Schiff mehr das Schwarze Meer befahren habe, obwohl die Stärkung der Präsenz mehrfach beteuert wurde. Das nächste Kriegsschiff bei Ausbruch des Krieges befand sich im Mittelmeer. Russland hingegen habe seit Monaten die ukrainische Handelsschiffahrt behindert. Ursache seien Unstimmigkeiten und Rücksichten auch auf das NATO-Mitglied Türkei. Die NATO verlegt nun mehrere tausend SoldatInnen auch nach Rumänien.
Die Nähe zum Zentrum des Krieges
Moldova - PMR - Rumänien
Die strategischen Entscheidungen des russischen Präsidenten Vladimir Putin am 21.2.22 zur "Anerkennung" der abtrünnigen Donbass-Regionen Sluhansk und Donezk haben weltweit, aber insbesondere auch in ihrer geopolitischen Nähe deutliche Wirkungen gezeigt. Die Republik Moldova mit dem abtrünnigen Landesteil PMR, einem "eingefrorenen Konflikt" seit der Staatsgründung 1991, erkennt die Gefahr durch die sehr ähnliche Situation, wie sie in der Ostukraine herrscht und nun zum rhetorischen Anlass für den Einmarsch geworden ist.
Die Präsidentin der Republik Moldova, Maia Sandu, verurteilte am 22.2.22 "nachdrücklich die 'Anerkennung' der separatistischen Regionen Donezk und Sluhansk der Ukraine durch die Russische Föderation. Dies widerspricht eindeutig dem internationalen Recht. Die Republik Moldova bleibt fest engagiert in der Unterstützung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine im Rahmen ihrer international anerkannten Grenzen." Ähnlich äußerte sich auch der Außenminister und stellvertretende Premierminister Nicu Popescu. Sandu wies im Rahmen der Einberufung der Arbeitsgruppe zur regionalen Sicherheit besonders auf die Datensicherheit und den Schutz des informationellen Raumes der Republik Moldova vor Falschmeldungen und Manipulationen hin. Zugleich verband sie diese Absicht mit Blick auf die ukrainische und russische Minderheit in Moldova: "Jeder bewaffnete Konflikt löst Wellen der Propanda aus, die Angst, Hass und Auflösung in der Gesellschaft bedeuten können. Ich rufe die Institutionen des Staates auf, aufmerksam die Quellen von Falschmeldungen, Aufrufen zu Hass und Propaganda zu beobachten." Ebenso berief sie sich auf ihre Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz und ihr Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz, um die gemeinsame Perspektive in Europa auf die Ereignisse zu bekräftigen.
Der neue moldauische Vizepremier für den Kontakt mit der PMR, Oleg Serebrian (früherer Botschafter von Moldova in Berlin), sagte am 22.2. zur Frage "Transnistrien" (PMR): "Ich weiß nicht, ob in der Position Russlands eine semnifikative Änderung in Hinsicht auf den transnistrischen Konflikt geschehen wird, d.h. es hängt davon ab, wie sich die Situation in der Ukraine entwickelt. Wenn die Dinge anhalten, also sich eine Art status quo erhält, die Anerkennung der beiden Einheiten durch die Russische Föderation und die Einführung russischer Truppen, diese extrem besorgniserregende Nachricht, die Einführung russischer Truppen in den Donbas, aber wenn es dort anhält, dann ist klar, dass sich die Dinge für uns nicht sehr ändern, zumindest für den Moment. Wenn es eine Verschlechterung der Situation in der Ukraine gibt, wenn die Bewegungen sehr viel größer, komplexer werden, wenn sich eine Offensive von großen Ausmaßen, wie sie für einen Moment erwartet wird, ergibt, natürlich wäre es so, dass leider auch wir davon betroffen wären."
Über die Rede Putins sagte Serebrian: "Es war im Allgemeinen eine besorgniserregende Rede, d.h. für die Sicherheit der Staaten im Schwarzmeer-Raum, nicht nur für die Ukraine, weil indirekt, obwohl die Ukraine anvisiert wurde, durch Ablenkung auch andere Länder, einschließlich der Republik Moldova sich durch diese Rede betroffen sahen. Es wurde die Sicherheit des Schwarzmeer-Raums allgemein in Diskussion gestellt, ein status quo, der sich über Jahrzehnte gebildet hat."
Einen Tag später, heute am 24.2.22 haben sich die die bis frühmorgens noch vage erscheinenden Optionen alle in Richtung der massiven Auswirkungen auf die Region an der Grenze zum EU-Staat Rumänien verschoben: Mit dem Angriff russischer Truppen um 5:30 Uhr russischer Zeit auf die Ukraine von Norden (Belarus) und Osten stehen die Republic Moldova, das de facto-Regime der nicht anerkannten Pridnestrowischen Moldauischen Republik (PMR; "Transnistrien") und die Grenze nach Rumänien im Blickpunkt der künftigen Entwicklung.
Aktuell hat die moldauische Präsidentin Maia Sandu angekündigt, das Parlament zur Auszurufung des Ausnahmezustands aufzufordern. Es werde zudem eine Sitzung der "Kommission für außergewöhnliche Situationen" stattfinden. Sandu rief alle BürgerInnen der Republik Moldau, die sich im Nachbarland Ukraine befinden, auf, umgehend zurückzukehren. Es seien alle Grenzstellen geöffnet und zusätzliches Personal im Einsatz. Auch werde sich auf eine mögliche höhere Zahl von Einreisen aus der Ukraine eingestellt und Notunterkünfte eingerichtet. Sandu erklärte, dass sie die Einheiten des Innenministeriums angewiesen habe, durch verstärkte Kontrollen die Möglichkeit von Provokationen in der Bevölkerung zu verhindern.
Um 12.00 Uhr Ortszeit wurde der Luftraum der Republik Moldova geschlossen. Die Luftfahrtbehörde CAA und der Minister für Infrastruktur teilten mit, dass auf NOTAM-Hinweis ("Informationen über zeitlich befristete Änderungen zum Luftfahrthandbuch (AIP), die von Bedeutung für den Flugverkehr sind") der Ukraine und Russlands über erhöhte Gefahren für die Zivilluftfahrt in Moldova, der Luftraum geschlossen wurde. Alle Flüge den Flughafen Chișinău betreffend werden nach Iași in Rumänien umgeleitet. (Quelle: https://www.caa.md/spatiul-aerian-al-republicii-moldova-a-fost-inchis-incepand-cu-ora-locala-1200-am-3-485) Vor der Schließung waren einige in die Ukraine vorgesehene Flüge in Chișinău gelandet.
Die Sprecherin des Verteidigungsministeriums, Maria Aramă, dementierte Nachrichten in den sozialen Netzen, dass die Ukraine aus der PMR angegriffen werde, als falsch. Auch das Innenministerium wies solche Informationen zurück.
Auf der Seite der moldauischen Zeitung Deschide werden Fotos gepostet, die angeblich Angriffe in der Region Odessa nahe Lipețkoe zeigen, wo 18 Angehörige einer Militäreinheit bei einem Angriff getötet worden seien.
Die Zeitung Ziarul de gardă berichtet, dass der Präsident der PMR, Vadim Krasnoselsky, erklärt habe, dass "die Führung der PMR kontrolliert vollständig die Situation in der transnistrischen Region, sie sichert die Stabilität und Sicherheit seiner Bürger." Weiterhin: "Gegenwärtig gibt es keine Gründe für die Einführung des Notstandes oder anderer Spezialregime. Alle Institutionen des Staates funktionieren in einem gewohnten Format. Die Situation der Sicherheitszone [Pufferzone zwischen PMR und Republik Moldova; u.Anm.] ist stabil und unter Kontrolle. Die Autoritäten und Verwaltung des Staates werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen für das gute Funktionieren der Kontrollpunkte an den Grenzen zur Ukraine und der Republik Moldova, wie auch, um ausländische Bürger zu helfen, die zeitweilig auf das Territorium der PMR kommen."
Mit der möglichen Invasion der ganzen Ukraine stellten sich in den vergangenen Tagen in Rumänien PolitikerInnen und BeobachterInnen die Frage, ob eine größere Anzahl von Flüchtlingen eine der Folgen der Ereignisse sein könnte. Heute, 24.2., ist nach Meldungen des Portals adevarul.ro bereits eine 10 km lange Autoschlange am Grenzübergang Siret, südlich von Czernowitz in Richtung Rumänien zu beobachten.
Aus der ukrainischen Stadt Mariupol nahe der Grenze zu den Donbass-Regionen und der Krim sandte der rumänische Journalist Mircea Barbu für die Zeitung Libertatea Bilder und Eindrücke, die zeigen, dass zwar in der Nähe Angriffe auf militärische Einrichtungen zu hören seien, in der Stadt selbst aber noch Ruhe und Sorge über die künftige Entwicklung vorherrschten.
Präsident Klaus Johannis kündigte am 22.2. nach einer Diskussion mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda über die Sicherheit des Schwarzmeer-Raums für Freitag, 25.2., ein Treffen des B9-Formats in Warschau an. B9 umfasst die Verteidigungsminister von 9 NATO-Staaten in Südosteuropa.
Heute, 24.2., erklärte der von der gestrigen Sitzung der EU-Spitzen in Brüssel zurückgekehrte Johannis nach einer Sitzung des CSAT (Consiliului Suprem de Apărare a Țării, Höchster Verteidigungsrat des Landes): "Rumänien verurteilt fest die komplett ungerechtfertigte, illegale und nicht provozierte Aggression der russischen Armee gegen Ukraine, die unzählige Menschenleben in Gefahr bringt." Der Präsident fügte hinzu: "Ich möchte sehr klar unterstreichen: Rumänien wird nicht in den militärischen Konflikt der Ukraine hineingezogen werden! Noch mehr, ich versichere Ihnen, dass wir alle Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, gemeinsam mit der Regierung, dem Parlament und unseren internationalen Alliierten, damit die Sicherheit der rumänischen BürgerInnen in keiner Form betroffen sein wird."
Mittlerweile hat die NATO zum ersten Mal die besonderen Verteidigungsspläne für Osteuropa aktiviert. Darin dürfte Rumänien in der aktuellen Situation eine besondere Rolle spielen.
Verlängertes Interim
Versuche der Regierungsbildung in der rumänischen Krise
Nach dem Sturz der Regierungskoalition von PNL, UDMR und USR unter Premierminister Florin Cîțu (PNL) am 5.10., verhandelte Staatspräsident Klaus Johannis zunächst eine mögliche Regierung mit dem USR-Chef Daniel Cioloș als Premierminister, die jedoch nicht die erforderliche Mehrheit im Parlament erreichte. Danach wurde dies auch mit dem von der PNL-Führung ins Spiel gebrachten früheren General Nicolae Ciucă (PNL) versucht. Diese überraschende Variante sah sich aber immer deutlicheren Anzeichen gegenüber, dass dafür ebenfalls keine Parlamentsmehrheit in Aussicht sei, so dass am 1. November 2021 Ciucă nach einer Sitzung des Exekutivbüros seiner Partei den Verzicht auf das Amt bekannt gab. Damit ist die Frage wieder offen, wer welche Regierungskoalition mit welchem Personal bilden kann. Die USR ließ erkennen, dass sie auf eine Wiederauflegung der PNL-USR-UDMR-Koalition rechnet, wobei die Frage bleibt, wer diese anführen solle, nachdem Cîțu in starke Kritik geraten ist. Die PNL erklärte, dass sie mit allen demokratischen Kräften des Parlaments, (ohne AUR), über eine mögliche Koalition verhandeln wolle. Von der PSD ist zu hören, dass sie als stärkste Partei im Parlament den Eintritt in die Regierung fordert.
Zwei Faktoren spielen bei der aktuellen politischen Krise eine große Rolle: der Zustand der PNL und damit zusammenhängend die wachsende Kritik an Präsident Johannis. Seit Florin Cîțu den Parteichef Ludovic Orban mitten in der katastrophalen Coronapandemie bei einem Präsenzparteitag in Bukarest mit 5000 TeilnehmerInnen (unter ihnen Johannis als Parteimitglied mit ruhendem Mandat) mit der schwachen Mehrheit von 60% der Delegierten ablöste, droht der Partei das Auseinanderbrechen. Ist der Austritt von 12 Abgeordneten aus der PNL-Fraktion noch als Zeichen des immer noch nicht überwundenen traseism (Wechsel der Abgeordneten in eine neue Mehrheit versprechende Fraktion) interpretierbar, so machte der unterlegene frühere Vorsitzende Orban deutlich, dass er und seine Anhänger kaum noch etwas mit Cîțus Partei zu tun haben wollen. Dies trifft auch auf die Einschätzung des Staatspräsidenten durch Orban zu, in einem Interview mit dem Skandalsender Realitatea plus wurde der frühere Premierminister deutlich: "Wir haben einen Präsidenten, der vollkommen die Richtung verloren hat, der scheint es, vergessen hat, dass er Präsident Rumäniens ist und sich verhält, wie ein ausländischer Tourist, der sich in Rumänien aufhält und dabei komplett die Verpflichtungen gegenüber den rumänischen Bürgern vergisst und gegen die Interessen Rumäniens handelt." Orban bezeichnet Johannis als Urheber der aktuellen politischen Krise, der die Entscheidung getroffen habe, die PNL-USR-Koalition nicht zu wiederholen. Johannis, Cîțu und die Umgebung von Cîțu "pur și simplu au înnebunit" (sind einfach verrückt geworden). Als Folge solcher Statements steht der Parteiausschluss Orbans im Raum.
Orban bestätigte zudem die Möglichkeit eines erneuten Amtsenthebungsverfahrens gegen den Staatspräsidenten, das er unterstützen würde. Mittlerweile hat die anti-europäisch-nationalistische AUR ein solches in die Wege geleitet, dem aber wohl wenig Erfolg beschieden sein wird. USR-Vorsitzender Daniel Cioloș sagte hierzu, es gebe genug Probleme, eine weitere Krise sei keine Lösung. Vielmehr brauche es eine stabile Regierung, die das Land aus der Krise führe.
Mittlerweile hat die PNL mit den Parteien im Parlament Verhandlungen geführt - sowohl PSD als auch USR haben ihre
Bereitschaft zur Koalition geäußert. Als Ergebnis der Beratungen hat der erweiterte Vorstand der PNL am 8.11.2021 mit 48 zu 22 Stimmen entschieden, dass sie mit der PSD Verhandlungen zur Regierungsbildung aufnehmen will. Dafür sei ein Zeitrahmen von zwei Wochen vorgegeben. Der frühere Parteichef Orban bezeichnete diese Entscheidung
als "politischen Selbstmord".
Rumäniens Turbulenzen
Politische Windschattenexistenz beendet
Die Wahlen am 6. Dezember 2020 sollten eigentlich die langwährende Vorherrschaft der postkommunistischen PSD endgültig beenden und mit einer konsolidierten Regierung der "bürgerlichen" Nationalliberalen Rumänien in eine neue "Normalität" führen. Wer genauer hinschaute, musste sich allerdings die Frage stellen, inwieweit die PNL selbst Teil der problematischen Politiklandschaft Rumäniens war und nicht der Garant von Anti-Korruption, sozialem Ausgleich, Chancengerechtigkeit. Es kam dann sehr unerwartet: Bei der geringsten Wahlbeteiligung seit der Wende kam die PSD auf 30 % der Stimmen und wurde wieder stärkste Kraft, so dass Staatspräsident Klaus Johannis auf eine Koalition der Rechts-Mitte-Parteien drängte.
Seit der damalige Finanzminister Florin Cîțu nach dieser Wahlschlappe den Parteichef der Nationalliberalen (PNL), Ludovic Orban, als Premierminister ablöste, blieb die Koalitionsregierung mit dem aufstrebenden neobürgerlich-alternativen Parteienbündnis USR-PLUS (Uniunea Salvați România-Partidul Libertății, Unității și Solidarității) und der Ungarnpartei UDMR nicht sehr lange in ruhigem Fahrwasser. Auch die USR-PLUS hatte bei den Wahlen im Dezember nicht die erhoffte deutliche Steigerung erreicht. Die von Staatspräsident Klaus Johannis favorisierte Koalition geriet erstmals ins Wackeln, als Cîțu den seit seiner Porträtierung in dem Oscar-nominierten Dokumentarfilm Colectiv von Alexander Nanau sehr bekannten Gesundheitsminister Vlad Voiculescu wegen einer neuen Anordnung über die Verhängung von Quarantänen am 14. April 2021 entließ. Die von dieser Entlassung nicht konsultierte USR schluckte letztendlich den Affront, machte aber zugleich deutlich, dass weitere Pressionen des Koalitionspartners und Alleingänge Cîțus nicht akzeptabel seien. Die Schwierigkeiten in der Pandemie-Bekämpfung mit Anwachsen der Impfgegnerschaft, die zuletzt zu großen Demonstrationen gegen die Regierung führte, ein weiteres Großfeuer auf einer COVID-Intensivstation in Constanța, die ansteigenden Preise für Energie haben in den vergangenen Wochen den Erosionsprozess der politischen Unterstützung der Regierung verstärkt. Als Anfang September Cîțu den USR-Justizminister Stelian Ion entließ, brach die Koalition auseinander: Die 6 verbliebenen Minister von USR-PLUS traten zurück und die Partei kündigte an, nur in einer Regierung ohne Cîțu mitzuarbeiten. Zugleich stellte sie zusammen mit der rechtsnationalistischen Impfgegnerpartei AUR (Alianța pentru Unirea Românilor) einen Misstrauensantrag gegen die verbliebene PNL-Regierung, der mittlerweile durch einen weiteren Antrag der PSD ergänzt wurde.
Seither entwickelten die Ereignisse eine hohe Eigendynamik: Auf einem PNL-Parteitag kandidierte Cîțu als Gegenkandidat zu Parteichef Orban und 'gewann' mit nur 60% der Stimmen, was die Partei vor eine Zerreißprobe stellt. Auch bei USR-PLUS stand eine Urwahl an, die den früheren Premierminister eines Technokraten-Kabinetts und Europapolitiker Dan Cioloș an die Spitze führt. Cîțu ersetzte die USR-Minister durch eigene und UDMR-Leute, entließ zudem die USR-Staatssekretäre, aber auch alle von der USR gestellten Präfekten in den Kreisen und versuchte sich durch verfassungsrechtliche Schritte über das mögliche Misstrauensvotum hinaus an der Regierung zu halten.
Das Ganze spielt in Wochen einer dramatischen Zunahme der Corona-Infektionen, die nicht zuletzt auf einen ebenso dramatischen Zurückgang der Impfbereitschaft zurückzuführen ist. Der Arzt und USR-Vizevorsitzende des Gesundheitsausschusses des Abgeordnetenhauses Adrian Wiener stellte Ende September fest, dass Rumänien an einem Tag doppelt so viele Sterbefälle wegen COVID als der Rest Europas und sechs Mal mehr als weltweit im Durchschnitt aufweise. Über 1000 Menschen liegen auf Intensivstationen, die fast völlig ausgelastet sind. Es stehe dem Land eine humanitäre Katastrophe bevor. Aktuell haben sich vom 4. auf den 5. Oktober 2021 über 15000 Menschen neu infiziert, 252 sind in dem 24-Stunden-Zeitraum verstorben. Die Impfquote liegt nach dem erfreulich hohen Beginn immer noch unter 30 %, 5 434 000 Menschen sind vollständig geimpft.
Ein weiterer Einbruch der Stimmung stellte am 1. Oktober der Brand einer Intensivtation in Constanța dar, bei dem 7 Patientinnen starben und der wieder das Thema der Verantwortungslosigkeit, Unfähigkeit und Rücksichtslosigkeit der politischen Klasse hochkochte. Am vergangenen Wochenende fanden zahlreiche Demonstrationen von ImpfgegnerInnen statt, die von AUR unterstützt wurden und die Stimmung weiter anheizten.
Viele BeobachterInnen sehen die Ursache der Regierungskrise in der Rivalität von Cîțu und Orban um den PNL-Parteivorsitz, die Cîțus Profilierungsabsichten ins Extrem führt habe. Staatspräsident Johannis scheint wenig gegen diesen Kurs zu unternehmen. Aus der politischen Lage ist eine tiefe Krise der öffentlichen Angelegenheiten Rumäniens geworden, die mittlerweile viele über die politischen Schachzüge hinaus nach der Zukunft des Landes fragen lassen.
UPDATE 5.10.2021
Wie zu erwarten, hat das rumänische Parlament dem Misstrauensantrag der PSD gegen die
Regierung Cîțu stattgegeben. Damit ist die Regierung gestürzt und nur
noch geschäftsführend bis zur Vereidigung einer neuen Regierung im Amt.
PAS gewinnt absolute Mehrheit!
Nach dem auf der Website alegeri.md publizierten Endergebnis der Parlamentswahl in der Republik Moldau am 11.7.2021 hat PAS, die Partei der Staatspräsidentin Maia Sandu, die absolute Mehrheit der Stimmen gewonnen. Sie erreichte 52,80% der Stimmen. Ihr folgen mit 27,17% der Stimmen der Block der Kommunisten und Sozialisten Moldaus (BECS) und die Partei "Șor" mit 5,74%. Keine weitere Partei überschritt die 5%-Hürde. Die Wahlbeteiligung lag bei 48,41% der Stimmberechtigten.
Die Stimmenverteilung im Parlament sieht 63 Mandate für PAS vor, 32 für BECS und 6 für "Șor".
PAS, BESCM und "Șor" im Parlament - und sonst niemand!
Wahl in Moldova
Möglicherweise verfehlt die Partei PAS der moldauischen Präsidentin Maia Sandu bei den Wahlen zum Parlament die absolute Mehrheit. PAS führt aber deutlich vor dem Wahlblock der Kommunisten und Sozialisten (BECS) sowie der Partei "Șor". Um 23:40 Uhr Lokalzeit ergab die Auszählung von 81% der Stimmlokale 47,01% für PAS, 31,12% für BECS, 6,88% für "Șor"; unterhalb der Hürde erreichte der Block des Politikers Renato Usati 4,33%.
Die erstmals angetretene neue rumänisch-nationalistische Partei AUR kam demnach nur auf 0,46%.
Auf jeden Fall scheint das Kalkül der Präsidentin, mit dieser vorgezogenen Wahl die Basis ihrer Partei im Parlament zu vergrößern, voll aufgegangen zu sein. Sicher scheint zudem, dass keine andere Partei die Prozenthürde zum Eintritt ins Parlament geschafft hat.
Moldova und die alegeri anticipate
Maia Sandu hofft auf bessere Verankerung im Parlament
Dass am 11. Juli 2021 wieder einmal vorgezogene Parlamentswahlen (alegeri anticipate) in der Republik Moldau stattfinden, stellt nach den dort üblichen politischen Überlegungen einen Sieg für die vergangenes Jahr gewählte Staatspräsidentin Maia Sandu und ihre Partei PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate) dar. Denn PAS geht davon aus, dass nach dem Sieg bei den Präsidentenwahlen möglicherweise jetzt auch im Parlament mehr Sitze zu gewinnen und damit erst die Reformabsichten der formal wenig einflussreichen Präsidentin verstärkt umsetzbar sind.
Wegen dieser Absicht der Stärkung der Präsidentenposition in den Entscheidungsprozessen war die Entscheidung für Neuwahlen heftig umkämpft. Die bisher regierende Koalition aus PSRM/"Șor" widersetzte sich vehement den Neuwahlen, allerdings konnte sie zweimal keine handlungsfähige Regierung stellen, was die Entscheidung der Präsidentin für Neuwahlen legitimierte. Zudem lehnte das Verfassungsgericht CCM (Curtea Constituționale ale Republicii Moldovei) die Verlängerung des von der Regierung wegen der Pandemie verhängten Ausnahmezustands ab, der die Abhaltung von Neuwahlen verhindert hätte. In diesem Zusammenhang verursachte die Ersetzung der Präsidentin des Verfassungsgerichts, Domnica Manole, durch die regierende Koalition am 24. April große Aufmerksamkeit. Verlautbarungen der EU-Botschafter in Chișinău, der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen, des US-Botschafters und der Venedig-Kommission mahnten in der kritischen Situation die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren und die Vermeidung von Spannungen in der moldauischen Republik an. Die Interimpräsidentin des Gerichts vermeldete umgehend, dass diese Entscheidung der Regierung nicht gültig sei und Manole weiterhin Präsidentin des Verfassungsgerichts bleibe.
Umkämpft ist immer noch die Frage der Zahl der für die Diaspora einzurichtenden Wahllokale, die bis zum höchsten Gericht getragen wurde. Die Curtea de Apel Chișinău entschied, dass statt zunächst nur 139 nun mindestens 190 Wahllokale im Ausland geschaffen werden müssen und entsprach damit den Forderungen von Oppositionsparteien. Dies auch angesichts der Meldungen, dass bisher sich über 93000 Moldauer*innen in der Diaspora für die Stimmabgabe haben registrieren lassen – ein Rekord nach 60000 Anmeldungen bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen. Dennoch kritisieren Beobachter*innen, dass weiterhin Nachteile für Wähler*innen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien existieren, hingegen Wähler*innen in den USA, Rumänien und Russland bevorzugt würden. Währenddessen legte die Zentrale Wahlkommission (CEC) die Zahl der Wahllokale in der Diaspora auf 150 fest, was ihr wiederum Kritik eintrug. Die Liste der Wahlorte wurde mittlerweile veröffentlicht.
Für die 258 000 Wahlberechtigten "links des Dnjestr" (d.i. Transnistrien) wurden 41 Wahllokale nahe der Grenze und in der Hauptstadt Chișinău eingerichtet, wogegen allerdings DA protestierte und lediglich 28 Lokale forderte.
Von 53 von der CEC zu den anticipate am 11. Juli 2021 zugelassenen Parteien, Gruppierungen und einem Einzelkandidaten werden 23 an der Wahl teilnehmen. Sandus Partei PAS hofft auf eine Vergrößerung der Zahl ihrer Parlamentsfraktion, ohne aber das frühere Wahlbündnis ACUM mit der Partei DA von Alexandru Năstase zu erneuern. Währenddessen haben sich die Regierungspartei der Sozialisten PSRM unter dem von Sandu abgelösten Präsidenten Dodon mit dem PCRM unter dem früheren Präsidenten Voronin in einem Wahlbündnis BECS (Blocul Electoral al Comuniștilor și Socialiștilor) zusammengeschlossen. Ebenfalls als Bündnis präsentieren sich der Partidul Nostru des umstrittenen Bürgermeisters von Bălți, Renato Usatîi und der Partidul Patria als Blocul Renato Usatîi, der hofft, mehr als die für Wahlblöcke nötigen 7% der Stimmen zu erhalten.
Weiterhin treten die bisherige Regierungspartei "Șor" des gleichnamigen, wegen Strafverfolgung in der Sache des Milliardenraubs bei der Nationalbank nach Israel geflüchteten Oligarchen an, sowie der Partidul Democrat Moldovei (PLDM) und der unionistische Partidul Unității Național (PUN) des Historikers Octavian Țîcu. Neu ist die Kandidatur der Partei AUR in der Republik Moldau, die in Rumänien mit ihrem nationalistischen, auf die Einheit der Rumänen und Moldauer zielenden Programmatik ins Parlament einzog. Ebenfalls erstmals will sich die im Parlament als Absplitterung von der PD bereits vertretene Partei Pro Moldova des Andrian Candu dem Wahlvolk stellen.
Eine Prognose sieht PAS und BECS als stärkste Kräfte, mit einem Vorsprung von PAS. Demnach würden andere Parteien nicht die entsprechenden Hürden von mindestens 5% Stimmenanteil erreichen.
Koalitionsverhandlungen abgeschlossen
Die vier Parteien UDMR, PNL, USR und PLUS haben am Montag, 21.12.20, ihre Koalitions-verhandlungen abgeschlossen. Sie gehen mit dem Vorschlag, den Finanzminister Florin Cîțu (PNL) als neuen Premierminister zu installieren, in die Gespräche mit Staatspräsident Klaus Johannis, der den Vorschlag bestätigen muss. Der zurückgetretene Regierungschef Ludovic Orban (PNL) soll Abgeordnetenkammerpräsident werden, Senatspräsidentin die USR-PLUS-Politikerin Anca-Danu Dragu. Die Vorsitzenden der Koalitionsparteien, Kelemen Hunor (UDMR), Orban, Dan Barna (USR) und Dacian Cioloș (PLUS) erwarten eine sichere Mehrheit für ihre Regierung im Parlament, in dem die PSD die stärkste Partei (110 Abgeordnete) und zudem die neue Partei AUR mit 41 Sitzen vertreten ist. Die Koalition kommt auf 169 Stimmen, sie kann allerdings auch auf die Mehrheit der 18 Stimmen der Minderheiten rechnen, die traditionell mit der jeweiligen Regierung stimmen.
Wie weiter in Rumänien?
Sondierungen in der politischen Gerüchteküche
Dieses Ergebnis der Wahl am 6. Dezember 2020 haben die wenigsten vorhergesehen. Durch die sehr geringe Wahlbeteiligung von nur 32% – die schwächste bei Parlamentswahlen seit der Revolution 1989 – erreichen die ca. 2 Mio StammwählerInnen des PSD (Partidul Social Democrat) nun fast 30% der Stimmen und dieser wird damit die stärkste Partei im Parlament. Der regierende Partidul Național Liberal (PNL) erreicht nur 24%, die in den Lokal- und Kommunalwahlen Ende September noch erfolgreiche USR-PLUS kommt über 14% kaum hinaus. Ex-Premierminister Victor Pontas PSD-Abspaltung ProRomânia schafft die 5%-Hürde nicht, möglicherweise auch der PMP nicht. So bleiben mit der UDMR (6% durch ihre ungarischsprechende Stammwählerschaft) möglicherweise nur 4 Altparteien in den beiden Häusern des Parlaments - und eine Überraschungsformation, die niemand vorher im Blick hatte: AUR (Gold; Alianța pentru Unitatea Românilor) erreicht fast 9% und ist damit aus dem Nichts durch nationalistische Töne und den zentralen Fokus auf eine Vereinigung mit der Republik Moldova viertstärkste Partei geworden.
Diese Konstellation ist nicht angenehm für Präsident Klaus Johannis und den ihm nahe-stehenden PNL: Nach dem Rücktritt des PNL-Chefs Ludovic Orban als Premierminister käme ein neuer PNL-Premier mit USR-PLUS nur auf 38% der Stimmen und Sitze und bliebe in der Minderheit gegenüber PSD, UDMR und AUR. Wie so oft würde die UDMR das Zünglein an der Waage spielen müssen und die Regierung fallweise tolerieren oder sogar als weiterer Koalitionär in die Regierung eintreten, was eine Mehrheit von 41% gegenüber 38% von PSD und AUR ermöglichen würde – keine Aussicht auf wirklich stabile Mehrheitsverhältnisse in den nächsten 4 Jahren. Sollte der PMP doch noch die 5%-Hürde schaffen und sich an der Koalition beiteiligen, läge die Mehrheit der Koalition immer noch unter 50%.
Der PSD unter ihrem Chef Marcel Ciolacu wird wieder einmal die Konfrontation mit dem Staatspräsidenten suchen und als stärkste Kraft im Parlament die Regierungsbildung reklamieren, ohne entsprechende Koalitionspartner nennen zu können. Es sei denn die UDMR und AUR würden ihr zu einer Mehrheit von 45% verhelfen. AUR lehnte aber unmittelbar nach der Wahl jede Regierungsbeteiligung ab, die UDMR ließ bisher eher eine Präferenz für den PNL erkennen. Ciolacu bezeichnete die Bevorzugung der rechten Parteien, solange nicht auch der stärksten Kraft eine Regierungsbildung ermöglicht werde, "ohne jede Legitimation".
Einige Merkmale der überraschend ins Parlament gewählten Partei AUR, die erst im September 2019 gegründet wurde, lassen sich über die Aktivitäten des Gründers George Simion feststellen. In Moldova ist er seit Jahren eine bekannte Figur, da der Historiker und Journalist zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen für die Vereinigung Moldovas mit Rumänien organisiert und angeführt hat. So ging auf ihn ein jährlich wiederholter "Marsch der Unabhängigkeit" zurück, der im Jubeljahr des Centenar 2018 vom rumänischen Alba Iulia (Karlsburg) nach Chișinău führte.
Bereits 2011 hatte Simion eine Bürgerplattform ACȚIUNEA 2012 gegründet, um das Thema der Vereinigung zu fördern. Antirussisch und gegen die politische und soziale Spaltung der Moldau orientiert betrachten die Unionisten die einzige Lösung in der Vereinigung mit Rumänien. Gegenüber dem 2015 geäußerten Standpunkt von Präsident Johannis, nur ein stabiles Rumänien und Moldova könnten sich vereinigen, beanspruchte Simion, dass "die Republik Moldau Stabibilität, Wohlstand und die Integration in die EU nur durch die Vereinigung mit Rumänien erhalten" könne (Ziarul de Garda 21..2.2016). In den ritualisierten Kooperationshandlungen rumänischer und moldauischer Institutionen waren diverse unionistische Gruppen beteiligt, 2018 im Jahr der Feier des 100. Jahrestages der Großen Vereinigung traf Simion mit dem (damals noch) Oppositionsführer Ludovic Orban zusammen, der auch dem Anlass entsprechend versprach, dass Rumänien die Vereinigung wolle und für sie bereit sei. Immerhin fühlten sich die damaligen Machthaber in Chișinău von Simions unionistischen Aktivitäten so gereizt, dass er wiederholt Einreiseverbot erhielt und damit auch in der Öffentlichkeit als die diplomatischen Beziehungen tangierender "Fall" im Gespräch blieb.
Dennoch kommt der jetzige Einzug der symbolisch am rumänischen Nationalfeiertag 1.Dezember 2019 in Alba Iulia sich erstmals präsentierenden Partei AUR ins rumänische Parlament sehr überraschend. Er war nur möglich durch eine von den anderen Parteien kaum ernst genommene intensive Präsenz in den sozialen Medien und in der Diaspora. Die Simion unterstützende Zeitung Timpul in Chișinău vermeldete, dass der AUR-Anführer einen vier Mal höheren Traffic auf seinem Facebook-Konto hätte als Präsident Johannis oder Victor Ponta. Desweiteren hat Simion auch die Diaspora bearbeitet und AUR-Gruppen im Ausland gegründet. Mit dem erstaunlichen Erfolg, dass seine Partei bei den AuslandsrumänInnen die meisten Stimmen in Italien und das zweitbeste Resultat in Spanien erreichte.
Simion qualifiziert die ökonomische Diaspora ähnlich jenen rumänischen Minderheiten in Serbien, Ungarn oder Ukraine und den BewohnerInnen der Republik Moldau als politisch nicht in Rumänien repräsentiert. Weiterhin bezeichnet sich AUR als Vertreterin der angeblich "unterdrückten" Rumänen in den mehrheitlich von Szeklern bewohnten Kreisen. Simion appelliert an das patriotische Nationalgefühl all dieser vorgeblich Marginalisierten und erinnert an ein "Rumänentum" vergangener Zeiten, das sich abhebe von dem "antinationalen Mafia-Staat", der in der Politik in Bukarest agiere. AUR betont die Familie, wie es die gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gerichtete Initiative Coaliția pentru Familia formulierte und will "Attacken des aggressiven Säkularismus gegen die Kirche" (Ziarul de Garda, 2.12.2019) nicht länger dulden.
All diese Themen sind in der Führung der AUR personell verankert: Der frühere Fußballultra Simion steht für die Vereinigung, Dan Tănasă war mit Simion und einigen Rechtsradikalen bei den Angriffen 2019 auf eine UDMR-Veranstaltung in Harghita beteiligt, Claudiu Târziu war Gründer der ProVita und Coaliția pentru Familia. Hinzu kommen jetzt als Abgeordnete etwa die Corona-Leugnerin Diana Șoșoacă, der Schriftsteller Sorin Lavric, der Schauspieler Mircea Diaconu (der vor einem Jahr als Präsidentschaftskandidat der ALDE/ProRomânia auftrat) und mehrere Generäle.
Auch der langjährige Leiter des Liceu "Gheorghe Asachi" in Chișinău, Boris Volosatîi, kandidierte für AUR und nach dem Einzug ins rumänische Parlament wird der Bürger der Republik Moldova die Politik des EU-Staates Rumänien mitbestimmen. In der Iașier Tageszeitung Ziarul de Iași bezeichnete ein Kommentator die politische Landschaft Rumäniens nach dem 6. Dezember 2020 als "complicat și confuz".
Unerwartete Ergebnisse in Rumänien
Die Parlamentswahlen in Rumänien haben einige Überraschungen bereit gehalten. Wie nach Exit-Polls und ersten Stimmzählungen verlautet, dürfte der PSD (Partidul Social-Democrat) stärkste Partei geworden sein. Sie liegt demnach bei Zählung von 80% aller Stimmen bei ca. 30%. Der PNL (Partidul Național-Liberal) käme auf etwa 24% und die junge Parteienverbindung USR-PLUS auf 14%. Offen ist noch, ob Victor Pontas Absplitterung Pro România von dem PSD die 5%-Hürde überspringt. Ebenso gilt dies für den PMP (Partidul Mișcarea Populare). Die Partei der ungarischen Minderheit UDMR blieb stabil bei 6-7%. Noch nicht in das Ergebnis eingeflossen sind die Stimmen der Diaspora.
Überraschend ist der Einzug einer neuen Gruppierung AUR (Alianța pentru Unirea Românilor), die aus dem Stand möglicherweise 9% der Stimmen erhalten wird. Sie fordert die Vereinigung mit der Republik Moldova und sieht sich als Vertreterin aller RumänInnen in den angrenzenden Ländern (Bukowina, Serbien, Moldova). Ihr Gründer George Simion aus Focșani hat wegen seiner radikalen unionistischen Aktivitäten unter den Präsidenten Voronin als auch Dodon ein längeres Einreiseverbot in die Republik Moldova erhalten. Zur Partei gehört auch der Initiator des fehlgeschlagenen Referendums România pentru Familie, das gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gerichtet war. Simion war bei den Europawahlen 2019 mit einer Formation România Mare în Europa angetreten. In einem Online-Beitrag nannte er die Präsidenten Johannis und Dodon als "dem Land Fremde".
Die Veränderung der politischen Landschaft dürfte in erster Linie auch mit der sehr geringen Wahlbeteiligung in der Pandemie zusammenhängen, die bei nur 32% der Wahlberechtigten lag.
... und alle Fragen offen?
Rumänien vor der Wahl
Foto:http://www.cdep.ro/relatii_publice
Am Sonntag, 6.12.2020, haben etwas über 18 Mio. Rumän*innen die Möglichkeit, an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Es sind die ersten, seit im Oktober 2019 die jetzige Regierung von Ludovic Orban (PNL) nach einem Misstrauensantrag im Parlament die PSD-Koalition mit der ALDE ablöste. Die letzten Wahlen zum Parlament fanden regulär 2016 statt.
Seit den Wahlen 2016, die der PSD mit ihrem damaligen Vorsitzenden Liviu Dragnea deutlich gewann, hat sich einiges in der politischen Landschaft Rumäniens getan. Dragnea wurde zu Gefängnishaft verurteilt, die häufig wechselnden Regierungen des PSD mit 3 Ministerpräsidenten in 6 Monaten und unzähligen Ministerrochaden standen unter harscher Kritik wegen Korruption und Gesetzesvorhaben zur Behinderung der Justiz bei Korruptions-untersuchungen. Die letzte PSD-Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă verlor ihr Amt, als nach den deutliche verlorenen EU-Wahlen der PNL mit Ludovic Orban im Oktober 2019 ein erfolgreiches Misstrauensvotum im Parlament einbrachte. Seitdem regiert der PNL, hat allerdings selbst wiederum ein Misstrauensvotum im Janu-ar verloren, worauf Präsident Johannis erneut Orban mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragte.
Unter den Bedingungen der Pandemie hat der Wahlkampf der Parteien nicht die übliche Mischung aus Aufregung und Skandalisierung erfahren. Dennoch könnte das Ergebnis Überraschungen bereithalten. Einige Analysten prognostizieren, dass 60% der PSD-Abgeordneten nicht mehr ins Parlament gelangen oder dass das Hauptziel des PSD die Verhinderung der PSD-Abspaltung ProRomânia von Ex-Premier Victor Ponta im Parlament sei. Immerhin hatte die Partei das probate Mittel der deftigen Rentenerhöhung noch zu Regierungszeiten für ihre Wahlklientel in den Ring geworfen. Offen ist nach den sehr erfolgreichen Lokal- und Kommunalwahlen für die junge Parteienverbindung USR-PLUS, ob sie den PNL überholen kann oder ob sie eine Koalition mit dieser eingehen wird. Für Wellen sorgte daher die Aussage des neugewählten USR-Bürgermeisters von Bukarest, Nicușor Dan, dass der PNL am Sonntag eine gute Wahl sei, da sie den PSD zu bekämpfen wisse. Allerdings nennen jüngste Umfragen USR-PLUS erst auf dem dritten Platz hinter PNL und PSD. Dann könnte auch eine neue Regierung von der UDMR abhängen, der Partei der ungarischen Minderheit. Präsident Johannis rief zur Wahlteilnahme auf, damit es kein böses Erwachen wie 2016 gebe.
In der Diaspora öffnen die Wahllokale für die 700000 im Ausland wahlberechtigten Rumän*innen bereits am Samstag, 5. 12.20. Es wurden fast doppelt so viele Wahllokale wie 2016 bereit gestellt, in Deutschland 61 gegenüber 15 vor vier Jahren, in Italien 137 gegenüber 73, in Spanien 140 gegenüber 53.
Sensation in Moldau
Maia Sandu gewinnt Präsidentenwahl
Foto: privesc.eu
Mit der Politikerin Maia Sandu hat die Republik Moldau am 15.11. 2020 zum ersten Mal eine Frau zur Staatspräsidentin gewählt. Nach den vorliegenden offiziellen Resultaten von mehr als 98 % der Wahlkreise hat sie mit über 55 % der Stimmen vor ihrem Konkurrenten vom PSdM (Partidul Socialiștilor din Moldova), dem bisherigen Amtsinhaber Igor Dodon (44 %), klar gewonnen.Die Wahlbeteiligung lag bei 52,75 % der ca. 1,65 Mio. Stimmen.
Sandu erreichte mehr als 80 % der 260 000 Stimmen aus der Diaspora. Aus dem Gebiet Transnistrien wählten 31800 Stimmberechtigte, davon 85,6 % Dodon; in der autonomen Region Gagausien votierten 94,6 % für den amtierenden Staatspräsidenten.
In einer ersten Stellungnahme vor dem Sitz ihrer Partei PAS (Partidul Acțiune și Solidaritate) benannte die neue pro-europäische Präsidentin als wichtige Ziele ihrer Amtszeit, die Gesellschaft zu einen durch gemeinsame Aufgaben, und einen Staat zu realisieren, "der uns beschützt, der für die Menschen arbeitet und nicht für die Diebe. Wir brauchen auch eine entwickelte Wirtschaft, die Gelegenheit zur Arbeit im Land bietet, und die Menschen nicht zwingt, ihre Familien zu verlassen".
Überraschungsergebnis in Moldau
Maia Sandu schlägt Igor Dodon im ersten Wahlgang
Gegen den amtierenden Präsidenten der Republik Moldau, Igor Dodon hat die Oppositionspolitikerin Maia Sandu einen Überraschungssieg errungen: Nach vorläufiger Zählung der Stimmen erreichte Sandu einen Anteil von 36,16 %, während Dodon nur 32,61 % von insgesamt 1 348 719 abgegebenen Stimmen (42,76 % Wahlbeteiligung) auf sich vereinigen konnte. Sandu profitierte u.a. von der hohen Wahlbeteiligung der Diaspora, wo sie 70 % der 1500 00 Stimmen erhielt, während Dodon dort nur 3,65 % erreichte.
Im Gesamtergebnis kam Renato Usatîi auf den 3. Platz mit 16,9 % vor Violeta Ivanov (6,49 %), Andrei Năstase (3,26 %), Octavian Țîcu (2,01 %), Tudor Deliu (1,37 %) und Dorin Chirtoacă(1,2 %).
Es kommt nun am 15.11.'20 zur Stichwahl zwischen den beiden Siegern Sandu und Dodon. Während Usatîi eine wichtige Rolle mit seiner Wahlempfehlung spielen kann, haben Năstase, Țîcu, Chirtoacă und der PLDM bereits ihre Unterstützung für Sandu angekündigt.
Zwischen Ost und West?
Moldova vor der Präsidenten-Wahl
Abb. https://ro.wikipedia.org/wiki/Republica_Moldova
Am 1. November 2020 wählen die BürgerInnen der Republik Moldau eine/n neue/n PräsidentIn des Staates. Zur Wahl stehen 8 KandidatInnen, unter ihnen der jetzige Amtsinhaber Igor Dodon von der Partei der Sozialisten (PSdM), der offiziell als "Unabhängiger" auftritt. Die weiteren KonkurrentInnen sind Maia Sandu (PAS, Partidul Acțiune și Solidaritate), Renato Usatîi (Partidul Nostru), Violeta Ivanov (Partidul ȘOR), Octavian Țîcu (PUN, Partidul Unității Națională), Andrei Năstase (Platforma Demnitate și Adevăr), Dorin Chirtoacă (MPU, Mișcarea Politică UNIREA), Tudor Deliu (PLDM, Partidul Liberal-Democrat Moldova).
Ein Blick auf die politischen Aktivitäten und Hintergründe der KandidatInnen lässt ein Bild der politischen Landschaft der Republik Moldova und ihren spezifischen Probleme erkennen.
Die liberale Partei des Tudor Deliu stellt keine der "traditionellen" Konstanten in der parlamentarischen Geschichte des 1991 unabhängig gewordenen Staates dar, sondern wurde erst 2007 gegen den damaligen kommunistischen Staatspräsidenten Vladimir Voronin gegründet und stellte bereits nach 3 Jahren mit Vlad Filat den Ministerpräsidenten und später auch unter Iurie Leancă die proeuropäische Regierung. Für die Partei war als Erziehungsministerin 2014 auch Maia Sandu aktiv. Mit dem Misstrauensantrag der kommunistischen und anderer Oppositionsparteien und der Verhaftung und Verurteilung Vlad Filats im Zusammenhang mit dem die jüngere Geschichte der Republik Moldaus prägenden Diebstahl von mehreren Milliarden Dollar aus der Nationalbank ging der politische Einfluss der PLDM stark zurück. Der Kandidat Deliu wurde 2011 Vize-Fraktionschef im Parlament und 2018 Chef der Partei.
Die Mișcarea Politică UNIREA, für die Dorin Chirtoacă antritt, sieht sich als Block, der die Vereinigung mit Rumänien noch vor dem Beitritt zur EU als Priorität propagiert. Ihr Kandidat entstammt der politisch aktiven Familie der Ghimpu (sein Onkel war Interimsstaatspräsident), war jüngster Bürgermeister der Hauptstadt Chișinău (2007-2018) und ist Vorsitzender der Liberalen Partei (PL). 2015 hieß sein Gegenkandidat in Chișinău Igor Dodon (damals noch der Kommunistischen Partei angehörend). Chirtoacă ist mit der Familie des früheren rumänischen Präsidenten Băsescu als Taufpate von dessen Enkelin verbunden.
Ebenfalls Bürgermeister der Hauptstadt war Andrei Năstase. Wenn auch nur sich selbst vertretend, da seine Wahl wegen angeblicher Verstöße gegen die Wahlordnung annuliert wurde, was über die Moldau hinaus Proteste hervorrief. Năstase ist Gründer und Vorsitzender der "Plattform Würde und Wahrheit" (PDA), die in den Bürgerprotesten 2014/15 wegen der oben erwähnten Beraubung der Staatsbank die frühere Partei PFP umwandelte; er ließ 2016 bei der Kandidatur zu den Präsidentenwahlen Maia Sandu den Vortritt, amtierte aber 2019 in ihrem Kabinett als Vizepremier und Innenminister.
Mitglied der Parlamentsfraktion der PDA war auch Octavian Țîcu, der allerdings 2019 diese verließ und fraktionslos blieb. Bei der Präsidentenwahl tritt er nun für den PUN an. Țîcu sieht sich weniger als Politiker denn als Bürger, der sich um die Politik sorgt. Obwohl er bereits 2013 für wenige Wochen als Erziehungsminister in der zweiten Regierung Filat amtierte und in seinem Heimatraion Ungheni im Kreisrat saß. Ungewöhnlich ist seine frühere Profiboxerkarriere und seine Tätigkeit als Historiker an der Universität sowie politischer Kommentator. Auch Țîcu sieht die Perspektive der Republik Moldau in einer Union mit Rumänien, weshalb die "Unionisten" um UNIREA seine Kandidatur kritisch als Zersplitterung der Kräfte sehen.
Violeta Ivanov ist Vizeparlamentspräsidentin. Sie gehörte früher unter Präsident Voronin der kommunistischen Fraktion (PCRM) als Ministerin an, wechselte dann in den Partidul Democrat (PDM) (wie Vladimir Voronin jetzt behauptet, nach Zahlung von einigen Millionen Euro durch den am Bankraub beteiligten und in die USA geflüchteten Oligarchen Vladimir Plahotniuc [PDM]) und danach in die Partei des früheren Bürgermeisters von Orhei, Ilan Șor, der wegen des erwähnten Raubs der Nationalbank verurteilt wurde und sich ebenfalls seit 2019 im Ausland (meist Israel) aufhält.
Renato Usătîi ist Bürgermeister der Stadt Bâlți. Der durch Geschäfte im russischen Nishni-Novgorod zum Millionär gewordene Geschäftsmann übernahm 2014 eine Partei, die er in "Unsere Partei" umbenannte. Sein bisheriges politisches und geschäftliches Auftreten hat zu zahlreichen Anzeigen gegen ihn geführt, er wurde mehrfach der Anstiftung zu Mord angeklagt, aber von Interpol mit der Begründung, die Anklagen seien "politisch" motiviert, von der Fahndungsliste genommen.
Im Westen etwas bekannter wurde Maia Sandu, als sie 2019 durch eine überraschende Koalition ihrer ACUM-Plattform (PAS und PDA) mit den Sozialisten Igor Dodons für fünfeinhalb Monate zur Premierministerin aufstieg und auch in Brüssel, Wien, Bukarest, Berlin Verhandlungen führte. Sie begann ihre Karriere im PLDM Vlad Filats, gründete während der Bürgerproteste 2014/15 die Plattform, die öfter mit Andrei Năstase zusammen arbeitete. 2016 verlor sie knapp die Präsidentenwahl gegen Dodon.
Igor Dodon war 2015 als kommunistischer Parteigänger Kandidat für das Bürgermeisteramt von Chișinău und amtierte zuvor zweimal als Wirtschaftsminister. Nach Absplitterung des Partidul Socialiștilor din Moldova (PSdM) von der PCRM gewann er als Chef der Partei 2016 die erstmalige Direktwahl des Staatspräsidenten gegen Maia Sandu. Sein Kurs war bisher pro-russisch, wenn auch unter Einschluss von Kontakten zur EU.
Hat das Amt des Staatspräsidenten mehr als nur zeremonielle
Funktionen und besitzt Einflussmöglichkeiten auf die moldauische Politik, so bleiben dennoch die parlamentarischen Partei- und Interessenkonstellationen entscheidend. Von den im Parlament
vertretenen Parteien stellen einige keine Kandidaten für die Präsidentenwahl auf. Dies könnte beim PDM auffallen, da diese Partei des in die USA geflüchteten Oligarchen
Plahotniuc erheblichen Einfluss ausübt. Da neben Plahotniuc auch Ilan Șor zu den maßgeblich in den
Bankraub verwickelten Oligarchen gehört, kann die Kandidatin der Partei Șor, Ivanov, als Repräsentantin auch der PDM-Unterstützer gelten. Mittlerweile bereitet aber der Patensohn Plahotniucs, Andrian
Candu, eine Pro-Plahotniuc-Fraktion in der Demokratischen Partei vor, die
unter der Bezeichnung Pro Moldova auch Ex-Kommunisten und Sozialisten sammelt, um möglicherweise als neue Regierung unter einem alt-neuen
Präsidenten Dodon die Interessen der beiden von außen operierenden Oligarchen mit einem vorgeblich westlichen Kurs zu verbinden
- oder sogar den Boden für eine Rückkehr Plahotniucs
vorzubereiten. Eine Anmeldung Candus zur Präsidentenwahl scheiterte wegen
Unregelmäßigkeiten bei der notwendigen Unterschriftenzahl.
Neben den durch die Pandemie bedingten Schwierigkeiten beherrscht auch die Frage, wie die Moldauer in der Diaspora und aus Transnistrien zur Stimmabgabe gelangen können, die moldauischen Medien. Die größten Siegchancen werden Amtsinhaber Dodon und der früheren Premierministerin Sandu zugeschrieben, womit sich die Konstellation von 2016 unter veränderten Umständen wiederholt.
Schon wieder!?!
Temeswar wählt deutschen Bürgermeister
Die mit Spannung erwarteten Kommunalwahlen in Rumänien haben am 27.9.2020 in überraschenden Einzelfällen einen allgemeinen Trend bestätigt: Das
Foto: https://www.dominicprimar.ro/
neue öko-liberal-bürgerlich-technokratische Parteienbündnis USR-PLUS (Uniunea Salvați România - Partidul Libertății, Unității și Solidarității) kann wenige Jahre nach seiner Gründung in den großen Städten auch Wahlen gewinnen. Mit über 45% der Stimmen in Bukarest löst ihr Kandidat Nicușor Dan, der von der Regierungspartei PNL unterstützt wurde, die Amtsinhaberin Gabriela Firea (PSD; 38%) in der Führung der hauptstädtischen Politik ab. Der frühere Staatspräsident Traian Băsescu kam nur auf 9% der Stimmen. Als frisch gewählter Bürgermeister der Hauptstadt bezeichnete Dan den gestrigen Tag "als Geburtstag des neuen Bukarest".
Auch in den nicht unwichtigen Bürgermeisterwahlen der einzelnen Stadtbezirke konnte USR-PLUS punkten: Im zentralen Sektor 1 gewann die aus Frankreich gebürtige Clotilde Armand gegen den PSD-Kandidaten Daniel Tudorache, im Sektor 2 der USR-Kandidat Radu Mihaiu und im Sektor 6 der PNL-USR-PLUS-Kandidat Ciprian Ciucu ebenso jeweils gegen PSD-Kandidaten. In Sektor 5 holte sich Cristian Popescu Piedone von der PPU-SL (Partidul Puterii Umaniste-Social Liberal) einen deutlichen Sieg, was dadurch auffallend ist, dass Piedone zu 8 Jahren Haft wegen des Brandes im Club Colectiv verurteilt worden war. Er war bisher Primar in Sektor 4. In Sektor 3 gewann wieder Robert Negoița, der von der PSD zu Ex-Premier Victor Pontas Pro România gewechselt ist, zweiter wurde hier der USR-Kandidat. Nur in Sektor 4 gewann der PSD-Kandidat, der bisherige Amtsinhaber Daniel Băluță, deutlich gegen die USR-Kandidatin.
Auch in den anderen Großstädten konnte USR-PLUS als relativer Newcomer eine Reihe von Rathäusern erobern. Am auffallendsten ist der Erfolg von Dominic Fritz in Temeswar (Timișoara), wo der Deutsche den zweimaligen Amtsinhaber Nicolae Robu (PNL) mit großem Vorsprung schlug. Fritz, Jahrgang 1983, ist nicht Angehöriger der deutschen Minderheit der Banater Schwaben, sondern im Schwarzwald geboren und kam, wie es auf seiner Homepage heißt, 2003 in seinem Freiwilligenjahr in das Kinderheim der Caritas in den Temeswarer Stadtteil Freidorf. Seither blieb er der Stadt vielfach verbunden. Er war Mitbegründer des Zivilgesellschaftlichen Projekts Diaspora Civic in Berlin, das in der rumänischen Diaspora bei den Antikorruptionsprotesten aktiv wurde. Von 2013-19 arbeitete Fritz im Kabinett des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, zuletzt als Büroleiter. Er gründete in Temeswar mehrere zivilgesellschaftliche Projekte und wurde 2019 von der USR als Kandidat nominiert. Im Wahlkampf setzte er insbesondere auf die europäische Prägung der Stadt und ihr zivilgesellschaftliches Potential. Fritz nutzte die EU-Verordnung, nach der auf Kommunalebene in Rumänien EU-Bürger bei Wahlen kandidieren dürfen.
Weitere Überraschungen gab es in Bacău in der Moldau, Brașov (Kronstadt; Brásso), Alba Iulia, wo z.T. langjährige Amtsinhaber von USR-Kandidaten abglöst wurden. In Cluj (Klausenburg; Koloszvár) trat der frühere Premierminister Emil Boc (PNL) sein 5. Mandat an.
Im östlichen Landesteil der Moldau blieben neben dem sensationellen Erfolg der USR in Bacău viele Rathäuser in PSD-Hand, wenn auch die moldauische Hauptstadt Iași weiterhin von Mihai Chirica (PNL) regiert bleibt. Zweite wurde die USR-Kandidatin. Im Kreis Iași hat zum ersten Mal die PNL die Mehrzahl der BürgermeisterInnen gegenüber der PSD errungen. Die USR kam nur in 3 Orten zum Sieg. Die Donaustadt Galați wurde deutlich von der PSD gewonnen.
Im Kreis Mureș gewann die Partei der ungarischen Minderheit UDMR 40 Orte, darunter die Stadt Târgu Mureș, im Kreis Dâmbovița wurde die Stadt Tîrgoviște mit 65% vom PSD-Kandidaten Cristian Stan wieder gewonnen. Ebenso deutlich auch ging die Stadt Craiova an die PSD. Constanța am Schwarzen Meer hat als neuen Bürgermeister einen NATO-Admiral: Vergil Chiac von der PNL gewann knapp gegen den USR-Kandidaten und entriß der PSD nach 20 Jahren das Rathaus.
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Nicht zu übersehen ist, dass mit dem Zulauf der USR-PLUS auch eine jüngere Generation von PolitikerInnen, die vor einigen Jahren noch kaum an eine politische Karriere gedacht haben, jetzt die Hauptstadt und einige Großstädte regiert. Es setzt sich dabei ein Trend der Europa- und Parlamentswahlen fort, der zeigt, dass die rumänische Wählerschaft die PSD-Herrschaft hinter sich lassen möchte. Ob und wie dieser Trend anhält, könnten die nächsten Wahlen bereits am 6. Dezember zeigen - wenn es um die Parlamentssitze geht.
Rassistisches Attentat in Hanau - ein Rumäne unter den Todesopfern
Mehrere rumänische Medien berichten im Internet, dass zu den 10 Opfern des rechtsextremen Täters in Hanau in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020 auch ein Rumäne gehört.
Bevor die Polizei die Identifikation der Opfer abgeschlossen hat, heißt es da, dass der 23-jährige Vili Viorel P. aus einer Gemeinde bei Giurgiu an der Donau von dem Täter erschossen wurde, als er nach seiner Arbeit als Kurierfahrer an einem Kiosk etwas zu Essen holen wollte. P. wurde in seinem Auto erschossen. Nach rumänischen Medienberichten haben die ebenfalls in der BRD lebenden Eltern des Opfers den Tod ihres einzigen Kindes bestätigt.
Das rumänische Außenministerium wollte zunächst die Meldungen noch nicht bestätigen, da erst 6 Opfer von der deutschen Polizei identifiziert seien. Auch der in Berlin anlässlich des 140. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen als Gast von Außenminister Heiko Maas anwesende amtierende rumänische Außenminister Bogdan Aurescu äußerte sich nicht hierzu.
Erst um 00.00 Uhr hat laut Nachrichtenportal adevarul.ro das Außenministerium den Tod von Viorel P. bestätigt.
Nach den rumänischen Medien befinden sich unter den Toten von Hanau neben den Deutschen ein Bulgare, ein Bosnier und Viorel P.
Regierung Orban durch Misstrauensvotum gestürzt!
Ein von der PSD und der UDMR (Demokratische Union der Ungarn Rumäniens) angestrengtes Misstrauensvotum gegen die Regierung Ludovic Orban (PNL) hat am 5.2.2020 im Parlament eine Mehrheit erhalten.
Mit 261 : 139 Stimmen war die auch von der Gruppe ProRomânia des Ex-Premiers Victor Ponta unterstützte Abstimmung erfolgreich; für den Erfolg des Votums waren 233 Stimmen notwendig. Staatspräsident Klaus Johannis ließ erkennen, dass er am Abend des 6.2. erneut einen Vertreter der PNL zum Premierminister ernennen werde; er nannte aber zugleich das erfolgreiche Misstrauensvotum einen ersten Schritt zu Neuwahlen.
UPDATE 6.2.2020
Präsident Johannis hat nach Konsultationen mit den Parlamentsfraktionen am Abend als neuen Ministerpräsidenten den bisherigen ernannt. Ludovic Orban soll nach dem Sturz der Regierung durch das Misstrauensvotum von gestern noch einmal die Gelegenheit erhalten, eine neue Mehrheit zusammenzubringen. Johannis ließ erkennen, dass Neuwahlen die korrekte Lösung der Krise seien.
Regierungskrise in Chișinău
Premierministerin Maia Sandu gestürzt
Nach den Parlamentswahlen in der Republik Moldau im Februar 2019 brauchte es einige Zeit, bis eine neue Regierung zustande kam. Keine der Parteien hatte eine stabile Mehrheit, schwierig waren die Verhandlungen zu möglichen Koalitionen. Überraschend bildete der Parteienblock ACUM (aus PAS [Partidul Acțiune și Solidaritate] und DA [Dignitate și Adevăr]), der sich als für die Zivilgesellschaft stehend bezeichnet, zusammen mit den Sozialisten des PSRM eine Regierung mit der jungen Maia Sandu von ACUM als Premierministerin. Wenig erbaut von dieser Koalition waren die Oppositionspartei PLDM (Liberaldemokraten) und insbesondere der PDM (Partidul Democrat), da die Absicht des Kompromisses offensichtlich darin lag, den PDM des geflüchteten Oligarchen Vlad Plahotniuc von der Regierung fernzuhalten.
Viele Beobachter hofften trotz der Regierungsbeteiligung der russlandfreundlichen Sozialisten bereits auf eine neue Wendung nach Westen. Sandu reiste nach Brüssel, Washington, Bukarest und verkündete ihre Absicht, Partnerschaften mit den USA oder der EU einzugehen. Einen deutlichen Dämpfer brachte allerdings die Wahl zum Oberbürgermeister der Hauptstadt Chișinău, bei der in der Stichwahl der sozialistische Kandidat Ion Ceban gegen Andrei Năstase (PPD), den Kandidaten von ACUM und Innenminister, gewann. Diese Wahl war notwendig geworden, nachdem 2018 der gewählte ACUM-Politiker wegen eines Gerichtsurteils das Amt nicht antreten durfte, was zahlreiche Proteste der Zivilgesellschaft hervorgerufen hatte. Interim führte Năstase dennoch das Amt und wurde sogar im September offiziell als Bürgermeister anerkannt. Die Wahl Cebans galt bereits als schlechtes Omen für die Unterstützung der Regierung Sandu durch die Sozialisten. Die Kommunalwahlen brachten landesweit Gewinne für PolitikerInnen der PSMR. Sie gewann die Mehrzahl in 15 Raionen, ACUM in 11, PDM in 6.
Anlass für den Sturz der Regierung am 12. 11. dürfte allerdings die Absicht gewesen zu sein, die Justiz neu zu organisieren und den Generalstaatsanwalt durch die Premierministerin vorschlagen zu lassen. Hiergegen intervenierte insbesondere der russlandfreundliche Staatspräsident Igor Dodon (PSMR). Mittlerweile errang auch ein PSMR-Politiker die Position des Präsidenten des Verfassungsgerichts-hofs.
Innerhalb zweier Tage nach Sturz der Regierung Sandu wurde der frühere Finanzminister und Präsidentenberater Ion Chicu zum Premier ernannt und am 14.11.2019 seine neue "technokratische" Regierung mit den Stimmen von PSMR und PDM vereidigt. In Richtung EU versprach er im Parlament eine "ausgewogene Außenpolitik" im Interesse der Republik Moldau. Kritiker sehen in Chicus Regierung eine Voraussetzung für die Sammlung der Macht in den Händen des pro-russischen Präsidenten Dodon.
Präsident Johannis bestätigt!
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In der Stichwahl gegen die frühere Premierministerin und PSD-Vorsitzende Viorica Dăncilă hat der der regierenden PNL nahe stehende amtierende rumänische Präsident Klaus Johannis
offensichtlich nach ersten Exit Poll-Ergebnissen einen deutlichen Sieg errungen. Demnach erreichte er 65% der Stimmen, während Dăncilă nur 35% erhielt. Johannis kann somit für weitere 5
Jahre das höchste Amt Rumäniens ausüben. Die Teilnahme an der Wahl lag bei ca. 50% der Stimmberechtigten.
Präsidentschaftswahl am 10. November 2019
Am kommenden Sonntag, 10. November, finden in Rumänien die Wahlen zum Präsidentenamt statt. 14 KandidatInnen sind vom zentralen Wahlbüro aufgrund von mehreren Kriterien (u.a. das Vorweisen von 200000 Unterstützerunterschriften bei Parteiangehörigen, 100000 bei Unabhängigen) zur Wahl zugelassen worden. Darunter sind der jetzige Amtsinhaber Klaus Johannis für die PNL, die als Premierministerin gerade abgewählte PSD-Vorsitzende Viorica Dăncilă, der Schauspieler Mircea Diaconu für die liberale Allianz ALDE, der Vorsitzende der neuen Partei USR, Dan Barna, der Vorsitzende der Ungarn-Partei UDMR, Kelemen Hunor, der Vorsitzende der im Parlament vertretenen Partei PMP, Theodor Paleologu, die unabhängigen Kandidaten Bogdan Marian-Stanoevici und Alexandru Cumpănașu. In der Diaspora kann bereits ab Freitag, 8. November in einer größeren Zahl von Wahllokalen als bisher gewählt werden. Ebenso besteht im Ausland die Möglichkeit der Briefwahl.
Bisher gehen alle Prognosen von einem Sieg des Amtsinhabers Klaus Johannis aus, während Unsicherheit besteht über die Höhe der Wahlbeteiligung und die Frage, wem Johannis sich in einer evtl. nötigen Stichwahl am 24. November stellen muss.
UPDATE 10.11.2019
Erste Ergebnisse der Wahlbehörde BEC lassen eine Stichwahl zwischen Präsident Klaus Johannis und PSD-Chefin Viorica Dăncilă erwarten: Demnach erreicht Johannis 36% der Stimmen und Dăncilă
25%. Auf dem dritten Platz liegt Dan Barna von der alternativen Partei USR mit 12%. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 47% der Stimmberechtigten.
UPDATE 11.11.2019
Die Wahlbehörde BEC gibt als Ergebnis nach der Auszählung von 95,89% der Stimmen bekannt, dass für Klaus Johannis 36,92%, Viorica Dăncilă 23,45%, Dan Barna
14,19%, Mircea Diaconu 9,17%, Theodor Paleologu 5,69%, Kelemen Hunor 4,13% votiert haben.
Herbst der Entscheidungen
Das politische Rumänien nach den Europawahlen
Nachdem der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea im Mai seine Gefängnisstrafe wegen Wahlfälschung und Korruption
angetreten hat und seine Partei eine heftige Niederlage bei den EU-Wahlen erlitt, haben sich eine Reihe von merk-
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lichen Veränderungen in der politischen Landschaft Rumäniens ergeben. Ihr Höhepunkt ist das Auseinanderbrechen der Regierungskoalition aus PSD und ALDE.
Die Regierungschefin Viorica Dăncilă versuchte zunächst, ihre Partei PSD von den Altlasten Dragneas zu befreien. Die zahlreiche Vorwürfe der Gängelung der Justiz hervorrufenden Gesetzesvorhaben wurden weitgehend eingestellt, die umstrittene Parlamentskommission zu diesen Gesetzesvorhaben unter der Leitung von Florin Iordache (PSD) jetzt aufgelöst. Entgegen diesen Anzeichen einer Anerkennung der Proteste gegen Dragneas Politik stimmte Rumänien allerdings zusammen mit 5 anderen Ländern gegen die Wahl der früheren "Korruptionsjägerin" Laura Kövesi für das Amt des Generalstaatsanwalts der EU. Die möglicherweise größte Unruhe verursachen neben dem deutlichen Zeichen der Europawahlen die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. In der Koalition und den mit ihr verbundenen Parteien bedurfte es der Klärung, wer für das höchste Staatsamt kandidiere. Dem Koalitionär Călin Popescu Tăriceanu (ALDE) schien eine eigene Kandidatur nicht aussichtslos, während Dăncilă sehr bald alle innerparteilichen Aspiranten düpierte und sich selbst als Kandidatin der PSD küren ließ und damit Tăriceanu keine Hoffnung auf eine Kandidatur des PSD-ALDE-Lagers ließ.
Bis es am 26. August 2019 zum Rückzug der ALDE aus der Regierung und dem Rücktritt ihres Vorsitzenden Tăriceanu vom Amt des Senatspräsidenten kam, machten in den Medien zahl-reiche politische Planspiele und Taktiken die Runde. Eine offensichtliche Rolle spielte der frühere Dragnea-Gefährte Victor Ponta mit seiner PSD-Abspaltung PRO România, die mit 30 Abgeordneten im Parlament vertreten ist. Es gelang Ponta, Tăriceanu zu beeinflussen, einen gemeinsamen Präsidentenkandidaten zu benennen (den früheren Schauspieler und Euro-Abgeordneten Mircea Diaconu). Verhandlungen mit seiner früheren Partei PSD waren für Ponta erfolglos geblieben.
Nach dem Bruch der Koalition warf Tăriceanu dem bisherigen Koalitionspartner vor, keine gründliche personelle Neustrukturierung der Regierung in Angriff zu nehmen. Dăncilă hatte mehrere Minister entlassen, unter ihnen die Bildungsministerin Ecaterina Andronescu, nachdem diese im Zusammenhang mit den Mordfällen in Caracal geäußert hatte, dass sie nicht als Anhalterin in ein Auto zu Fremden steigen würde. Auch der zuständige Innenminister musste gehen. (Präsident Johannis warf der PSD vor, in zweieinhalb Jahren 3 Ministerpräsidenten und mehr als 70! MinisterInnen verbraucht zu haben - mehr als alle Regierungen seit 1919 zusammen!) Tăriceanu unterstellte Dăncilă auch, sie habe mit ihrem härtesten Gegner, Präsident Johannis, Abmachungen getroffen hinsichtlich von Ministervorschlägen, aber nicht mit ihm -Tăriceanu- als Koalitionspartner.
Dăncilă versuchte nach dem Bruch der Koalition und dem Verlust der Mehrheit im Parlament die Minister der ALDE in der Regierung zu halten, was zu Verwerfungen in der neuen Opposi-tionspartei führte, da Außenministerin Ramona Mănescu und das umstrittene Urgestein Teodor Meleșcanu ihre Posten beibehielten und daraufhin von Tăriceanu aus der Partei ausgeschlossen wurden bzw. austraten. Auch die UDMR (Partei der ungarischen Minderheit) kündigte ihre Unterstützung für die Regierung. Als Regierung ohne Mehrheit stützt sich Dăncilă jetzt auf ihre Partei und die ethnischen Minderheiten, die mit jeweils 1 Stimme im Parlament vertreten sind und als Fraktion üblicherweise mit der Regierung stimmen. Ovidiu Ganţ, Vertreter des DFDR (Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien), machte allerdings klar, dass er nicht mit der Regierung stimmen werde, solange die PSD nicht von ihren nationalistischen und xenofoben Angriffen auf Präsident Johannis ablasse.
Die größte Oppositionspartei PNL unter Führung von Ludovic Orban, kündigte ein baldiges Misstrauensvotum im Parlament gegen die Minderheitsregierung von Dăncilă an. Es soll am 1. Oktober stattfinden. [Mittlerweile wurde der Termin auf den 10. Oktober gelegt.] Orban erwartet, dass er danach Premierminister werde, obwohl die Spekulationen über mögliche traseiști (Fraktionswechsler) jetzt ins Kraut schießen. Pontas Partei könnte bei dem Misstrauensantrag eine wichtige Rolle spielen.
Präsident Johannis verweigerte im Konflikt mit der PSD-ALDE-Koalition mehrfach Dăncilăs Ministervorschlägen die Zustimmung und ließ mehrere KandidatInnen für Ministerposten warten oder lehnte sie definitiv ab. Allerdings zieht er sich dadurch den Vorwurf zu, die Politik zu blockieren, was insbesondere im Falle der Verbrechen im Juni und September an Kindern und Minderjährigen die interimistische Verwaltung des Innenministeriums ins Rampenlicht brachte. Auf der anderen Seite machen viele nun der Regierung Vorwürfe, sie hätte mit ihrer Freilassung von mehreren Hundert Gefängnisinsassen aufgrund eines neuen Gesetzes 2018 die Unsicherheit im Lande erhöht.
Für die bevorstehende Präsidentenwahl sind von der Wahlbehörde BEC (Biroul electoral central) 14 KandidatInnen akzeptiert worden. Unter ihnen Johannis, Dăncilă, Dan Barna (USR), Diaconu (ALDE u. Pro România), Kelemen Humor (UDMR). Welche Funktion im politischen Feld die gesellschaftlichen Proteste um das Behördenversagen in den Mordfällen von Caracal oder einem weiteren in Dâmboviţa spielen, ist unklar, aber unübersehbar: Hatte das noch offene Drama von Caracal bereits zu Ministerentlassungen geführt, so nahm ein Verwandter die Ermordung seiner Nichte Alexandra Măceșanu zum Anlass, sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Alexandru Cumpănașu erhielt von den Eltern des Mädchens die Vertretungsrechte für alle Pressekontakte und Verlautbarungen. Der Vorsitzende der AIPD (Asociaţia Pentru Implementarea Democraţiei - Verein für die Einführung der Demokratie) kam allerdings bereits ins Gerede wegen seines ungewöhnlich hohen Salärs aus verschiedenen Anstellungen.
Wären jetzt Parlamentswahlen, so lägen nach der Zeitung Adevărul laut Umfragen in der Bevölkerung PNL (28 %) deutlich vor PSD (25%) und USR+ (22%). ProRomânia erreichte demnach um die 8 %, ALDE nur 4%. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass diese Zahlen sich auch in den Präsidentenwahlen spiegeln werden. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Abschneiden von Dan Barna für die junge Partei USR (Uniunea Salvaţi România - Union Rettet Rumänien), die sich mit der Gruppe PLUS des früheren Premierministers und EU-Kommissars Daniel Cioloș verbunden hat. USR entstand aus Bukarester Protestgruppen und alternativen Milieus und schaffte es in kurzer Zeit, im ganzen Land eine Parteistruktur aufzubauen und 2016 mit insgesamt 40 Sitzen in beide Häuser des Parlaments einzuziehen. Bei den Europawahlen erreichten sie mit 21 % den dritten Platz hinter PNL und PSD. Nach dem Absturz der PSD sehen viele Kommentatoren in Barna den eigentlichen Konkurrenten in der Präsidentenwahl. Indessen nutzt Präsident Klaus Johannis die Wirkung seiner internationalen Präsenz, um alle Konkurrenten um das Amt und auch die Kritik an seiner Politik, er erscheine wenig initiativ angesichts der strukturellen Probleme des Landes zu überstrahlen. In der Hauptstadt Bukarest ist sein Slogan auf Transparenten an Häuserwänden zu sehen: Pentru o Românie normală - 'Für ein normales Rumänien'.
UPDATE 10.10.2019:
Die Regierung von Viorică Dăncilă (PSD) wurde durch ein Misstrauensvotum der Opposition gestürzt. Es stimmten Abgeordnete 238 für die Abwahl, 5 mehr als notwendig. Unter diesen Stimmen sollen sich 3 Abgeordnete der PSD befunden haben. Neuer Premierminister soll Ludovic Orban (PNL) werden.
Karlspreis an rumänischen Präsidenten
Der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis erhält den Internationalen Karlspreis zu Aachen für das Jahr 2020. Wie das Direktorium bekannt gab, werde Johannis der Preis als herausragendem Streiter "für die europäischen Werte, für Freiheit und Demokratie, den Schutz von Minderheiten und kulturelle Vielfalt“ und für seinen Einsatz für Rechtstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz verliehen. Diesjähriger Preisträger ist UN-Generalsekretär Guterres, zu den bisher Ausgezeichneten gehören u.a. Konrad Adenauer, Winston Churchill, Papst Johannes Paul II., Angela Merkel, Bill Clinton, Jean-Claude Juncker, Simone Veil, Königin Beatrix, Javier Solana, Timothy Garton Ash, Juan Carlos v. Spanien, Václav Havel. Die Preisübergabe findet am 21. Mai 2020 im Krönungssaal des Aachener Rathauses statt.
Ratspräsidentschaft - Historie!
Finnland übernimmt
Schon sind sie vorbei – die 6 Monate rumänischer Ratspräsidentschaft der EU. Am 12. Juli 2019 wurde im Ateneu in Bukarest der Abschluss mit einem Konzert des Rumänischen Jugendorchesters feierlich begangen, an gleicher Stelle, wo im Januar die Eröffnung stattfand. Diesmal bildeten zumeist DiplomatInnen das Publikum in dem alten Saal, nach den Wahlen zum Europäischen Parlament sind die neuen Spitzen zwar nominiert, aber noch nicht installiert.
Eine Bilanz dieser Ratspräsidentschaft zu ziehen, fällt von außen schwer, was auch mit dem seit dem Vertrag von Lissabon (2010) verminderten Status der Ratspräsidentschaft gegenüber dem Ständigen Präsidenten des Europäischen Rates (bisher Donald Tusk) und der Hohen Repräsentation der Union (bisher Federica Mogherini) zusammenhängt. Zumindest lässt sich sagen, dass die vor Beginn geäußerte Befürchtung, Rumänien sei wegen der Turbulenzen um die Politik der Regierungspartei PSD unter ihrem damaligen Chef Liviu Dragnea nicht in der Lage, dieses Amt auszuführen, nicht zutraf. Unter anderem, weil dieser mittlerweile im Gefängnis sitzt und seine Partei die Europawahlen krachend verlor. s Nachfolgerin, Premierministerin Viorica Dăncilă, ließ früh erkennen, dass sie Wert darauf legte, die Ratspräsidentschaft aus diesen Turbulenzen heraus zu halten und das Bild eines zuverlässigen EU-Mitglieds zu bieten. Keine leichte Aufgabe, da aus der EU selbst scharfe Kritik an der rumänischen PSD-ALDE-Koalitionsregierung hinsichtlich ihrer Rechtspolitik und dem Umgang mit der entlassenen Korruptionsjägerin Laura Kövesi kam.
Solchermaßen gehandicapt setzte die rumänische Regierung unter Dăncilă auf die in jeder Ratspräsidentschaft unumgängliche, aber nach außen eher unauffällige bürokratische Dimension der Aufgabe: Weiterführung begonnener Projekte, Benennung einiger bereits identifizierter allgemeiner Problemkreise, etc. Politisch schien, solange Dragnea noch im Hintergrund zunehmend europafeindlich agierte, kaum noch etwas zu gewinnen zu sein. Auch machte der Wahlkampf für die Europawahlen es schwer, medialen Zuspitzungen zu entgehen.
Das generelle Spektrum der Einschätzungen geben die von der konservativen Zeitschrift 22 publizierten Stimmen zur Ratspräsidentschaft wider: Im Interview mit dem Politologen Armand Goșu spricht der delegierte Europaminister George Ciamba zwar von einer „președinție de succes, care a depășit ideea unei simple supraviețiuiri” (erfolgreichen Präsidentschaft die die Vorstellung eines bloßen Überlebens übertroffen ha), aber vier ExpertInnen teilen eher nur den letzten Teil der Ansicht des Ministers . So schreibt Gabriela Drăgan vom Institutul European din România, dass „aus technischer Hinsicht die Dinge ohne Blockade verliefen, geplante Treffen nach dem Zeitplan organisiert wurden und eine wichtige Zahl der Kapitel geschlossen wurde“, während Oana Popescu (Global Focus) dem technischen Apparat bescheinigt, „pünktlich, prompt, mit gutem Verständnis und Kenntnis der Dossiers und dem wirklichen Wunsch, die Arbeit der Institutionen zu fördern“, gehandelt habe. Paul Ivan vom European Policy Centre hebt besonders die Arbeit der Ständigen Repräsentanz Rumäniens in Brüssel hervor und sieht ähnlich wie der Politikwissenschaftler Șerban Cioculescu von der Universität Bukarest auf technischem Gebiet im allgemeinen gute Resultate. Cioculescu: „Wir haben uns nicht lächerlich gemacht, aber auch nicht geglänzt.“
Weniger ansprechend sieht das Bild auf der politischen Ebene aus. Paul Ivan stellt angesichts der nur alle 14 Jahre wiederkehrenden Gelegenheit, das Land darzustellen, ein eindeutiges Scheitern fest: „Eine Regierung, deren Hauptbeschäftigung das Verhindern der Gefängnishaft ihres Chefs war, die eine anti-westliche Rhetorik gebrauchte und die in Konflikt mit den europäischen Institutionen geriet, kann keine positive Message nach Europa senden, die das Vertrauen in Rumänien vergrößern würde.“
Auch einige der von der rumänischen Regierung genannten besonderen allgemeinen Ziele kamen trotz 90 geschlossener Dossiers einer Lösung nicht unbedingt näher. Die gerne genannte Zuständigkeit für die Europapolitik auf dem Westbalkan konnte die Aufnahmeperspektive von Serbien, Albanien, Montenegro, Mazedonien kaum erhöhen. Auch die besondere Beachtung des Mehrjährigen Finanzrahmens (Multiannual Financial Framework; MFF) führte zu keiner Lösung der Probleme bei der Finanzierung der EU. Vielleicht hat daher trotz ihrer Vagheit die Lenkung der Aufmerksamkeit auf das Schwarze Meer und auf die Energietrassen Rumänien dennoch europapolitisch für die Zukunft spezifische Optionen eröffnet.
Die EU-Wahlen in Rumänien
26,23 PNL (Partidul Naţional Liberal)
23,68 PSD (Partidul Social-Democrat)
20,51 USR+ (Uniunea Salvaţi România mit PLUS)
7,01 PRO RO (Pro România)
6,07 UDMR (Uniunea Democrată Maghiară din România)
5,55 PMP (Partidul Mişcarea Populară)
4,24 ALDE ( Partidul Alianţa Liberalilor şi Democraţilor)
Wahlbeteiligung: 49%
Die Wahlen am 26. Mai 2019 zum Europäischen Parlament haben in Rumänien eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse erkennen lassen. Die Regierungspartei PSD mit ihrem umstrittenen Parteivorsitzenden Liviu Dragnea verlor ihre Spitzenstellung an die Nationalliberalen unter Ludovic Orban. Großer Gewinner ist zudem die Alternativpartei USR, die aus einer Protestgruppe zu Lokalwahlen in Bukarest 2015 sich mittlerweile landesweit organisiert und im Parlament vertreten ist. Sie stützt sich insbesondere auch auf die zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen Korruption, für die Erhaltung des Rechtsstaats und eine proeuropäische Politik. Ihr Vorsitzender ist Dan Barna. Bei den Wahlen war sie verbunden mit der neugegründeten Partei PLUS des früheren Premierministers Dacian Cioloş.
Die Partei von Ex-PSD-Chef Victor Ponta PRO RO erhielt 6,61 Prozent, die PMP von Ex-Präsident Traian Băsescu 5,66 % der Stimmen. Abgeschlagen auch die in Koalition mit der PSD regierende ALDE unter Senatspräsident Călin Popescu-Tăriceanu.
Neben den EU-Wahlen fand zugleich ein von Präsident Klaus Johannis initiiertes Referendum über den Rechtsstaat statt. Dabei stimmten von 2.000.000 WählerInnen über 1.600.000 (80%) für die vorgeschlagenen Formulierungen gegen Korruption und Amnestievorhaben.
Proteste gab es aus der Diaspora gegen die Form der Ausrichtung der Wahlen. An 411 Wahllokalen wählten über 360.000 RumänInen und mussten dabei zum Teil stundenlange Wartezeiten ertragen. Wegen seiner Verantwortlichkeit wurde deshalb Außenminister Teodor Meleşcanu hart kritisiert. Ein Politiker erhob gegen Meleşcanu gerichtliche Anklage wegen seiner Versäumnisse bei der Einrichtung der Wahllokale. In der Diaspora war das vorläufige Ergebnis der EU-Wahlen überraschend: 41,3 % für USR-PLUS; 31,35 % für die PNL, 5,66 für Băsescus PMP, nur 3,3 % für die PSD! Für das Referendum stimmten insgesamt 92 %.
Im Zusammenhang mit dem heute ergangenen Urteil gegen PSD-Chef Dragnea sehen die rumänischen Kommentatoren das Ergebnis als Ende der politischen Karriere Dragneas. Bereits gestern waren aus der PSD Forderungen nach dem Rücktritt Dragneas laut geworden. Wie sich das Wahlergebnis und die Lage in der PSD nach Dragneas Urteil auf die Parlamentspolitik auswirkt, scheint noch offen. Premierministerin Viorica Dăncilă sah keinen Grund zum Rücktritt von ihrem Amt. Bereits gestern erklärte allerdings die UDMR, dass sie die Regierung nicht mehr unterstützen werde. Möglicherweise hat Dăncilă eine Schlüsselposition bei der Nachfolge Dragneas, die sich in diesen Tagen entscheiden wird.
Rumäniens europäisches Doppelgesicht
Ratspräsidentschaft und drohendes Verfahren
Die rumänische Politik brachte in den vergangenen Wochen eine weitere Intensivierung der politischen Spaltung, aber auch Bewegung in der Regierung. Gleichzeitig erfuhr das Verhältnis des Landes, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zu den EU-Institutionen weitere Spannung.
Mit der Auswechslung von drei MinisterInnen, hat die in einer Koalition regierende PSD für Veränderung gesorgt. Am auffallendsten ist der Rücktritt von Tudorel Toader als Justizminister. Er schien in Konflikt mit Liviu Dragnea geraten zu sein, der eine eindeutigere Haltung gegenüber weiteren Notordonnanzen in der Justizgesetzgebung forderte. Der parteilose Jurist und Rektor der Universität Iaşi (Jassy) hat eine Reihe der politischen Absichten Dragneas umgesetzt und damit seinen Ruf als Juristen nachhaltig beschädigt: So sorgte er als Minister mit fadenscheinigen Gründen für die Ablösung der Korruptionsstaatsanwältin Laura Kövesi, versuchte den Generalstaatsanwalt Augustin Lazăr ebenfalls zu entlassen (dieser zog es vor, in Rente zu gehen - nicht ohne das Ministerium auf Rücknahme der Behauptung der Unfähigkeit zu verklagen), Toader hatte zudem entscheidenden Teil an den umstrittenen neuen Gesetzen, mit denen vor allem auch Dragneas Verurteilung wegen Korruption verhindert werden soll. Am 24. April 2019 entschied das Parlament, Toaders Gesetzesänderungen anzunehmen.
Der Verfassungsgerichtshof und der Gerichtshof für Kassation und Justiz (ICCJ) haben im April Entscheidungen gefällt, die bereits zum wiederholten Mal das Urteil vom vergangenen Jahr gegen Dragnea verschieben - diesmal bis zum 20. Mai. Die Opposition fürchtet, dass jetzt mit den neuen Regularien im Justizwesen Dragnea endgültig das Urteil abgewendet hat. Der Verfassungsjurist Ioan Stanomir von der Bukarester Universität glaubt, dass es jetzt eine einmalige Situation der Blockierung des Justizsystems gebe - wegen des Falles von Liviu Dragnea: "Dem Führer der PSD ist es durch seine Position gelungen, das Funktionieren des Rechtsstaats aufzuheben. Diese Reihe von ungerechtfertigten Verschiebungen ist die Folge eines nicht funktionierenden Rechtsstaates. Wenn die Richter des Höchsten Gerichts zu verweigern scheinen, die schwere Aufgabe einer Antwort auf die strafrechtlichen Probleme von Liviu Dragnea zu tragen, dann muss diese Antwort vom Wahlvolk gegeben werden", sagte der Jurist der Zeitung Adevărul.
Staatspräsident Klaus Johannis lässt derweil ein Referendum organisieren, das den Willen der BürgerInnen ausdrücken soll, Korruption zu bekämpfen und das Justizwesen unabhängig und effektiv zu machen. Es soll mit den Europawahlen am 26. Mai abgehalten werden, wogegen sich eine Zeit lang die Regierung unter Premierministerin Viorica Dăncilă wehrte.
Dăncilă ist mittlerweile zu einer zentralen Figur geworden. Nicht nur, dass sie die Politik während der Ratspräsidentschaft der EU leitet. Auch führt sie unangefochten die Strategie Dragneas durch und attackiert den Staatspräsidenten. Dabei hat sie allerdings entschieden, dass sie nicht an der großen Versammlung der PSD mit 500 Sonderbussen in Iaşi teilnimmt, die Dragnea veranstaltet, nachdem er vor einigen Wochen dort lautstark ausgepfiffen worden war. Der Termin liegt auf dem des informellen EU-Gipfels in Hermannstadt/Sibiu und des Europatages. Die Premierministerin wartete noch auf eine offizielle Einladung des Präsidenten, am Gipfel teilzunehmen, wozu es allerdings nicht kam.
Die Verabschiedung der Gesetzesänderungen durch das Parlament mit den Stimmen von PSD/ALDE, UMDR und 7 Minderheitenabgeordneten und gegen die gesamte Opposition haben bei der EU noch einmal für eine Verschärfung des Tons gegenüber Rumänien gesorgt. Die Justizkommissarin Vera Jourova zeigte sich sehr besorgt, was die Einhaltung der Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien angehe. Wieder wurde der Vergleich zu Polen und Ungarn bemüht und gedroht, ein Verfahren nach § 7 einzuleiten. Auch der Gipfel bekräftigte noch einmal die Bedeutung des Rechtsstaates in der EU. Die bevorstehenden Europawahlen und das Referendum in Rumänien werden die Brisanz der Beziehungen zwischen Rumänien und der EU weiter sichtbar machen.
Midterm - Die rumänische Ratspräsidentschaft hat Halbzeit
Eine Tagung der Südosteuropa-Gesellschaft zieht Zwischenbilanz
Foto: Südosteuropa-Gesellschaft e.V.
Schon sind 100 Tage der rumänischen Ratspräsidentschaft vergangen - Anlass genug, um nach der Bewertung ihrer politischen Gestaltung in der EU zu fragen. Die Südosteuropa-Gesellschaft in Berlin tat dies am 11. April 2019 mit rumänischen Expertinnen und einem Experten unter dem doppelten Titel Between Domestic Power Struggles and European Leadership - Romania's first Presidency of the Council of the European Union.
Im ersten Teil ging es eher offiziös und formal zu: Mihaela Diculescu-Blebea von der Botschaft Rumäniens in Berlin stellte als zentrales Schlagwort der Ratspräsidentschaft Kohäsion vor: politische, ökonomische, soziale, mit dem Ziel, die Entwicklungslücken zwischen Ost und West zu verringern. Diesen Ansatz unterteilt die Ratspräsidentschaft in vier weitere Aktionssäulen: die Arbeitstreffen, den Gipfel in Sibiu/Hermannstadt am 9. Mai, die Europawahlen vom 23.-26. Mai und das MFF-Paket (Multiannual Financial Framework) für nach 2020. Zudem nannte sie als weitere Schwerpunkte der nächsten drei Monate die Zutrittsperspektiven der Länder auf dem Westbalkan.
Dem gegenüber legte Valentina Ivan von der NGO Expert Forum einen Schwerpunkt auf die zivilgesellschaftliche Kritik und verwies auf das Beispiel des Energiemarktes, wo die Regierung durch Notverordnungen gegen rumänische Interessen handele. An den Darlegungen der Politikwissenschaftlerin Maria Popescu kristallisierte sich dann in der Diskussion der zentrale Begriff heraus, unter dem die zunächst von verschiedenen Seiten in Frage gestellte Fähigkeit der rumänischen Regierung zur Ratspräsidentschaft diese zu meistern vermag: "technische Ratspräsidentschaft". Unter Verweis auf die Schulung der hohen BeamtInnen vor Beginn, die technokratische Leitung begonnener Projekte, die Tätigkeit permanenter Arbeitsgruppen, etc. wurde deutlich, dass die politische Kritik an der Regierung aus der EU relativ wenig Einfluss hat auf die "technische" Bewältigung der Ratspräsidentschaft auf der Ebene der Ministerialbürokratie. Dabei fiel nebenbei der Hinweis auf den positiven Effekt, den diese Ausbildung von EU-erfahrenem Personal auf Rumänien rückwirkend haben kann.
Im zweiten Panel wurde es dann sehr viel lebhafter und kontrastreicher. Dafür sorgte eingangs die Politologin Alina Mungiu-Pippidi, die in einem dicht gedrängten freien Vortrag ungewohnte Perspektiven aus ihrer reichen wissenschaftlichen wie demokratiepraktischen Erfahrung entwickelte. Sie stellte insbesondere die realpolitischen Folgen vieler Forderungen nach Bekämpfung der Korruption, Reinigung der politischen Klasse, Rolle der Geheimdienste u.a.m. im Ablauf der politischen Entwicklung seit der Wende in den Vordergrund. Daraus ergibt sich für die an der Berliner Hertie School of Governance lehrende Professorin ein ganz eigenes Bild der Prioritäten. Mungiu-Pippidi legte zunächst dar, dass die Frage, was juristisch Korruption bedeute, in der EU keineswegs einheitlich zu beurteilen sei und daher auch ein Generalstaatsanwalt wenig Sinn mache. Rumäniens Justiz sei in den letzten Jahren schärfer vorgegangen als viele andere Länder. Mehr sei eigentlich nicht zu erreichen, wenn man den bisherigen Gang der Demokratie im Land nicht gefährden wolle. Man müsse sich also fragen, was man eigentlich darüber hinaus noch erreichen wolle. Zudem seien eben die postkommunistischen Strukturen so stark, dass bisher sich nie mehr als ca. 39% der WählerInnen gegen sie ausgesprochen hätten. Dies auch, weil es keine "Entkommunisierung" gegeben habe. Sie verwies zudem auf die offensichtlich große Rolle der Geheimdienste hin, die mit ihrem Material Politik machen - auch für Präsident Johannis und die Justiz. Die Politologin sieht Rumänien in einer Lage, wie sie etwa in Ungarn zwei Jahre vor Orban bestanden habe.
Elena Calistru von der NGO Funky Citizens nannte Rumänien einen der besten Orte, an denen man sein könne. Es habe Optimismus gegeben, der der Forderung nach Gerechtigkeit entsprochen habe. Die politische Klasse sei diesem an Werten orientierten Wunsch allerdings nie gerecht geworden. Calistru hob auch die "furchtbare Wirkung" des massiven brain drains hervor.
Die Journalistin Ana Maria Luca vom Balkan Investigative Reportin Network zeichnete noch einmal das Funktionsgeflecht des Klientilismus und seiner Entstehung im Kommunismus in Rumänien nach. Sie verwies darauf, dass gerade wegen dieser Struktur viele jüngere Leute das Land verlassen hätten.
Der Politikwissenschaftler George Jiglău von der Universität Cluj/Klausenburg nannte als Mittel der Erneuerung die Schaffung wirklicher Parteien. Mittlerweile gäbe es in Rumänien das liberalste Parteiengesetz, was allerdings auch einem gewissen Populismus Vorschub leisten könne. Wenige Parteien hätten wirkliche Veränderungen vor und es stelle sich die Frage, was mit dem Enthusiasmus der WählerInnen geschehe, wenn diese Parteien scheitern. Auch die Proteste hätten an der schlechten Praxis wenig verändert. Rumänien stehe allerdings in der EU nicht schlecht da: Es gebe keinen Brexit, kein Flüchtlingsproblem, keine schlechte Ökonomie und keine antieuropäischen Bewegungen. Die Rhetorik der Kritik sei daher zu überdenken. Wie Mungiu-Pippidi verwies er auf die Gefahr von Radikalisierungen.
In der Diskussion konstatierte Calistru die allmähliche Ermüdung nach zwei Jahren des Protests. Zwar gebe es keine rechtsradikale Partei, aber in den Parteien mache sich Populismus breit. Zwar zeige sich kein wirklicher Herausforderer für Präsident Klaus Johannis in der nächsten Präsidentschaftswahl, aber die Müdigkeit der Zivilgesellschaft habe bereits einmal zu unerfreulichen Ergebnissen geführt.
So zeigte die von Hansjörg Brey und Christian Hagemann moderierte Veranstaltung einen differenzierten und präzisen Blick auf die aktuellen Entwicklungen in Rumänien und die Ratspräsidentschaft und ließ die mittelfristigen Optionen plastisch erkennen. Die Europa-Wahlen, der Brexit und die neue Kommission werden Rumänien mindestens ebenso intensiv beschäftigen wie die rumänischen Wahlen im Herbst und im nächsten Jahr.
Höchster Gerichtshof berät über Dragnea-Urteil
Am 27. Mai 2019 - einen Tag nach den Europawahlen - haben gegen 12 Uhr in Bukarest die fünf Richterinnen des Obersten Gerichts- und Kassationshofs (ÎCCJ), die über die Revision des PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea befinden, mit ihren Beratungen begonnen. Wie die Zeitung Adevărul berichtet, geht es um die Verurteilung zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis im Falle der betrügerischen Anstellung von Personen bei der DGASPC (Direcţia Generală de Asistenţă Socială si Protecţia Copilului; Kinderwohlfahrtspflege) in Dragneas Herkunftsregion Kreis Teleorman, die in Wirklichkeit für die PSD arbeiteten. In dieses Strafmaß fließt bereits die frühere endgültige Verurteilung wegen Wahlfälschung mit ein. Da am 1. Juni eine der Richterinnen in Pension geht, sei die Entscheidung nur noch bis dahin möglich. Eine spätere Befindung des Verfassungsgerichtshofs (CCR) über die Zusammensetzung von Gerichten könne keine Auswirkung mehr auf das Urteil haben.
UPDATE 27. Mai 2019:
LIviu Dragnea wurde vom ÎCCJ endgültig zu einer Gefängnisstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Entscheidung der Richterinnen fiel mit 4:1 der Stimmen aus. Eine Richterin sprach sich für eine Wiederholung des Prozesses aus. Das Urteil gilt als endgültig.
Entre nous
Eröffnung der rumänischen Ratspräsidentschaft im Europaparlament vor leeren Rängen
Abb. Screenshot www.eu.de
Dass die Hauptarbeit von Parlamenten nicht im Plenarsaal stattfindet, ist allgemein bekannt: Ein leeres Haus heißt, dass die AbgeordnetInnen in Ausschüssen, Wahlkreisen, etc. aktiv sind und nur die SprecherInnen und wenige andere den Saal bevölkern. Dies ist auch im europäischen Parlament in Brüssel und Straßburg so, wenn auch der Riesensaal in Straßburg besonders leer wirkt, wenn er eben leer ist. Für den Nichteingeweihten ist es aber doch erstaunlich, dass auch die Präsentation des Programms der neuen Ratspräsidentschaft Mitte Januar nur vor wenigen Beteiligten statt findet. Dies war auch bei der vorherigen Präsidentschaft von Österreich so. Gibt es ein demonstratives Desinteresse des Parlaments an diesem Ereignis? (Die danach stattfindende Diskussion mit Eurobankchef Draghi findet deutlich mehr Publikum.)
Die rumänische Premierministerin Viorica Dăncilă liest brav ihr Konzept für die nächsten Monate vor, das die bereits von Österreich verfolgte Agenda wie Digitalwirtschaft, Kohäsion, soziale Fragen in den Mittelpunkt stellt. Zudem lässt sie erkennen, dass Rumänien schlecht behandelt werde, da es bestimmten "Konditionalitäten" unterworfen und nicht Mitglied des Schengen-Raums sei. Sie gibt zu bedenken, dass dies negative Folgen für die Ansicht der europäischen BürgerInnen von der Gerechtigkeit der EU und den europäischen Werten haben könne. Ansonsten gibt die Rede nur den Wunsch des Festhaltens an den Zielen der europäischen Politik zu erkennen.
Der estnische Stellvertreter von Kommissionspräsident Juncker, Andrus Ansip, verweist in seiner englischen Antwort zunächst auf die gemeinsame Vergangenheit mit der 100-jährigen Staatsgründung. Er betont die Verantwortung, das Zusammenarbeiten, die Einheit und Solidarität und setzt Dăncilă etwas unter Druck, wenn er ausruft: "We count on you!" Ebenso, wenn er die Einheit im eigenen Land als Basis der Präsidentschaft erklärt und hervorhebt, dass die EU nie ihre Werte kompromittieren werde. Und listet zudem die wichtigsten der über 200 Projekte auf, die in die Präsidentschaft fallen.
Der rumänische Politiker und frühere Präsidentschaftskandidat Teodor Stolojan fragt Dăncilă, ob sie auch wirklich erfahrene Minister in der Regierung habe und fordert sie auf, wegen der Schengen-Frage nach den Niederlanden zu fahren, um das dortige Parlament zu überzeugen, seinen Widerstand aufzugeben.
Erstaunlich ist die Stellungnahme von Udo Bullmann, Sprecher der sozialistischen Gruppe, der Dăncilă lobt für ihr Engagement und eine Basis für eine sehr gute Präsidentschaft sieht. Dann schwenkt er auf die Probleme im Justizsystem, Korruption, Geheimdienste und Gerichtsbarkeit ein: Der Sozialdemokrat glaubt, dass man in diesem Zusammenhang auch den Präsidenten Johannis ansprechen und die Dinge beim Namen nennen müsse. Dăncilă sei eine mutige Frau, ihr Reformwille (!) eine exzellente Voraussetzung für die Präsidentschaft! Polemisch verweist der Sozialdemokrat auf den Wettbewerber aus der Europäischen Volkspartei, die ein Land regierten, wo Universitäten geschlossen werden [Ungarn] und ruft: "Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür!" Diese Worte sind vor allem an Guy Verhofstadt von der liberalen Gruppe ALDE gerichtet.
Verhofstadt geht denn auch sofort zur Sache und sieht über die aktuellen EU-Probleme hinaus Rumänien in einer kritischen Zeit und nicht weit entfernt von der Haltung Polens und Ungarns. Insbesondere Liviu Dragnea und Tăriceanu hätten Versprechen nicht eingehalten, etwa die sogenannten Justizreformen an die Forderungen der Venedig-Kommission anzugleichen. Dies sei der Weg der schlechten Praxis.
Auch die Grüne Ska Keller stellt kritische Fragen nach Zivilrechten und der Gefahr der Legalisierung der Korruption. Rumänien stehe nun im Rampenlicht und müsse durch gutes Beispiel führen. Dafür sei bis zum Gipfel im Mai in Hermannstadt/Sibiu noch Gelegenheit.
In ihrer Antwort auf diese und weitere Fragen hebt Dăncilă vor allem auf Fehl- und Missinformation der Kritiker ab, die durch Kritiker aus Rumänien falsch informiert worden seien. Auf Ska Kellers Frage nach der guten Regierung verweist sie auf die ökonomischen Zahlen, die eine gute Regierung ausmachten - auf die eigentlichen Problembereiche geht sie kaum ein. Bullmann lieferte ihr eine Steilvorlage mit seinem Angriff auf Johannis und die Infragestellung der Justiz. Auch seine Einschätzung der jeweiligen Kritik an Rumänien als Wahlkampfmanöver spielte Dăncilă in die Hände.
Wahlen und Referendum in der Republik Moldau
Foto: www.kultro.de
Am Sonntag, 24.2.2019, wurden in der Republik Moldau die Parlamentswahlen und ein Referendum über die Begrenzung der Abgeordnetenzahl im Parlament abgehalten. Erstmals wurde bei den Wahlen ein gemischtes Wahlverfahren angewendet, wonach neben den nationalen Parteilisten auch aus den Wahlkreisen ein/e KandidatIn direkt gewählt wurde (circumscripţiile uninominale).
Nach vorläufigen Zählungen der Zentralen Wahlkommission (CEC) verteilten sich die 1.453013 Stimmen (49,22% Wahlbeteiligung) wie folgt:
Partei PSRM (Partidul Socialiştilor din Republica Moldova) 31,32 %, [Partei des Präsidenten Igor Dodon]
Wahlblock "ACUM Platforma DA şi PAS" 26,41 %, [Wahlblock zweier Pro-NATO- und -EU-Parteien]
Partei PDM (Partidul Democrat Moldova) 23,86 %, [Partei des Oligarchen Vlad Plahotniuc]
Partei Şor 8,40 %, [ Ilan Şor, Bürgermeister von Orheiu, gilt als in den Diebstahl von 2 Mrd. € aus der Nationalbank involviert]
PCMR (Partidul Comuniştilor din Republica Moldova) 3,76 %,
Partidul Nostru 2,92%,
Partidul Liberal 1,24%,
Partidul Mişcarea Populară Antimafie 0,59%,
die Partei Democraţia Acasa 0,31%,
Partidul Regiunilor din Moldova 0,26%,
Partidul Naţional Liberal 0,24%,
Pаrtidul politic Partidul Verde Ecologist 0,23%.
Es gilt eine 6%-Hürde für Parteien, so dass erstmals seit 20 Jahren die Kommunisten unter dem früheren Präsidenten Vladimir Voronin nicht im Parlament vertreten sind.
In den 51 Wahlkreisen (1 auch für USA und Kanada; 2Wahlkreise waren für WählerInnen aus Transnistrien zugänglich) gewannen vorläufig 18 KandidatInnen der PDM, 16 der PSDMR, 12 der ACUM, 2 Şor, 3 Unabhängige (aus Transnistrien).
Die Verteilung der Mandate im Parlament in Chişinău könnte so aussehen:
PSRM 35
PDM 30
ACUM 26
Partidul Şor 7
Unabhängige 3.
Hinsichtlich des Referendums über die Abgeordnetenzahl wurden noch keine Ergebnisse verkündet.
Laut MOLDPRES teilte die Beobachterkommission der OSZE mit, dass die Wahlen korrekt und ohne größere Zwischenfälle abliefen. Es wurden einige Bustransporte aus "Transnistrien" zu den Wahllokalen beobachtet. Der Wahlblock ACUM will die Wahl in zwei Wahlkreisen wegen dieser Transporte und möglichem Stimmenkauf anfechten.
Am 1. Januar 2019 hat Rumänien erstmals seit dem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Damit wird das Land gemäß den Regeln der Rotation entscheidend an der Politik der EU teilhaben, da es die Aufgaben der Union organisieren und durchführen muss. Dabei fließen eigene politische Vorstellungen von der Lösung der gestellten Probleme ebenso mit ein, wie ein enger Austausch mit den Institutionen und Partnerländern der Union zu bewältigen ist. Eine große Anforderung an das politische und diplomatische Geschick der Regierung und der Europa-Bürokratie im Umgang mit den europäischen Partnern und den gemeinsamen Werten!
Wir wollen diese Ratspräsidentschaft durch Presseüberblicke und die Vertiefung einzelner Problembereiche begleiten, um die Fragen nach der Rolle Rumäniens in der EU, den Funktionsmechanismen der Union, der politischen Entwicklung in der aktuellen, schwierigen Phase der Europaidee näher untersuchen zu können.
Feierlichkeiten
Am Anfang gibt es Zeremo-nien. Bis in die dritte Janu-arwoche standen vor allem öffentliche Auftritte zur Übernahme der Ratspräsidentschaft im Fokus der Berichterstattung. Zunächst am 10. Januar 2019 die feierliche Übergabe der Ratspräsidentschaft im Bukarester Athenäum mit den Spitzen der EU. Die Übertragung aus dem historischen Saal mit seiner Wandmalerei zur Geschichte Rumäniens lässt eine Mischung aus Show und politischen Höflichkeitsreden erkennen. Mehrere Hundert SpitzenpolitikerInnen - gewesene (Petre Roman, Andrei Năstase, Emil Constantinescu, Daniel Cioloş) und aktuelle (Klaus Werner Johannis, Viorica Dăncilă, Tudorel Toader, Ecaterina Andronescu, Ludovic Orban, , rumänische und 'europäische' (Tusk, Juncker, Antonio Tajani, Öttinger) - drängen sich in dem alten prächtigen Rundsaal. Neben Juncker sitzt der orthodoxe Patriarch Daniel, dahinter katholische Kirchenvertreter, Öttinger neben dem umstrittenen rumänischen Justizminister Toader.
Eine sehr prononciert sprechende Schauspielerin führt durch den Abend und kündigt nach der rumänischen Nationalhymne Staatschef Johannis an, der das Besondere dieses Ereignisses für Rumänien und die gemeinsame Agenda des Landes mit der der Union betont. Gerade angesichts besonderer Herausforderungen wie dem Brexit und den Sicherheitsfragen in unmittelbarer Nachbarschaft der EU wünscht er sich und hofft, dass die rumänische Ratspräsidentschaft eine stärkere und geeinte EU bilden werde mit größerer Kohäsion.
Johannis folgt der Senatspräsident Popescu Tăriceanu, der in Englisch von seinem europäischen Traum spricht, der in Bezug auf Rumänien von "misperspection" getrübt werde. Unterschiedliche Realitäten in Medien und "social media" setzten das Land in schlechtes Licht. Hier taucht bereits das Motiv der Falschinformation im Westen über die jetzige rumänische Politik auf, das auch Florin Iordache, Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, anführt mit der Variante, dass ja Kommentare in Wahljahr eher parteiisch seien. Zudem sei Rumänien Mitgliedstaat mit gleichen Rechten, souverän, proeuropäisch und wolle mit Würde seine Aufgabe erfüllen.
EU-Parlamentspräsident Tajani beginnt zur Freude der rumänischen Anwesenden seine Rede auf Rumänisch mit Neujahrswünschen und beendet sie später auch in dieser Sprache, nachdem er vorher ins Französische wechselte. Er sieht Rumänien in der Lage, den großen Herausforderungen für die EU in der Gegenwart zu begegnen und appelliert an die Staaten, die dem entgegenstehen, das Votum des Parlaments für Rumäniens Schengen-Beitritt zu akzeptieren.
Tusk behält während der kompletten Rede das Rumänische bei, erwähnt rumänische Fußballer, die Dichter Nichita Stănescu, Tristan Tzara und die Denker Cioran und Eliade und hat dafür wiederholt Zwischenapplaus. Er transportiert mit dieser auflockernden Anbiederung zugleich klare Forderungen nach der Einhaltung der europäischen Spielregeln. Ein langer Applaus begleitet das Ende seiner Ansprache.
Juncker versucht sich ebenso in einer rumänischen Anrede, um in Französisch dann an die europäischen Verpflichtungen zu erinnern. Er lobt die Kultur Rumäniens, den Beitritt und die Anstrengungen Rumäniens seit 2007. Die EU mache aber keine Kompromisse in seinen Werten, beim Rechtsstaat, der Korruptionsbekämpfung. Rumänien gehöre zu Europa und Europa zu Rumänien, daher gehöre auch Rumänien zum Schengen-Raum.
Was die rumänischen Regierungspolitiker bereits andeuteten, verdeutlicht die Premierministerin Dăncilă, indem sie auf die gleichen Rechte und Ansprüche Rumäniens verweist, seine Würde und Verantwortung. Rumänien erfülle vollständig, "cu cinste şi demnitate", seine Rolle als Mitgliedsstaat und habe daher auch die gleichen Rechte, erwarte daher als gleicher Partner auch den entsprechenden Respekt. Nimmt man Tăriceanus These von der Falschinformation im Westen und Iordaches Hinweis auf die anstehenden Wahlkämpfe als Erklärungsmuster zu Dăncilăs Betonung der Ehre und Würde Rumäniens als gleicher Partner in der EU, so zeichnet sich ab, wie diese Regierung EU-Ratspräsidentschaft und ihre umstrittene Innen- und Justizpolitik unter einen Hut bringen möchte.
Tagsüber hatten erste Sitzungen der einzelnen Ausschüsse in Bukarest stattgefunden sowie eine kurze Pressekonferenz Junckers und Dăncilăs, auf der Juncker betonte, dass Rumänien in den Schengen-Raum gehöre und er auch das Kooperations-und Kontrollverfahren (KKV) beendet sehen wolle.
Der Präsident des Abgeordnetenhauses, Liviu Dragnea (PSD), fehlte bei diesem feierlichen Auftakt völlig - er zog es vor, mit seiner Freundin Urlaub auf den Malediven zu machen.
Auf der Kippe
Zur politischen Lage in Rumänien zwischen Centenar und EU-Ratspräsidentschaft
Proteste 2017 in Bukarest; Wikicommon CC-BY-SA-4.0
Im Sommer gab es in Rumänien zwei Ereignisse, die für hohe Wellen in den Medien sorgten: das Aufbegehren in der Regierungspartei PSD gegen den allmächtigen Parteivorsitzenden Liviu Dragnea und die Demonstration der Diaspora gegen die Korruption und die Regierung. Der Aufstand gegen Dragnea endet nach einer mehrstündigen Sitzung des Exekutivrates der Partei kläglich, da Dragnea mit großer Mehrheit bestätigt wurde; bei der Demonstration am 10. August kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Jandarmeria, es wurde Reizgas eingesetzt, 400 Menschen kamen in die Krankenhäuser der Hauptstadt Bukarest.
Seit diesen beiden Ereignissen, die keine unmittelbare Veränderung der politischen Landschaft brachten, wird der Blick wieder auf die zähe Auseinandersetzung des Präsidenten Klaus Werner Johannis mit der Regierungskoalition und dem PSD-Vorsitzenden gelenkt, auf die Gesetzesänderungen in der Justiz, die Ministerumbesetzungen.
In zwei Personalentscheidungen hält Johannis gegen die Regierung: Er weigert sich seit Monaten, eine Nachfolgerin für die im Mai 2018 von ihm nach langen Diskussionen entlassene DNA-Chefin Laura Kövesi zu akzeptieren. Alle Nominierungen durch den Justizminister Tudorel Toader fanden nicht die Zustimmung des Präsidenten. Ebenso weigert sich der Staatspräsident, die Umbesetzung der Ministerien für Transport und Entwicklung zu vollziehen. Mehrfach erklärte Johannis, dass er Lia Olga Vasilescu nicht als Ministerin für Entwicklung und Mircea Drăghici als Transportminister akzeptiere, woraufhin die Regierung nun das Verfassungsgericht anrufen will. Ein "Ping-Pong" auf höchster Ebene, das allerdings nicht unendlich lange fortgesetzt werden kann. Ebenso hat Johannis erkennen lassen, dass er sich gegen die Ablösung des Generalstaatstanwalts Augustin Lazăr wehren werde, den der Justizminister ähnlich wie im Falle der DNA-Chefin mit eher nebensächlichen Vorwürfen aus dem Amt drängen möchte. Weshalb Augustin Lazăr stört, ist offensichtlich: Er hat wiederholt sich gegen die von der Regierung initiierten "Justizreformen" ausgesprochen, die seiner Ansicht nach den Rechtsstaat gefährden.
Es ist Dragnea in den Monaten seit der Demonstration im August gelungen, die Macht innerhalb der Regierungspartei für sich allein zu beanspruchen und einen "Putsch" zu überstehen. Die Art, wie dies geschehen ist, lässt wenig Aussicht auf innerparteiliche Änderungen zu. Zwar gibt es zunehmend Stimmen, die auf das Ende des autoritären Führungsstils hoffen, aber dieses herbeizuführen, sieht im Augenblick wohl kaum jemand eine Gelegenheit. Zu sehr sind alle "Barone", die Parteichefs der Kreise, mit dem reich gewordenen Politiker aus der armen Region Teleorman verbandelt, als dass sie folgenlos für sich selbst diesen attackieren könnten. Auch die Koalitionsparteien halten an ihm fest. Das ALDE-Bündnis unter Călin Popescu Tăriceanu und die ungarische Partei UDMR haben bisher keine Veranlassung gesehen, die Regierung platzen zu lassen. Obwohl sich Popescu Tăriceanu gerne als möglicher Präsidentenkandidat profilieren möchte. Aber auch er redet wie Dragnea von den "Machtmissbräuchen" der Justiz und der Anti-Korruptionsagentur DNA unter Kövesi und leugnet, dass in Rumänien ein besonderes Maß an Korruption anzutreffen sei. Die Opposition mit PNL und USR hat zwar mehrfach Misstrauensanträge gegen die Regierung gestellt, aber nicht die Mehrheit im Parlament gewonnen. Während die PNL unter Ludovic Orban kaum sehr schlagkräftig wirkt, hat die junge alternative Partei USR (Uniunea Salvaţi România; Union Rettet Rumänien), die aus der Anti-Korruptionsbewegung gegen die Regierung hervorging und vielleicht am ehesten mit westeuropäischen Programmparteien verglichen werden kann, noch zu wenige Abgeordnete. Unter ihnen befindet sich der Soziologe und Schriftsteller Dan Lungu.
Bleibt der aus der deutschen Minderheit Siebenbürgens stammende Präsident Johannis. Glaubte er in der Sache der Entlassung der DNA-Chefin ebenso nachgeben zu müssen wie auch bei dem Vorschlag, die Europaabgeordnete Viorica Dăncilă als Premierministerin zu akzeptieren, so schien sein Handlungsspielraum auf Appelle an die Regierung und die Verzögerung von Parlamentsentscheidungen eingeschränkt zu sein. Mittlerweile werden ihm die beiden Personalentscheidungen als Fehler von denen angelastet, die sich einen aktiveren, deutlicher einmischenden Präsidenten wünschen. Andererseits profiliert sich Johannis bei sich annäherndem Wahltermin im November, indem er der Regierung die Ernennung der beiden Minister verweigert und wiederholt auf die mangelhafte Regierungsarbeit hinweist, die überwiegend mit Manövern zur Verhinderung von Korruptionsverfolgung beschäftigt sei. Als sichtbare Figur der Repräsentanz des Staates bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Rumänien häuft er zudem internationales Renomée an. So werden möglichen Gegenkandidaten z.Z. wenig Chancen bei der Wahl im November eingeräumt. Dies mag der Grund sein, dass mittlerweile aus dem PSD-Lager nationalistische und xenofobe Angriffe auf Johannis und die deutschen Minderheiten sich häufen. So wurde er aus der PSD als "Nazi" bezeichnet, Der deutsche Botschafter in Bukarest, Cord Meyer-Clodt, sah sich veranlasst, anlässlich der 100-Jahrfeier der "Mediaşer Beschlüsse", durch die die Siebenbürger Sachsen am 8. Januar 1919 ihren Beitritt zu Groß-Rumänien bestätigten, darauf hinzuweisen, dass dies nur vereinzelte Stimmen seien und sie die Wertschätzung der Deutschen in Rumänien nicht schmälern könne.
Eine der Strategien Dragneas ist auf eine Amnestie-Ordonnanz gerichtet, die mit der Regierungsmehrheit genau die Taten amnestieren würde, deretwegen auch Dragnea angeklagt bzw. bereits verurteilt worden ist. Natürlich würde ein solches Vorgehen großen Aufruhr hervorrufen und entsprechend zögerlich wird das Thema seit Wochen in Politikerkreisen der Hauptstadt behandelt und von PSD-Seite immer wieder dementiert. Wie zuletzt auch im Europäischen Parlament von der Premierministerin Viorica Dăncilă, als sie die Übernahme des Ratsvorsitzes durch Rumänien präsentierte. Aber möglicherweise gibt es bereits Gespräche zwischen der Premierministerin und Justizminister Tudorel Toader über die Möglichkeit eines solchen Erlasses, der ohne Diskussion im Parlament von der Regierung verabschiedet werden kann. Aktuell hat der CCR (Curtea Constituţională României; Verfassungsgerichthof) entschieden, dass seit Jahren Unregelmäßigkeiten bei der Bestellung der fünfköpfigen Tribunale des ÎCCJ (Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie; Hoher Gerichtshof) zu einer Ungültigkeit von deren Urteilen geführt habe. Statt dass alle fünf Richter durch Los ermittelt wurden, waren es bisher nur vier. Hier wittert nun Justizminister Toader die Chance zu einer amnistierenden Ordonnanz - über 300 Urteile mit diesem "Fehler" seit 2014 sollen aufgehoben werden. Darunter fielen alle in Korruptionsfällen ergangenen und natürlich auch die Verurteilung Dragneas wegen Wahlfälschung. Die USR ruft bereits ihre Anhänger und alle BürgerInnen auf die Straße, um diese klar gegen die Verfassung gerichtete Ordonnanz zu verhindern, damit nicht Dragnea Premierminister werden könne. Dem schloss sich der 102 Jahre alte Philosoph Mihai Şora an, der in den sozialen Netzen zu Demonstrationen und Neuwahlen aufrief.
Welchen Aufwand der verhinderte Premierminister Dragnea für seine Reinwaschung treiben muss, ergibt sich aus seinen anhängigen Verfahren: Eine endgültige Entscheidung in der Strafsache wegen Anstiftung zum Betrug, für die er bereits im Juni vergangenen Jahres verurteilt wurde, hat ein Gericht nun auf den 19. Februar 2019 verschoben.
Jetzt auch mit Deutschland?
Konferenz der "Iniţiativă-Trei-Mări" in Bukarest
Foto: http://three-seas.eu
In der internationalen Politik hat Energieversorgung für die Gegenwart eine entscheidende Rolle gewonnen. Zahlreiche der aktuellen militärischen Konflikte lassen sich auf die Beherrschung von Zugängen zu Energiequellen zurückführen - insbesondere zu dem den Klimawandel verursachenden Erdöl. Dieses zu ersetzen, hat einen gewichtigen Anteil an den internationalen diplomatischen Bemühungen und löst international tief greifende Verwerfungen aus.
Rumänien liegt geopolitisch in einer für diese Energieleitungen nach Europa nicht unwichtigen Lage, was dazu beitrug, dass interessierte Politiker und Manager sich an zwei Tagen (17.-18.9.2018) in Bukarest zu der 3. Konferenz der "Iniţiativă Trei mări" (Drei Meere) einfanden, um u.a. auch über die Ökonomie der Ost-West-Energieströme zu debattieren. Diese Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, als offene Plattform innerhalb der EU ökonomische Verbindungen zwischen den Staaten Osteuropas (präziser: zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer) zu intensivieren. Teilnehmer sind Polen, die baltischen Staaten, Österreich, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Kroatien. Neben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dem deutschen Außenminister Heiko Maas ließ es sich selbst der US-amerikanische Energieminister Rick Perry nicht nehmen, an die Dâmboviţa zu eilen.
Präsident Klaus Johannis sah die Bedeutung des Treffens in der Konzentration auf den Dreiklang von Transport, Digitalisierung und Energie. Bereits zu Beginn wurde die Tagung konfrontiert mit einer Begrüßungsnachricht des US-Präsidenten Donald Trump, der einigen Ländern - darunter Rumänien - zum Ausbau ihrer Pipeline-Infrastruktur gratulierte und auf die Lieferung von amerikanischem Flüssiggas in die strategisch wichtige Region verwies sowie die Beteiligung amerikanischer Firmen (Exxon) am Business Forum der Tagung.
Für die formulierte Absicht der Konferenz, in der Gemengelage zwischen EU, USA, Rumänien, Russland und Schwarzmeeranrainern neue Impulse zum Ausbau der digitalen und Transport-Infrastruktur auch der Energieversorgung zu geben, war der Hinweis Trumps auf das eigene amerikanische Flüssiggas (unterschwellig gemeint: statt von Russland abhängig zu bleiben) ein Stein im Getriebe. Es sollten noch andere hinzu kommen.
Die energiepolitischen Themen finden sich eingerahmt durch die Diskussion um die geplanten
Pipelines Nord Stream 2, TurkStream und mögliche weitere Alternativen. Sie sollen in einigen Jahren Erdgas aus Russland und Azerbaidshan und anderen Ländern (Mittelasien, Iran) nach Westen bringen: Im viel
diskutierten "Nordkorridor" durch die Ostsee, im Süden über die Türkei. Trump hatte bereits vorher seine Abneigung gegen die deutsche Vorliebe für Nord Stream 2 mit dem Hinweis auf die
Widersprüchlichkeit der Abhängigkeit von Russland und gleichzeitigen Sanktionen gegen das Land deutlich gemacht. In Osteuropa findet er dabei Gehör, wie auch Perry in diese Kerbe hieb - und auch
ein Revival der Atomkraft an die Wand zu malen versuchte.
Im Bau befindliche Pipelines sind im "Südkorridor" die TANAP, die Gas aus Azerbaidshan in die Türkei und später über Griechenland in die Trans-Adria-Pipeline TAP in die EU leitet. Turkstream soll Gas aus Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei bringen. Für die russische Gesellschaft Gazprom ist dies interessant, da so die Ukraine umgangen wird, während die EU und Deutschland ihre Abhängigkeit von Erdgas aus Russland durch TANAP mindern wollen. Vor dem "3Sea"-Gipfel machte der russische Präsident Putin dem ungarischen Premier Victor Orban Avancen, dass Ungarn auch an TurkStream angeschlossen werden könne. Für das Teilstück Trans-Adria-Pipeline (TAP) hat im Januar die Europäische Investitionsbank ihr bisher größtes Kreditvolumen in Höhe von 1,5 Milliarden € bewilligt. Die TAP soll von Albanien durch die Adria nach Süditalien das Gas der TANAP leiten. Beides sind Überreste des 2013 gescheiterten Nabucco-Projekts der EU mit ähnlicher Ausrichtung.
Rumänien hingegen baut mittlerweile, um eigene Gasvorkommen im Schwarzen Meer auszubeuten, eine Pipeline BRUA von Giurgiu nach Ungarn. Es sollen 350 Millionen Euro durch die staatseigene Transgaz eingesetzt werden. Von Ungarn war eigentlich geplant, dass die Rohre bis Österreich weitergebaut werden sollen. Jetzt hat aber verlautet aus Ungarn von der Betreibergesellschaft, dass das Gas eher nach Kroatien, der Slowakei oder in die Ukraine gelangen solle - aus BRUA wird BRU.
Wenn auch die Hochglanzbroschüren der involvierten Firmen wie selbstverständlich erwähnen, dass die Verlegung der Pipelines allen Standards des Umweltschutzes entsprechen, verweisen Experten auf mögliche Gefahren. Die Vergabe des Kredits zum Bau von TAP wurde kritisiert mit dem Hinweis darauf, dass der Ausstoß von Methan sich dem kritischen Faktor 3 nähere, ab dem ein Umweltvorteil gegenüber der Kohle nicht mehr realisiert werde. Ebenso in Betracht zu ziehen sind mögliche Pipeline-Unfälle, die auf dem Meeresboden und auf Land große Schäden verursachen können.
Auch intern verläuft die Strategie Rumäniens nicht völlig rund: Das Gesetz zur Ausbeutung der Off-Shore-Gasvorkommen im Schwarzen Meer hatte Präsident Johannis an das Parlament zurück verwiesen, während PSD-Chef Liviu Dragnea bekräftigte, dass es noch dieses Jahr in Kraft treten werde. Streitpunkt war die von Johannis bemängelte Intransparenz der Aufteilung der Einkünfte zwischen Staat und beteiligten Firmen (OMV und EXXON). Auf der Konferenz war Dragnea nur mit einem halbstündigen Gespräch mit Perry präsent, die Premierministerin Viorica Dăncilă verpasste einen Termin mit Juncker, holte dies aber am Flughafen noch für 15 Minuten nach. Auch hier also sind die die rumänische Politik durchziehenden Gegensätze bemerkbar. Ein Kommentator der Zeitung România liberă warf Johannis vor, die Konferenz sei von ihm "sabotată cu rafinament" hinsichtlich ihrer transatlantischen Ausrichtung.
Hier werden internationale Interessen an der rumänischen Position wirksam. Nicht nur die Botschaft Donald Trumps, sondern auch die Teilnahme von Außenminister Heiko Maas, Jean-Claude Juncker oder Perry spricht dafür. Denn jenseits der Energiefrage tritt mit "3Seas" ein weiterer regionaler EU-Zusammenschluss auf, der auf "Visegrád" antwortet - die lose Kooperation von Polen, Ungarn, Slowakei und Tschechien, die ihre Anti-EU-Tendenzen immer wieder dementieren muss. "3Seas" ist größer und hat auch ausgesprochene EU-Anhänger als Mitglieder. Die Wirkung dieser Initiative auf die Entwicklung der EU bleibt noch abzuwarten. Dass sie nicht völlig unbeachtet bleibt, zeigt das auf der Konferenz bekannt gewordene Interesse Deutschlands an einem Beitritt zu "3Seas" - ganz auf der Linie einer "neuen Ostpolitik", wie Heiko Maas formulierte.
Was vor wenigen Wochen noch kaum vorstellbar schien, obwohl es sich in der Logik der Entwicklung abzeichnete, wird nun Realität: Nicht ein politisches Leichtgewicht, sondern die Bukarester Bürgermeisterin und Vize-Parteichefin Gabriela Firea hat einen Brief zusammen mit Vizepremierminister Paul Stănescu und Vizepräsident des Senats Adrian Ţuţuianu lanciert, in dem der sofortige Rücktritt des PSD-Vorsitzenden und Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea, gefordert wird. Begründet wird der Schritt mit der schwachen Leistung Dragneas als Parteichef, der der umstrittenste Politiker Rumäniens (fiind de altfel cel mai contestat lider politic din Romania ultimilor ani) und wegen seiner juristischen Abgreifbarkeit ein Hindernis für die Reformen sei. Weitere Punkte sind die Polarisierung der Gesellschaft, die durch die Vorgänge bei der Demonstration am 10. August, bei der über 400 Protestierer verletzt wurden, nur vertieft werde; ebenso die Situation der PSD, die sich im Konflikt mit fast allen wichtigen Institutionen des Staates befinde (Präsident, Opposition, Geheimdienst, Zivilgesellschaft u.a.) und ihre defizitäre Kommunikationssituation, in der nur Themen wie Korruption, Justizreformen, "Parallelstaat" vorkämen, statt wirtschaftliche Erfolge in den Mittelpunkt zu stellen.
Der Brief fordert die Premierministerin Viorica Dăncilă auf, Interimspräsidentin der Partei bis zu einem außerordentlichen Parteitag im kommenden Jahr zu sein und die Regierungskoalition mit dem Bündnis ALDE fortzuführen. Als Aufgabe wird neben den "Reformen" auch die Vorbereitung auf die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im Januar 2019 genannt. Ein Gesetz zur Amnestie und Begnadigung, das zuletzt als Mittel der Wiederherstellung der Politikfähigkeit von verurteilten Politikern wie Dragnea genannt wurde, sollte im Dialog mit den Parteien, den Justizorganisationen der Richter, Staatsanwälte, Verteidiger und der Zivilgesellschaft vorbereitet werden. Ebenso sollten Verfassungsänderungen diskutiert werden.
Bisher hat sich die Premierministerin Dăncilă, die vielfach als Marionette Dragneas beschrieben wurde, noch nicht erklärt. Ob auf einer Sondersitzung des Exekutivrates der Partei am 21.9.2018 die Kritiker eine Mehrheit erringen werden, steht noch nicht fest. Währenddessen gehen Kommentatoren davon aus, dass unabhängig davon Dragnea politisch am Ende sei.
Update 22.9.2018
Nach einer neunstündigen Sitzung des Comitetul Executiv Naţional (CExN) der PSD mit 64 Teilnehmern aus den Landkreisen und der Parteispitze, wurde mitgeteilt, dass Liviu Dragnea nicht abgewählt wurde. Unterschiedlich fiel die Aussage über das Abstimmungsverhalten aus: Dragnea sprach von 56 Stimmen für und 8 gegen ihn; Gabriela Firea, die durch einen offenen Brief die Sitzung veranlasst hatte, gab als Ergebnis 39 Stimmen pro Dragnea und 10 Gegenstimmen an.
Die Republik Moldau im EU-Assozierungsabkommen
Eine Tagung des IEP (Berlin) (16.10.2018)
Foto: www.kultro.de
Es sind optimistische Zahlen, die Adrian Lupuşor von der Expert-Grup (Chişinău) in Grafiken und Tabellen verkündet: Die Republik Moldau habe durch die DCFTA (Vertiefte und umfassende Freihandelszone) viele der Verluste durch die russischen Sanktionen auf ökonomischem Gebiet wieder wett gemacht, auch der befürchtete Einbruch in der Agroökonomie sei ausgeblieben.
Bei der Konferenz im Institut für Europäische Politik (Berlin) thematisierten nur wenige Wochen nach einem Vortrag des moldauischen Außenministers Tudor Ulianovschi im September im IeP Experten aus dem Land an der EU-Grenze zu Rumänien einige der Probleme im Zusammenhang mit dem Assoziationsabkommen (AA), das 2014 zwischen Moldova und der EU abgeschlossen wurde. Lupuşor sagte, es sei die vorsichtige Einführung von Liberalisierungen mit mehreren Vorkehrungen zur Milderung der Risiken für bestimmte Sektoren des moldauischen Marktes gewesen, die nach vier Jahren eine positive Bilanz des DCFTA zuließen. Gerade auf dem Sektor der Agronomie, wo die größten Befürchtungen bestanden, seien die Nahrungsmittelhersteller die größten Nutznießer des DCFTA.
Ein Problem stellt die Geldwäsche in dem Land dar. Sergiu Gaibu und Andres Knobel (Expert-Grup) verwiesen auf die Tatsache, dass Moldau keineswegs das einzige Land mit dieser Fragestellung sei und erinnerten an die gerade aufgedeckte Rolle der Danske Bank im "Waschen" von Geld aus Estland. Für die EU sei allerdings Moldau wichtig, da durch dortige Geldwäschemanöver auch die Maßnahmen in Brüssel konterkariert werden könnten: Geldwäsche sei ein internationales Geschehen. Deshalb gab es im vergangenen Jahr auch eine 100 Mio.€- Finanzspritze der EU, um Moldova die Fortentwicklung der bisherigen Anti-Geldwäsche-Politik zu ermöglichen. Gaibu kritisierte, dass das neue Gesetz vom Dezember 2017 in Chişinău nicht die notwendige Einbeziehung möglicherweise korrupter staatlicher oder juristischer Institutionen vollziehe. Dies sei das Neue an der Entwicklung, dass im Falle von Moldova Richter Teil von Geldwäscheplänen waren, was bisher in den AntiMoneyLaundering-Maßnahmen (AML) wenig berücksichtigt worden sei. So habe der berüchtigte russische "Laundromat" (Waschmaschine), mit dem 20 Mrd. $ in das legale europäische Finanzsystem gebracht wurden, sich auf moldauische Gerichtsurteile gestützt, die von den westlichen Banken nicht hinterfragt wurden. Ebenfalls waren staatliche Institutionen 2014 in den Diebstahl von 1 Mrd. $ aus dem staatlichen moldauischen Bankensystem verwickelt, der bis dato nicht aufgeklärt wurde. (Die Summe macht 12% des moldauischen Bruttoinlandsprodukt aus.) Angesichts dieser Situation plädierten beide Referenten für eine holistische Betrachtung des Problems Geldwäsche mit Einbeziehung aller an den Finanzströmen beteiligten Institutionen und für die bessere nationale und internationale Umsetzung der bestehenden Instrumentarien zur Überwachung von Geldkanälen.
Im dritten Teil der Tagung war die Haltung der ethnischen Minoritäten zur EU das Thema. In einer Übersicht gab Iulian Groza, Direktor des Think-Tanks IPRE (Chişinău), eine generelle Einschätzung zur Situation vor den Wahlen im Februar 2019 und nach der Annullierung der Bürgermeisterwahlen in Chişinău im Frühjahr 2018. Das Bild stimmte weniger optimistisch. So sei eine Verschlechterung des demokratischen Umfelds zu beobachten, der politische Wille zur Annäherung an die EU kaum zu erkennen. Nachdem die EU die Unterstützung wegen der Annullierung der Bürgermeisterwahl ausgesetzt hat, habe der Einfluss abgenommen und auch die Möglichkeit einzugreifen. Auch der Raum der Zivilgesellschaft sei eingeschränkt.
Stanislav Ghileţchi wies dann auf die Polarisierungen innerhalb der moldauischen Gesellschaft hin, die er als großteils von der politischen Elite angefacht sieht. Bedenklich sei, dass dabei zunehmend auch die Minoritäten positioniert werden. Diese sind mehrheitlich pro-russisch, dabei aber - wie etwa die Gagausen - die größten Empfänger von EU-Subventionen! Der EU-Diskurs sei in Moldova mittlerweile selbst Teil der gesellschaftlichen Kluft, die geopolitischen Polarisierungen verursachen hitzige Debatten in der moldauischen Gesellschaft. Ghileţchi empfahl die Verstärkung von den Dialog und die Interaktion auf lokaler Ebene fördernden Maßnahmen (wenn diese auch von den WählerInnen meist nicht gewürdigt würden).
Den geopolitischen Blick vertiefte Sarah Pagung von der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin). Sie brachte die Diskussionen über die Rolle der EU, ihre zukünftige Verfassung und Entwicklung zur Sprache. Insbesondere die Frage des Nationalstaates und der Gemeinschaft als Idee wurden in ihrer Übertragbarkeit auf Moldova diskutiert: Die moldauische Gesellschaft erscheint eher als gespalten und wenig an einer einheitlichen Ideologie interessiert. Da ist es wenig günstig, wenn die EU als parteiisch erscheine und nicht als neutraler Makler.
In der angeregten Diskussion skizzierte Groza auf Nachfrage das Association Agreement als in der jetzigen Situation ideales Instrument, da es der Moldau erlaube, ihre politischen und gesellschaftlichen Defizite aufzuarbeiten, ohne sich für eine Seite im geopolitischen Spannungszustand entscheiden zu müssen.
DNA-Chefin Laura Kövesi von Staatspräsident Johannis entlassen
Am 9.7.2018 hat in Bukarest Staatspräsident Klaus Johannis die Leiterin der Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft DNA, Laura Kövesi entlassen. Er folgte damit einer Aufforderung des Verfassungsgerichts (CCR). Dieses wiederum hatte die Weigerung Johannis', einer entsprechenden Anordnung des Justizministers Tudorel Toader Folge zu leisten, für nicht legal erklärt.
Kövesi hatte das Amt über fünf Jahre inne, während der eine Reihe von Ministern und hohen Funktionsträgern wegen Korruption verurteilt wurden. Die Ablösung Kövesis und die Beschneidung der justiziellen Unabhängigkeit im Kampf gegen die Korruption war ein wichtiges Ziel der regierenden Koalition aus PSD und ALDE. Kövesis reguläre Amtszeit hätte 2019 geendet. Vor Journalisten betonte Kövesi, dass sie weiterhin Staatsanwältin bleiben werde und rief ihre DNA-Kollegen auf, wie bisher mit Hartnäckigkeit ihre Aufgabe zu verfolgen.
Zuspitzung.
Zur aktuellen politischen Lage in Rumänien
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In den vergangenen Tagen und Wochen hat sich die innenpolitische Situation in Rumänien deutlich verändert. Dies machte auch der Besuch des Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea (PSD) in der Schweiz am 29.-31 Mai offensichtlich. Schweizer Medien berichteten, dass der Termin unpassend gewählt sei, da am 30. Mai Dragnea das Urteil in einem seiner beiden noch ausstehenden Prozesse erfahren sollte. Kein guter Zeitpunkt für eine Auslandsreise also, worauf auch die Schweizer Filiale der rumänischen Protestbewegung #Rezist aufmerksam machte. Größere Weiterungen hatte diese Koinzidenz zunächst allerdings nicht, da das Gericht mit Hinweis auf die Reise die Urteilsverkündigung verschob, aus anderen Gründen mittlerweile auf den 21. Juni 2018. In den damit gewonnenen Tagen spielt sich allerdings eine Verschiebung der Macht auf der Bukarester Politbühne ab, die entscheidend für die Zukunft des Landes werden könnte. Denn während Dragnea in die Schweiz reiste, entschied der CCR (Curtea Constituţională României, Verfassungsgerichtshof) mit Mehrheit, dass der Präsident Klaus Iohannis nicht ermächtigt sei, die von Justizminister Tudorel Toader geforderte Entlassung der Präsidentin der DNA, Laura Kövesi, länger zu verhindern.
Die DNA entwickelte sich unter Kövesi zu einer konsequenten Verfolgerin der Gesetzesverstöße von Politikern aller Couleur – ob in hohen oder niedrigen Ämtern. So mussten bereits mehrere Minister den Gang in das Gefängnis antreten. Zuletzt hat sich die frühere Ministerin für Tourismus unter Präsident Traian Băsescu, Elena Udrea, nach Costa Rica begeben, bevor ein Gericht in Rumänien sie zu sechs Jahren Haft verurteilt hat. Die DNA unter Kövesi wurde von durch Strafverfolgung bedrohten korrupten Politiker zur Hauptgegnerin erkoren, unter ihnen eben auch Parteichef und Präsident der Abgeord-netenkammer Liviu Dragnea, der bereits verurteilt ist und daher nicht das wichtige Amt des Premier-ministers einnehmen kann und dessen politische Karriere mit einer weiteren Verurteilung beendet wäre.
Die Entscheidung des CCR bedeutet einen schweren Schlag für die Antikorruptionsstrategie des Präsidenten. Der frühere Premierminister Daniel Cioloş sprach von einer "Umwandlung des Ver-fassungsgerichts in einen politischen Akteur". Auch der Politiker Cristian Ghinea von der neu ins Parlament gewählten alternativen Partei USR (Uniunea Salvaţi România; Union Rettet Rumänien) sprach von einer "absurden Entscheidung, durch die de facto die Autorität des Präsidenten aufgelöst werde". Noch weitergehend sah der Chef der größten Oppositionspartei PNL (Partidul Naţional-Liberal), Ludovic Orban, einen in einen Gerichtsentscheid gewandeten Staatsstreich, der die Demokratie in Gefahr bringe.
Dem aus Teleorman stammenden PSD-Politiker Dragnea gelang es mit der auf nur 20% der Stimmen (44% der an der Wahl Teilnehmenden; Wahlbeteiligung: 39,42%) und einer Koalition mit der ALDE beruhenden Parlamentsmehrheit in den letzten Jahren immer wieder, Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Institutionen in die von Dragneas Partei gewünschte Richtung lenkten. So geht es ihm vor allem um die Zähmung der Justiz in Korruptionssachen. Bislang scheiterten alle Versuche, Korruptionsdelikte lediglich ab einer bestimmten Summe verfolgen zu lassen, am Veto des Präsidenten Johannis. Ein weiteres Vorhaben zielt auf die Veränderung der Justiz im Gesamten: Die Staatsanwälte sollen dem Justizminister unterstellt werden, statt bisher dem Präsidenten. Bei der politischen Polarisierung und dem bei Politikern in Rumänien wenig ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein für die demokratischen Strukturen ein heikles Thema, das zudem offensichtlich den ganz konkreten Zweck verfolgt, die Aktivitäten der Staatsanwälte und Richter gegen korrupte Politiker zu bremsen. Auch der jetzige parteilose Justizminister Tudorel Toader, Professor für Jura und Rektor der Universität in Iaşi (Jassy) trägt diese waghalsige Strategie der PSD-ALDE-Koalition. Die Selbstverwaltung der Richter (CSM; Consiliul Superior al Magistraturii) hat mit großer Mehrheit dieses Ansinnen scharf verurteilt. Ebenso der Generalstaatsanwalt.
Ist die Absicht Dragneas und anderer PolitikerInnen nur allzu offensichtlich, so sucht er sie zudem mit einer Ideologie der "Rettung vor bösen Mächten" zu bemänteln. Seine Parteigänger sprechen von einem "stat paralel", von einer Justizdiktatur der DNA mit Bespitzelung der Gesellschaft wie zu Zeiten der Securitate. Um gegen die europaweit wahrgenommenen massenhaften Proteste der Zivilgesellschaft gegen Dragneas Justizpolitik eigene Bilder zu setzen, hatte die PSD am Samstag, 9. Juni, zu einer großen Demonstration nach Bukarest geladen. Organisiert von den PSD-Parteibüros in den Kreisen brachten Busse und Züge etwa 200000 Menschen auf den Platz vor dem Regierungsgebäude, auf dem sonst die Oppositionellen gegen die Regierung demonstrieren. Nach der Bukarester Oberbürgermeisterin Gabriela Firea, dem Koalitionspartner Călin Popescu Tăriceanu (ALDE) und der Premierministerin Viorica Dăncilă sprach Dragnea selbst und versuchte, das Bild eines Überwachungsstaates zu zeichnen, der jeden verhören und denunzieren wolle: „Ein System, das die staatlichen Institutionen nicht legitim gebraucht, außerhalb und parallel zur Demokratie, zum durch Wahlen ausgedrückten Willen des Volkes. Alle diese Dinge können mit einem Wort umfasst werden: Securitate.“ Erstaunlich für einen Politiker, der bereits wegen Wahlfälschung verurteilt wurde und auf zwei weitere Urteile wartet. Dragnea schließt mit den die Dimensionen seines Denkens entlarvenden Worten zur in weißen T-Shirts einheitlich gekleideten Menge: "Ich habe die weiße Farbe gewählt, weil Weiß die Sauberkeit symbolisiert! Das ist, was wir machen! Wir säubern das Land von dem Dreck, den diese Ratten verbreiten!" Die komplette Verdrehung der Sachlage scheint die Hauptagenda des starken Mannes in der rumänischen Politik darzustellen. Ob ihm diese vor der Menge gelingt, ist fraglich: Zahlreiche der Protestierer (gegen wen oder was? Einige trugen Schilder "Jos labele de pe salarii şi pensii" - Finger weg von den Löhnen und Renten) schienen kaum den Anlass ihres Ausfluges in die Hauptstadt verstanden zu haben, zu dem sie wohl von Arbeitgebern, Familienvätern, Freunden animiert wurden. Bei der Rede Dragneas leerte sich der Platz bereits für die Rückreise. Zeitweise erschien auf dem Regierungsgebäude das Motto der Opposition: #Rezist.
Dennoch: Der größere politische Zusammenhang und die Breite der Angriffe lässt Beobachter vermuten, dass Dragnea ein noch umfassenderes Ziel ins Auge genommen hat – die Umwandlung des rumänischen Präsidialsystems in ein Parlamentssystem. Darauf hin weisen etwa die am Präsidenten vorbei be-schlossene Verlegung der rumänischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem. Oder die immer schärfere Kritik am Agieren des Präsidenten.
Weitergehend überlegen einige PSD-Politiker, ob man Johannis nicht im Falle einer weiteren Ablehnung der Entlassung Kövesis einem Suspendierungsverfahren unterziehen solle, wie es die PSD seinerzeit unter Victor Ponta im Falle Traian Băsescus versuchte. Noch in dieser Woche soll eine weitere Veränderung der Justizgesetze das Parlament im Schnelldurchgang passieren und möglicherweise sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Johannis eingeleitet werden. Das Urteil gegen Dragnea im Prozess mit seiner Ex-Ehefrau wegen Anstiftung zum Mißbrauch im Amt und Anstiftung zur Fälschung ist ebenfalls diese Woche für den 21. Juni vorgesehen.
UPDATE 19.6.2018
Am späten Montagabend, 18.6. hat die Mehrheit aus PSD, ALDE, UDMR (Uniunea
Democrată Maghiară din România; "Ungarnpartei") der Abgeordnetenkammer des rumänischen Parlaments die Veränderung des Prozessrechts (Codul de procedură penală) beschlossen. Die Oppositionspartei
PNL kündigte an, das Verfassungsgericht CCR gegen das Gesetz anzurufen. Zudem monierte die Opposition, dass das Gesetz erst um 18.45 Uhr aus dem entsprechenden Ausschuss kam und dann nur kurze
Zeit debattiert wurde, bevor die Abstimmung begann. Sie endete mit 175 Stimmen pro, 78 contra und 1 Enthaltung.
Nach dem jetzt beschlossenen Gesetz kann eine endgültige Entscheidung in einer Sache rückgängig gemacht werden, wenn der Fall nicht von den Richtern der ersten Instanz unterschrieben wurde (genau dies trifft bei Dragneas Verurteilung zu zwei Jahren Haft mit Bewährung zu). Weitere Veränderungen des Prozessrechts betreffen u.a. die Möglichkeit zur Anklageerhebung, der staatsanwaltlichen Mitteilungen an die Öffentlichkeit, der Begrenzung der Ermittlungszeit auf 1 Jahr, Strafminderung für Kronzeugen nur innerhalb von 6 Monaten nach der Tat.
UPDATE 21.6.2018
In mehreren Städten Rumäniens kam es am Mittwoch zu spontanen Demonstrationen und Protesten gegen die Verabschiedung des neuen Codul de procedură penală. Auf dem Piaţa Victoriei in Bukarest versammelten sich ca. 4000 Protestierer, in Cluj ebenso viele, in Iaşi, Hermannstadt (Sibiu) ebenfalls mehrere Tausend. In Bukarest kam es zu Auseinandersetzungen mit der Jandarmeria (Gendarmerie). Der deutsche Journalist Paul Arne Wagner wurde von den Gendarmen festgenommen. Er ist Autor einer kritischen Reportage über die Bereicherung des Präsidenten der Abgeordnetenkammer und Vorsitzenden der PSD, Liviu Dragnea im Kreis Teleorman, wo Dragneas Aufstieg begann. Auch im Parlament gab es Proteste während einer Rede der Premierministerin Viorica Dăncilă über die Ratspräsidentschaft Rumäniens im ersten Halbjahr 2019.
17:33
PSD-Chef Liviu Dragnea ist wegen Anstiftung zum Betrug zu 3,5 Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. In das Strafmaß geht seine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe ein, die jetzt als Gefängnisstrafe abzusitzen ist. Zu dem Urteil ist Revision möglich.
UPDATE 26.6.2018
Am Mittwoch, 27.6.2018 stimmt das Parlament in Bukarest über den Misstrauensantrag der Oppositionspartei PNL gegen die Regierung von Viorica Dăncilă ab. Der Präsident der PNL, Ludovic Orban, appellierte an die UDMR (Vertretung der Ungarn) nicht länger die Koalition aus PSD und ALDE zu unterstützen.
Mittlerweile scheint der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea von der Absicht, weitere Veränderungen in der Struktur der Justizgesetze durch Notverordnungen einzuführen, abgekommen zu sein.
UPDATE 27.6.2018
Das Misstrauensvotum gegen die Regierung Dăncilă (PSD) ist gescheitert: Von notwendigen 233 Stimmen erhielt der Antrag nur 166.
Dragnea in Bern - "#Rezist" auch
Die Einladung des Schweizer Nationalrates an die Spitze der rumänische Abgeordnetenkammer scheint eine Normalität auszudrücken - da deren Präsident aber Liviu Dragnea ist, wundern sich viele über diese Aufwertung des Politikers auf internationalem Parkett.
Vor einigen Tagen meldete die rumänische Presse, dass die Leitung des Abgeordnetenhauses - darunter dessen Präsident Liviu Dragnea (PSD), der Vizepräsident und Abgeordnete Petru Gabriel Vlase (PSD), Anca Spiridon, Generaldirektorin der Kanzlei des Abgeordnetenpräsidenten, sowie Paul Mihail Ionescu und Paula Turcu als Berater - am 29. bis 31. Mai den Schweizer Nationalrat in Bern besuchen werden. Ausgesprochen wurde die Einladung von dessen Präsidenten Dominique de Buman.
Was zunächst so geschäftsmäßig aussieht, hat Proteste in der rumänischen Diaspora in der Schweiz hervorgerufen. In einem offenen Brief an den Nationalratspräsidenten du Buman drückt "#Rezist Zürich" seine "tiefste Enttäuschung über Ihre Initiative aus, eine so hoch kontroverse politische Person ins Schweizerische Parlament einzuladen". Dragnea sei "strafrechtlich verurteilt und sitzt gerade seine zweijährige Strafe für Wahlfälschung auf Bewährung ab." Der Empfang des rumänischen Politikers stehe "im Widerspruch zu den internationalen Bemühungen der Schweiz zur Einhaltung europäischer Standards im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in Rumänien" und der Bekämpfung der Korruption.
Besonders auffällig sei die Tatsache, dass gerade am 29. Mai gegen Dragnea ein weiteres Urteil anstehe:
Dann entscheidet der höchste Kassationsgerichtshof über ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch, in dem die Staatsanwälte auf 7 Jahre und ebenso weitere 2 Jahre Haft plädieren. "#Rezist Zürich" findet besonders skandalös, dass an diesem Tag Dragnea offiziell im schweizerischen Parlament empfangen werde und sich nicht dem Urteil in Rumänien stelle.
Mittlerweile hat der Schweizer linke Abgeordnete Sommaruga in einem Interview seine Verwunderung über die Einladung des verurteilten und weiterhin angeklagten rumänischen Politikers ausgedrückt: "Es erscheint mir inopportun, in der Schweiz einen Politiker zu empfangen, der verurteilt und angeklagt ist, besonders wenn dies gerade an dem Tag stattfindet, an dem er ein weiteres Urteil erwartet. Durch diesen Besuch hinterlässt Liviu Dragnea den Eindruck, dass er die Entscheidung des höchsten Gerichts politisch beeinflussen will, indem er zeigt, dass er in einer konsolidierten Demokratie wie der Schweiz willkommen ist. Ich glaube, das Schweizer Parlament wurde von Liviu Dragnea manipuliert."
"#Rezist Zürich" hat für Mittwoch zu einer Demonstration in Bern aufgerufen.
Theologe Paul Philippi in rumänischer Presse angegriffen
Hohe Wellen innerhalb der deutsch-rumänischen Minderheiten schlug am 27.11.2017 ein offensichtlich sehr gezielt manipulierender Artikel der Bukarester Tageszeitung "Cotidianul", in dem der siebenbürgisch-sächsische Theologe und Politiker Paul Philippi als möglicher Securist und früheres Mitglied der Waffen-SS deklariert wurde. Ohne größere Einleitung berichtet der/die AutorIn Cl. Ionescu von der Mitgliedschaft in der Waffen-SS, geht im gleichen Satz dann über zu Philippis theologischem Studium in Zürich und Erlangen und erwähnt seine Stelle als Leiter des Instituts für diakonische Studien in Heidelberg. Als Verdachtsmoment ("surprizele ştiinţifice") werden anschließend die beiden Ehrendoktortitel erwähnt, die Philippi 1974 in Cluj/Klausenburg und Sibiu/Hermannstadt erhalten hat ("cum de a reușit Paul Philippi să fie DHC în epoca lui Ceaușescu?"). Und als angebliche Erklärung wird aus einem Text des Autors William Totok zitiert, in dem dieser aus Akten der Securitate heraus jenen Vorgang aufklärt, der 1989 auf dem Evangelischen Kirchentag die Ausladung von Richard Wagner und Herta Müller aus einer Podiumsdiskussion zur Situation in Rumänien zur Folge hatte. Totoks Zitate aus dem Zusammenhang reißend wird im Cotidianul eine Securitate-Tätigkeit Philippis nahe gelegt ("Ceea ce este foarte grav pentru Paul Philippi și alții este că acțiunea îndreptată împotriva scriitorilor Herta Müller și Richard Wagner este orchestrată de fețe bisericești din Sibiu. Între 'turnătorii' Hertei Müller, laureată a Premiului Nobel, se află însuși Paul Philippi.").
Neben der unseriösen 'Argumentation' des Artikels mit einer offensichtlich tendenziösen und manipulativen Absicht gegen die deutsche Minderheit kann als besonders perfide die Aufmachung angesehen werden: Neben die Tabelle aus einer polnischen Publikation mit einer Liste von Waffen-SS-Mitgliedern ist ohne jeden direkten Bezug zu dem Thema das Foto des rumänischen Staatspräsidenten Klaus Johannis gesetzt. (Im Wahlkampf um die Präsidentenschaft hatte seinerzeit der Kandidat Victor Ponta (PSD) Johannis wegen dessen Herkunft in Nazinähe gerückt.)
Hier wird deutlich, welche Absicht hinter diesem Tiefpunkt des Journalismus steht. In den Tagen, in denen wieder Massenproteste gegen die Regierung Dragnea stattfinden, hat das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) entschieden, sich für eine Initiative der Opposition zu engagieren: „Nach eingehender Debatte ist beschlossen worden, das Vorhaben der USR zu unterstützen, die eine Verfassungsänderung initiieren möchte, sodass endgültig Verurteilte in öffentliche Ämter, ins Parlament oder zum Staatspräsidenten nicht gewählt werden können. Mit großer Besorgnis wurde über die Gesetzesinitiative eines PSD-Abgeordneten betreffend die Gängelung der NGOs diskutiert, die sich auch auf die Tätigkeit des DFDR sowie anderer Vereine der deutschen Minderheit negativ auswirken wird, sollte das Gesetz angenommen werden.“ (http://www.fdgr.ro/de/comunicat/514)