FORTSETZUNG HAUSLEITNER
In dieser Gemengelage zeigten viele außenpolitische Zeichen Ende der 1930er Jahre auf die Vorbereitung des Krieges, der mit dem Münchner Abkommen 1938 noch einmal abgewendet schien, aber dann am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen ausbrach. Wenige Wochen vorher machte das Abkommen zwischen Hitler und Stalin auch die deutschen Minderheiten in Rumänien zum Spielball der totalitären Großmächte. In Geheimartikeln dieses Abkommens wurde festgehalten, dass die Sowjetunion diese Territorien der Ukrainischen Sozialistischen Republik in der SU angliedern wollte. Nach Ausbruch des Krieges gab es bereits Umsiedlungen in Ostpolen und dem Baltikum und Hitler sprach im Oktober 1939 von "unhaltbaren Volkssplittern" in Osteuropa, was in der Bukowina Befürchtungen vor einem Zurückbleiben unter den Sowjets schürte und zur Forderung nach einer Umsiedlung beitrug. Im März 1940 drängte die Sowjetunion auf die Besetzung der Nordbukowina und Bessarabiens, so dass nun in diversen Behörden konkret über die Umsiedlung gesprochen wurde. Deren Realisierung nach einem von der Sowjetunion an Rumänien gestellten Ultimatum trug "rassebiologische" Kennzeichen: Es wurden die zur Umsiedlung vorgesehenen Deutschen für ein "Volkskataster" nach ihren Vorfahren und Verwandtschaften abgefragt und eingeteilt (ein weiterer Aspekt dieser Statistikerhebung stellte die heimliche Rekrutierung für die SS dar).
Die Fäden der Erhebungen und der Umsiedlung liefen seit 1939 in der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) zusammen, die der SS von Himmler unterstellt war und die Ansiedlung in neu eroberten Gebieten in Westpolen organisieren sollte. Zugriff auf die deutschen Minderheiten in Rumänien besaß die SS durch die gleichgeschaltete "Deutsche Volksgemeinschaft", die alle unterschiedlichen deutschen Gruppen in Rumänien zusammenfasste und aus Deutschland ihre Weisungen erhielt. So konnte auch auf die bukowiner Leitung durchgegriffen werden, um die Umsiedlung vorzubereiten und durchzuführen. Als im Juli 1940 die Sowjetunion die Nordbukowina und Bessarabien besetzte, wurde der Herbst als Zeitpunkt der Umsiedlung bestimmt. Nur wenige wollten in dem sowjetisch besetzten Gebiet bleiben. Ein besonderes Kapitel nehmen Rumänen, Ukrainer und auch Juden ein, die sich vor den Sowjets durch die Umsiedlung retten wollten. Einige der in "Mischehen" verheirateten ausgesiedelten Juden wurden später im Holocaust ermordet. Es wurden etwa 14000 Nichtdeutsche aus der Nordbukowina umgesiedelt (95), was der SS ein Dorn im Auge war. Bei der konkreten Schilderung der Organisation und Durchführung des Vorhabens im Herbst 1940 durch sog. "Umsiedlungskommissionen" kann sich Hausleitner auf die Dissertation von Dirk Jachomowski stützen, zieht aber zahlreiche neue Quellen zu den beteiligten Personen heran. 90000 nordbukowinische Angehörige der deutschen Minderheit wurden mit Zügen über die Grenze nach Polen und Österreich gebracht, wo sie in Lagern auf ihre "Ansiedlung" warten mussten.
Wiewohl von der Besatzung durch die Rote Armee nicht betroffen, wurden auch die weiterhin zu Rumänien gehörenden Deutschen in der Südbukowina und der Dobrudscha von der Umsiedlung erfasst. In kürzester Zeit wurden im Oktober Abkommen mit Rumänien getroffen und die Abreise organisiert, so dass noch 1940 Züge nach Wien fuhren, um die ca. 52000 Bukowinerdeutschen aus den südlichen Kreisen der Bukowina zu evakuieren. Allerdings mussten die Organisatoren hier mehr Druck aufbauen und noch größere Versprechungen machen, da die Bereitschaft, die nicht mehr unmittelbar bedroht erscheinenden Höfe aufzugeben, deutlich geringer als im Norden war. Hier erwähnt Hausleitner das in der NS-Presse gebrauchte Wort von der "Heimfahrt ins Reich".
Es macht den besonderen Wert der Studie aus, dass sie erstmals detailliert und auf der Basis von unterschiedlichen Quellen darstellt, was dieses "Heim ins Reich" in der Realität bedeutete. Denn in den Auffang- und Beobachtungslagern der EWZ ("Einwanderungszentrale") erst erwies sich deutlich, was die SS unter der "Umsiedlung" verstand: die Einteilung der Bukowinerdeutschen nach der dem Wahn des Nationalsozialismus entsprungenen "rassebiologischen" Kriterien und die Einsetzung auf Höfen im "Warthegau", von denen die polnischen Besitzer gerade erst im Krieg vom Ansiedlungsstab der SS vertrieben worden waren. Aber nicht jeder Bauer erhielt einen solchen Hof, vielmehr galt dies nur für "I"- und "II"- Qualifizierte ("Ostfälle"), die rasch in Westpolen angesiedelt wurden. Als "III" und "IV"-Qualifizierte ("Altreich-Fälle") mussten "zur Eindeutschung" in Deutschland oder Arbeitsstellen antreten. Bei dieser Überprüfung stellte sich heraus, dass 67% der Nordbukowiner als aus "rein deutschen Ehen" kommend eingestuft wurden, aber 30% aus sog. "Mischehen".(133)
Wer diese rigorose Behandlung oder die "Germanisierung" der eroberten Gebiete kritisierte, wurde mit dem Hinweis auf die nahe gelegenen KZs mundtot gemacht. Vielen Bukowinern war die Übernahme der Höfe unangenehm, zumal wenn die früheren Besitzer als Knechte weiter mitarbeiten sollten. (139) Einige wurden erstmals auf das Schicksal der Juden in Polen in diesen Gegenden nahe Lodz ("Litzmannstadt") und Auschwitz in Oberschlesien aufmerksam und erkannten die verbrecherischen Absichten des Hitler-Regimes. 400000 Juden wurden in Ghettos gepfercht oder deportiert, um "Platz" für die Umgesiedelten auch aus anderen Regionen (Tirol, Baltikum) zu machen.
Erstmals erfährt man in der Studie etwas über Rückkehrer und die besondere Situation der ausgesiedelten Ukrainer. Nach der Rückeroberung der Bukowina und Bessarabiens 1941 war die Zahl derjenigen, die sich in ihr Herkunftsland zürück wünschten, nicht gering. Dies bereitete den rumänischen Behörden wegen der Besiedlung der verlassenen Höfe durch rumänische Flüchtlinge einige Probleme, die das Verhältnis zu dem Kriegspartner Hitler-Deutschland belasteten. Die Vernetzung dieser komplizierten Umstände mit aus dem Kriegsgeschehen sich ergebenden politischen Fragen demonstriert Hausleitner am Beispiel des Umgangs mit den Ukrainern, die ja in der Westukraine einen eigenen Staat von Hitlers Gnaden installieren wollten.
Mit dem Vormarsch der Roten Armee nach Westen mussten die Angesiedelten wieder evakuiert werden bzw. flüchten. Dies traf auch auf die in Lothringen sesshaft Gewordenen zu. Im unbeschreiblichen Chaos der Fluchtbewegungen 1944/45 versuchten Gruppen von Bukowinern zurück nach Rumänien zu gelangen.
Hausleitner konzentriert ihre Schlusskapitel auf das Personal der Bukowinerdeutschen nationalsozialistischen Funktionäre, die sowohl an der Umsiedlung aktiv beteiligt waren, wie auch in der entstehenden Landsmannschaft in der BRD Einfluss hatten. Sie kann nachweisen, wie es einigen der Funktionäre gelang, ihre Verantwortung zu vertuschen und die Geschichtsschreibung der Umsiedlung "Heim ins Reich" in diesem Sinne zu lenken. Zudem nahmen diese Funktionäre Einfluss auf die Verteilung der finanziellen Mittel des Lastenausgleichs, so dass sie erhebliche Machtpositionen in der Landsmannschaft mit entsprechenden Folgen auch für deren Selbstdarstellung einnahmen.
Die Studie bietet über den bereits von Jachomowski ausführlich dargestellten Vorgang der "Umsiedlung" hinaus
zahlreiche neue Details und Kontextualisierungen von Abläufen und Absichten, die bisher nicht bekannt waren. Der Perspektivenreichtum der Darstellung geht auf eindringliche Quellenrecherchen
zurück, die erkennen lassen, wie sehr SS, VoMi, EWZ unter dem Deckmantel der "Heim ins Reich"-Kampagne ihre verbrecherischen Ziele der "Germanisierung" und Ausrottung im "Warthegau" verfolgten.
Hausleitner nennt die in den Akten auftauchenden Namen und ihre Taten vor, während und nach dem Krieg im Osten. So wird auf den später als Mitbegründer der "Südosteuropa-Gesellschaft" und des
"Südostdeutschen Kulturwerks" fungierenden Wissenschaftlers Fritz
Valjavec ebenso eingegangen wie auf die Beteiligung an der Organisaton der Umsiedlung des späteren Landsmannschaftsvorsitzenden Rudolf Wagner. Das
mit 4 Karten, einer
ausführlichen Bibliographie und einem Personenregister ausgestattete Buch bietet somit im besten Sinne Aufklärung über das historische Geschehen. Zudem eröffnet es vielfältige Perspektiven
auf Anschluss- und Kontextforschungen (rumänische Umsiedlungen, Rückkehrbewegungen, etc.).
Mariana Hausleitner: "Viel Mischmasch mitgenommen". Die Umsiedlungen aus der Bukowina 1940.
deGruyter Oldenbourg Verlag, Berlin/Boston 2018 (= Buchreihe der Kommisssion für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa Band 43), 309 Seiten, 4 Karten, ISBN 978-3-11-058891-0