ENESCU-FESTIVAL BUKAREST 2017
Überdimensionale Plakatbahnen künden an der Außenfassade von Interpreten der leichten Muse und Popmusik, aber das jetzige Publikum will etwas anderes: Mare orchestri din lume. Und es bekommt sie auch: In den 24 Tagen sind u.a. zu erleben das Pittsburgh Symphony Orchestra mit Manfred Honeck, London Philharmonic Orchestra mit Vladimir Jurowski, die Münchner Philharmoniker mit Valeri Gergiev, Royal Philharmonic Orchestra London mit Charles Dutoit, die Filarmonica della Scala mit Riccardo Chailly, Orchestre National de France mit Christoph Eschenbach, Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam mit Daniele Gatti, Israel Philharmonic Orchestra mit Zubin Mehta. Und dazu die Solisten: Martha Argerich, Anne Sophie Mutter, Jonas Kaufmann, Jordi Savall, Patricia Kopatchinskaja, Kathia Buniatishvili, David Garrett, Pinchas Zukerman, Daniil Trifonov, Magdalena Kožena, Andrei Ioniţă und noch einige andere. Sie treffen auf rumänische KollegInnen und ein vorwiegend rumänisches, aber dennoch auch internationales Publikum. Das sich im Laufe der letzten Jahren erneuernde Zentrum Bukarests an der Calea Victoria und Piaţa Revoluţiei gibt die ideale Kulisse für dieses Zusammentreffen mit seiner historistischen Architektur aus dem 19. Jahrhundert, die nicht wenig an Paris oder Wien erinnert. Zentral dabei natürlich der Rundbau des Athenäum (1886-88 von Arthur Galleron entworfen), der die Nachmittags- und Midnightkonzerte der kleineren Besetzungen aufnimmt. Auch hierunter Juwelen der gegenwärtigen Klassikinterpretation in dem intim wirkenden prächtigen Rahmen des mit Szenen aus der Geschichte Rumäniens bemalten Saals. Wie etwa Pinchas Zukerman. Oder Ray Chen mit Julien Quentin.
Pinchas Zukerman, der Violinist verbündet sich mit der Camerata Salzburg, die er mit wenigen Bewegungen leitet, um dann die Solopartien zu spielen. Das Publikum ist ihm von Anfang an wohlwollend gesonnen, der erste Teil des Konzerts macht neugierig. Im zweiten Teil tritt dann eine solche durch die schwebende Musik Mozarts und das harmonische Zusammenspiel des Virtuosen gelöste Stimmung ein, die die ZuhörerInnen förmlich abheben lässt in einem nur durch die Musik gebildeten Raum. Ein seltener Moment der Intensität und Erfüllung...
Ähnliches ist durchaus auch in dem Riesenbau des Sala Mare al Palatului möglich, dessen Akustik sich verbessert darstellt, wohl durch Veränderung der elektronischen Übertragungsmittel. Es ist das Klavierspiel Martha Argerichs, das das über 1000 Menschen zählende Publikum an einzelnen Stellen zu kompletter Stille veranlasst - einem völligen Nur-Dasein der Musik. Wenn die Argerich völlig ansatzlos die Tasten berührt, ist einfach die Musik Ravels da – fast wundert man sich woher und wieso in dieser Perfektion. Die MusikerInnen des Royal Symphonic Orchestra London unter Leitung von Charles Dutoit – dem Ex-Ehemann der Argerich – genießen offensichtlich das Zusammenspiel mit der charismatischen Pianistin, der brausende Applaus kommt auch aus ihren Reihen.
Das Bukarester Festival-Publikum ist freundlich und offensichtlich sehr begeisterungsfähig. Dies zu beweisen, scheint Martin Honeck mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra angetreten zu sein. Nach einem mit der Solistin Anne Sophie Mutter überzeugend gebotenen Interpretation von Dvoraks Konzert für Violine Nr. 1 gelingt dem Orchester eine bejubelte Exploration von Mahlers Erster Symphonie. Honeck lässt darin die Vogelstimmen denaturieren, macht sie zu klanglichem Material, das den dramatischen Weg dieser Symphonie ebenso begleitet wie sie gedankliche Erinnerungszeichen an die Natur werden. Es ist Honecks enormer dirigistischer Einsatz, der die Musik nicht anleitet, sondern ausdrückt, so dass die triumphale Geste des Schlusses sowohl bei dem Dirigenten als auch in der Musik zusammenfällt. Das überwältigte Publikum bejubelt diesen Auftritt mit Standing Ovations.
Ganz anders dann Valentin Gergiev mit den Münchner Philharmonikern. Es ist ein unglaublich voller, harmonischer, kaum von der hochgezüchteten Perfektion einer Digitalaufnahme zu unterscheidender Klang in dieser Aufführung von Saint-Saens und Rimsky-Korsakov. Mit sparsamen Bewegungen lenkt Gergiev das Orchester in einer atemberaubenden Präzision. Für das Bukarester Publikum besonders emotional der Auftritt des jungen Cellisten Andrei Ioniţă, der 2015 den Internationalen Tschaikowsky Cello Wettbewerb gewann und Saint Saens' Cellokonzert Nr. 1 (op. 33) in hoher Kunst darbietet. Natürlich wird er wiederholt zu Zugaben aufgefordert. Das Orchester spielt am Abend darauf zusammen mit dem Pianisten Daniil Trifonov Rachmaninov – eine Aufführung, die das Romantische bei dem russischen Komponisten einfühlsam herausarbeitet. Triifonov beweist durch sein intensives und zugleich leicht wirkendes Spiel einmal mehr, weshalb er als einer der besten Pianisten der Gegenwart gilt.
Die wenigen Tage des Hochgenusses klassischer Musik in Live-Aufführungen auf diesem konstant enorm hohen musikalischen Level entwickeln Suchtfaktor. Nicht nur nach den Aufführungen selbst, sondern nach dem viel zu kurzen Rausch aus Musik, Architektur, dem Alltag Enthobensein...
Enescu-Festival Bukarest 2017
Sala Mare a Palatului
Foto: www.kultro.de