Welches waren die politischen Ziele dieser Eingriffe in das Eigentumsregime?
Der vergleichende Zugriff auf die drei Vergleichsfälle und deren Einbettung in den ostmitteleuropäischen Kontext öffnet den Blick für Gemeinsamkeiten in den Absichten für eine Bodenumverteilung mit intensiven Eingriffen in das Eigentumsregime. Nach dem Friedensschluss zeichnete sich ein ganz erheblicher Wandel im territorialen Zuschnitt Rumäniens, Jugoslawiens und Polens ab, der in diesem Ausmaß von niemandem vorhergesehen worden war – auch nicht in den politischen Zentren Bukarest, Belgrad und Warschau resp. Krakau. Polen war als Staat nach 123 Jahren wieder erstanden, das kleine Königtum Serbien war ergänzt worden um große Provinzen aus der habsburgischen und osmanischen Erbmasse und
Rumänien hatte sein Territorium und seine Bevölkerung jeweils mehr als verdoppelt. Bei allen individuellen Elementen in der Zielsetzung der drei Staaten war ihnen eines gemein: Die Bodenumverteilung sollte die wirtschaftliche und politische Stellung der vormaligen Oberschichten in den neuen Provinzen schwächen, also die der Deutschen und Ungarn in Siebenbürgen ebenso wie in der Vojvodina, Kroatien und Slowenien sowie der Deutschen in Westpolen. Dort wo die jeweilige Staatsnation bereits in herrschenden Positionen war, also etwa in Galizien, in Serbien und im Altreich, fiel die Bodenumverteilung weit weniger durchgreifend aus als in den Provinzen.
Die bisherige Forschung zu den Agrarreformen der Zwischenkriegszeit ist ganz überwiegend jeweils auf ein Land konzentriert und zudem überwiegend einer patriotischen Sichtweise verpflichtet gewesen. Sie betont die Unvermeidlichkeit mancher Härten für die neuen ethnischen Minderheiten angesichts der unabweislichen Notwendigkeit einer Agrarreform aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen. Nur vereinzelt sind die Dinge jedoch zusammengedacht worden und folgende Fragen daher unbeantwortet geblieben: Sind die sozialen und wirtschaftlichen Erwartungen in die Agrarreform Wirklichkeit geworden? Wie hoch war der politische Preis der Agrarreformen wenn man das interethnische Zusammenleben betrachtet? Ist mit der Rechts- und Institutionenvereinheitlichung im Gefolge der Bodenumverteilung insbesondere in den post-habsburgischen Provinzen manches über Bord gegangen, was für eine Modernisierung im ländlichen Raum bereits gute Dienste geleistet hatte? Und schließlich, hat ein derart interventionistischer Staat nicht Erwartungen geweckt, die er als parlamentarische Demokratie nicht einzulösen in der Lage war?
Die Frage, die hier am wichtigsten scheint, ist die nach den Resultaten: Aus kritischer Sicht schienen die Forderungen nach Landreform als berechtigte Ansätze zur Aufhebung ökonomischer und sozialer Disparitäten und auch Basis von Demokratisierung. Deine minutiösen Analysen verweisen allerdings auf die Fragwürdigkeit vieler Bodenreformansätze. Was hat es also real gebracht?
In der Tat, Reformen müssen sich ja an ihren Ergebnissen messen lassen. Betrachten wir die Agrarreformen zunächst rein wirtschaftlich, so gingen sie überall mit sofortigen und erheblichen Produktivitätseinbußen einher – pro Hektar wurde im Durchschnitt wesentlich weniger geerntet und auf den Markt gebracht als zuvor. Die Kleinbauern hatten ja jeweils nur wenige Hektar Land erhalten, und auf diesen kleinen und oft in mehrere Kleinstparzellen zersplitterten Flächen konnten sie nur wenig mehr produzieren, als sie selbst verbrauchten. Die geringen Mengen, die sie auf den Markt bringen konnten, waren dann nicht-standardisiert und eigneten sich wenig für den Export – für das traditionelle Agrarexportland Rumänien war das ein Problem. Die Politik hätte nach der Agrarreform erhebliche Mittel für eine vielfältige Modernisierung der nun kleinbäuerlichen Landwirtschaft in die Hand nehmen müssen. Festzuhalten gilt es jedoch, dass die bis zur Agrarreform in ärmlichsten Verhältnissen lebenden Bauern aus dem Altreich sich danach immerhin besser ernährten.
Fokussiert man nun auf die regionale Dimension der Agrarreform und analysiert z.B. Siebenbürgen im Vergleich mit dem Altreich, dann fällt es noch schwerer, von einem Erfolg der Bodenumverteilung zu sprechen. Seit mindestens einer Generation hatte die rumänische Nationalbewegung in Siebenbürgen erhebliche Fortschritte in der Mobilisierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit der Gründung von Genossenschaften, Volksbanken und Bildungsvereinen gemacht. Dies hatte es vielen Bauernfamilien ermöglicht, Wissen und Kapital zu erwerben, um das Land ungarischer Großgrundbesitzer aufzukaufen und selbst zu bestellen. Vor dem Hintergrund dieses Großtrends wäre in Siebenbürgen eine staatlich organisierte Bodenumverteilung mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Emanzipation der Rumänen im Grunde nicht notwendig gewesen. Im Kontrast dazu, war die Aufstiegsmobilität von Landlosen und Kleinbauern im Altreich von der Schicht der großen Landbesitzer effektiv blockiert worden – ich erinnere an den großen Bauernaufstand von 1907, dessen politisch aktive Trägerschicht aus Mittelbauern und Aktivisten aus der Genossenschaftsbewegung und den Volksbanken bestand, die sich gegen eine bauernfeindliche Politik in Bukarest richtete.
Diese Dinge in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zu benennen, war im Rumänien der Zwischenkriegszeit, im Nationalkommunismus und in großen Teil der Geschichtsschreibung nach 1989 gelinde gesagt unpopulär. Österreich-Ungarn wurde als Völkerkerker dargestellt, aus dem die rumänische Armee ihre siebenbürgischen Brüder und Schwestern befreit hatte. Es war nach 1918 sehr schwer, auf regionale Spezifika im positiven Sinne hinzuweisen, ohne in den Ruch des Separatismus oder des Vaterlandsverrats zu geraten. In Bezug auf Siebenbürgen und Bukowina habe ich dies als von Bukarest bewusst ausgeschlagene habsburgische Erbschaften bezeichnet.
In der "Governance", also der Umsetzung der Reformen, spielte ebenfalls eine nicht geringe Rolle die unterschiedliche professionelle Situation zwischen Altreich (Regat) und neuen Provinzen: Während es z.B. in Siebenbürgen alte k.u.k.-Kataster und Grundbücher gab, war dies im Regat nicht der Fall. Wie wirkten sich diese Diskrepanzen auf die Umsetzung der Reformen aus?
In der Tat spielte die unterschiedliche Ausstattung der Landesteile mit Institutionen der Rechtspflege bezüglich des Bodeneigentums eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Agrarreform. Es kam im Laufe der Zeit zu einem regelrechten Kampf der Professionen um ihre Institutionen. Unter den Spezialisten und bis hinauf in die Bukarester Ministerialbürokratie hatte zunächst Einigkeit darin bestanden, dass das habsburgische Kataster- und Grundbuchsystem ganz hervorragende Dienste im Sinne der Rechtssicherheit leistete. Dementsprechend sollte es auf das gesamte Land übertragen werden. Interessierte Kreise, insbesondere die starke Lobby der Rechtsanwälte in beiden Kammern des rumänischen Parlaments brachten jedoch mehrere Gesetzesinitiativen zur Einführung eines landesweiten Katasters, eines Grundbuchs und des Öffentlichen Notariats zu Fall. Die siebenbürgischen Professionals – darunter viele rumänischer Ethnie – schafften es nicht, mit ihren Argumenten zu überzeugen. Die Rechtsanwälte aus dem Altreich wollten das äußerst lukrative Geschäft mit Bodeneigentum nicht aus der Hand geben, auch wenn eine entsprechende Reform für die Allgemeinheit zu größerer Rechtssicherheit führen würde. So behielten sie das Monopol zur Aufsetzung von Kaufverträgen ebenso in der Hand, wie dasjenige der Vertretung ihrer Mandanten in Rechtsstreitigkeiten vor Gerichten. Der Kreis schließt sich an dem Punkt, dass Auseinandersetzungen um Bodeneigentum sehr häufig vor Gericht landeten, weil es eben weder Kataster und Grundbuch, noch ein Öffentliches Notariat gab.
Diesen Teufelskreis habe ich so gedeutet, dass er im Grunde politisch gewollt war. Dass er dazu diente, die gerade erst zu Eigentümern und Wählern gewordenen Bauern in einer Position der Abhängigkeit von der Oberschicht zu halten. Letztere versuchte ihre traditionell auf Landbesitz aufbauenden Führungspositionen in Staat und Gesellschaft nun dadurch zu behaupten, dass sie in die Politik, in die Verwaltung und generell in Berufe gingen, die eine juristische Bildung erforderten.
Betrachtet man Politik, Recht und Bodeneigentum in diesem Lichte, bedeutete die Vereinigung des Landes zu Großrumänien für die ex-habsburgischen Gebiete die Einführung der Verhältnisse aus dem Regat im gesamten Land. Also eine Nivellierung nach unten auf das Niveau einer beabsichtigten Rechtsunsicherheit insbesondere der Bauern zum Zweck der Aufrechterhaltung eines politischen Systems, das auf Patronage und Klientelbeziehungen aufbaute.
Eine der größten Überraschungen, wenn nicht gar einen kleinen Schock in deiner Forschung stellen die Beobachtungen rund um die Enteignungen und Kollektivierungen durch die sozialistischen Regimes in der Nachkriegsphase dar: Diese meist als doktrinär-kommunistische Entgleisungen gewerteten Maßnahmen erweisen sich ein Stück weit als kontinuierliche Handhabung und Adaptionen vorangegeganger Eingriffe in das Eigentumsregime. Wie stellte sich dies in Rumänien mit seinen besonderen Voraussetzungen dar?
Auf die Kollektivierung der Landwirtschaft gehe ich in meinem Buch nicht sehr tief ein, nur als Ausblick. Ich nehme allerdings die Agrarreformen unmittelbar nach dem Krieg in den Blick, die von 1945 bis 1948 in Rumänien, so wie sie in vielen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas in der Zeit der sogenannten Volksdemokratie durchgeführt wurden. In diesen Jahren bestand nominell noch ein Mehrparteiensystem und die Regierungen setzten sich aus mehreren bürgerlichen, sozialistischen und bäuerlichen Parteien zusammen, freilich bereits mit der kommunistischen Partei als Dominante. Die Agrarreformen dieser Zeit werden meist nur als Vorformen der Kollektivierung gesehen, oder gar gänzlich übersehen. Meine Forschung ergibt in vergleichender Perspektive, dass die Agrarreformen der Volksdemokratien einen eigenen Charakter haben, und sehr viel mehr mit der Zwischen- und Kriegszeit zu tun haben als mit dem Staatssozialismus und der Kollektivierung. In Rumänien, Polen und Jugoslawien war nach den vorangegangenen Bodenverteilungen kaum noch Großgrundbesitz übrig. Folglich war jeweils ein sehr hoher Anteil des nach 1945 umverteilten Boden davor im Eigentum von ethnischen Deutschen und zum geringeren Teil von Ungarn gewesen, die als Gruppe jeweils beinahe zur Gänze ihr Bodeneigentum verlor. Das hatte natürlich mit dem zurückliegenden Zweiten Weltkrieg zu tun, in dem nicht wenige Deutsche aus den drei Ländern in Wehrmacht, SS, lokalen Verbänden und der Verwaltung oder in der Partisanenbekämpfung bereitwillig an der Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung von Polen und Jugoslawen beteiligt waren. In Rumänien war dies jedoch nicht der Fall, denn das Land befand sich ja insgesamt im Lager der Achsenmächte. In allen drei Ländern gleichermaßen öffnete sich nun ein „moralisches Ermöglichungsfenster“, um die unliebsamen Minderheiten ein für alle Mal loszuwerden. Polen, Jugoslawien aber auch Ungarn und die Tschechoslowakei nutzten dies zur Enteignung und Vertreibung der Deutschen, während in Rumänien nur ersteres geschah. In den Akten ist zu lesen, dass durchaus auch ihre dauerhafte Vertreibung ventiliert wurde, letztendlich wurden die Deutschen und viele Ungarn hier aber nur enteignet, da eine Vertreibung der Ungarn als Destabilisierung Ungarns von der Sowjetunion verboten wurde. Es ist sehr interessant zu beobachten, dass die kommunistisch dominierten Regierungen der Volksdemokratien insbesondere in Polen und Jugoslawien viele Wissenschaftler und Politiker teilweise in hohe Ämter rekrutierten, die in der Zwischenkriegszeit mit radikalen Plänen ethnischer Vertreibungen hervorgetreten waren. Diese intensive nationalistische Mobilisierung in Warschau und Belgrad ging einher mit der Vorstellung, in Provinzen wie Westpolen und Vojvodina Böden als Belohnung für Leistungen im Krieg und für Vertriebene aus Ostpolen auszuhändigen. Als wenige Jahre später diese Provinzen jedoch gleichzeitig zu Laboratorien der sozialistischen Moderne im Form großer Kollektiv- und Staatsbetriebe ausgebaut werden sollten, rächte sich die nationalistische Mobilisierung: Die gerade erst zu Eigentümer gewordenen Ansiedler dachten gar nicht daran, ihre Böden nun freiwillig wieder herzugeben. Die Kollektivierung der Landwirtschaft in Polen und Jugoslawien scheiterte ironischerweise gerade in den Provinzen, in denen die kommunistischen Machthaber die günstigsten naturräumlichen und politischen Bedingungen dafür ausgemacht hatten.
Dein mit zahlreichen neuen Forschungsperspektiven und -ergebnissen gespicktes Buch setzt die Bodenreform in bisher ungewohnte oder wenig beachtete historische Zusammenhänge – welche der Linien hältst du für bedeutsam in der Zukunft?
Mit dem Titel des Buches – Bodeneigentum und Nation – habe ich meine wichtigste Forschungsperspektive benannt. Die Verteilung der landwirtschaftlichen Flächen sowie die Regelung der Verfügungsrechte darüber war für die neuen Staaten in Ostmittel- und Südosteuropa nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg von größter Bedeutung. In ethnischer Hinsicht ging es den Eliten darum, die politische Vereinigung der disparaten Regionen zu einem Nationalstaate nun auch wirtschaftlich umzusetzen. Die Agrarreformen waren daher als eine Politik konzipiert worden, die Bodeneigentum – Parzelle für Parzelle gewissermaßen – in nationale Hände überführen sollte. Bodeneigentumspolitik war immer auch Bevölkerungspolitik.
Mit der sicher sehr technisch anmutenden Perspektive auf die Verwaltung und Sicherung von Bodeneigentum mittels Kataster, Grundbuch und Notariat habe ich eine Dimension in den Blick genommen, die zeitlos ist. Nämlich die Leistungsfähigkeit eines Staates in der Herstellung von Rechtssicherheit und Erwartungssicherheit seiner Bürger und Bürgerinnen. Hier fand ich das Ausmaß an Misstrauen der Eliten in die Kompetenz und Leistungsbereitschaft der Bauern doch überraschend hoch. Ihnen wurde nicht zugetraut, mit den neuen Agrarflächen wirtschaftlich und nationalpolitisch verantwortlich umzugehen, so dass bereits unter liberal-demokratischen Bedingungen der Zwischenkriegszeit staatliche Planungs- und Regulierungsphantasien florierten. Gleichzeitig aber waren staatliche Behörden nicht in der Lage oder nicht willens, funktionierende Systeme und ausgebildetes Personal der Bodenevidenz zur Verfügung zu stellen. Eher wurde das gesellschaftliche Gemeinwohl den Partikularinteressen gut vernetzter Gruppen, wie der Rechtsanwälte geopfert. Diese Konstellation – Blindheit und Inkompetenz staatlicher Behörden, Elitenkompromisse zulasten der Bevölkerung und Misstrauen der Bürger gegenüber dem Staat – hat in Rumänien den Staatssozialismus überdauert und scheint mir auch heute vorherrschend zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Dietmar Müller: Bodeneigentum und Nation. Rumänien, Jugoslawien und Polen im europäischen Vergleich 1918-1948. Wallstein Verlag, Göttingen 2020 (Moderne europäische Geschichte, Bd. 17), 479 Seiten, ISBN 978-3-8353-3644-5