INTERVIEW BOTSCHAFTER CIOCOI
Nach der Unabhängigkeitserklärung Moldaus – natürlich hatten wir uns sehr gefreut, daß endlich unser Land von diesem riesigen Imperium UdSSR befreit ist, aber das kam zusammen mit einer riesigen Krise. Nicht nur für Moldau, sondern allgemein für das ehemalige UdSSR-Gebiet, weil in der UdSSR-Zeit die ganze Volkswirtschaft so eng vernetzt mit den anderen war, dass dieser plötzliche Zerfall der UdSSR zusammen kam mit einem Zerfall der wirtschaftlichen Beziehungen miteinander. Sie können sich vorstellen, wie schwierig für die damalige Regierung im unabhängigen Land nach der frisch erklärten Unabhängigkeit, wie schwierig es war, diese Beziehungen wieder aufzubauen. Oder eine Alternative zu suchen mit anderen Ländern – und zwar schnell, damit die Bevölkerung nicht die Senkung der Lebensqualität spürt. Das war eine Mammutaufgabe, die wenige Länder, quasi kein Land von der früheren UdSSR geschafft hat, im positiven Sinne zu lösen. Wenn wir auf die Bilder von Moldau damals 1991 schauen, diese bittere Armut, die plötzlich kam mit unserer Unabhängigkeitserklärung. Die Professoren verkauften auf der Straße persönliche Sachen, ein wilder Markt sozusagen. Und dann diese Explosion von Kriminalität, Raub, Mafia und so weiter. Das waren echt schwierige, dunkle Zeiten in unserer Geschichte und wir brauchten, ich erinnere mich, 10 Jahre lang, diese Probleme zu lösen. Und leider bis heute noch, wenn wir vergleichen das heutige Lebensniveau, das heutige Bruttoinlandsprodukt Moldaus, mit den letzten Jahren der UdSSR-Zeiten, so haben wir als unabhängiges Land Moldau noch nicht dasselbe Bruttoinlandsprodukt erreicht, das Moldau in den letzten UdSSR-Jahren als Mitglied der UdSSR hatte.
Bis heute nicht?
Bis heute nicht. Unsere Aufgabe, egal für welche Regierung der Republik Moldau, egal welche politische Partei in der Regierung die Verantwortung für das Land übernimmt, erste Aufgabe ist, die wirtschaftliche Entwicklung Moldaus so zu sichern, dass dieser Wirtschaftsmotor endlich mit voller Kraft startet, damit der einfache Bürger endlich spürt: Das Leben ist einfacher geworden. Und ich vermute, das ist nicht nur die Aufgabe der moldauischen Regierung, sondern das ist eine klassische Aufgabe jeder Regierung auf der Welt. Hauptsache, jeder einfache Mensch, egal in welcher Position sie oder er ist, soll mit jedem Tag oder mit jedem Jahr spüren, dass das Leben ein bisschen heller geworden ist.
Ich vermute mal, dass die Bundesrepublik, das wiedervereinigte Deutschland hat für die Moldau anfangs in diesen Jahren erst allmählich eine Rolle gespielt? In den frühen Jahren war es noch nicht so präsent, Moldau war bis vor wenigen Jahren oder auch Monaten für viele nicht präsent.
Na ja, unsere Beziehung mit Deutschland ist historisch tiefgehend. Die offizielle deutsche Bezeichnung von meinem Land lautet auf deutsch die Republik Moldau. Das klingt nur auf deutsch so. Weil in meiner Muttersprache, in rumänischer Sprache, heißt mein Land Moldova, in englischer Sprache offiziell registriert in den Vereinten Nationen heißt es Republic of Moldova, auf französisch sind wir la République de Moldavie. Und warum Moldavie? Weil die Franzosen unser Land seit dem 16., 17. Jahrhundert als Moldavie kennen. Im Fall Deutschland ist interessant – meine Kollegen hatten damals erzählt, das deutsche Auswärtige Amt, damals noch in Bonn als Bundeshauptstadt, hat in die eigenen Archive geschaut und festgestellt, „okay euer Land ist schon seit dem Mittelalter bekannt als Moldau.“ (Obwohl Moldau der berühmte Fluss in der Tschechischen Republik ist.) Deswegen nennen wir euch offiziell Republik Moldau. Viele Leute fragen mich, warum mein Land Moldau heißt und was mein Land zu tun hat mit dem berühmten Werk von Smetana.
[Lachen]
Der berühmte Komponist. Aber das war die Entscheidung von unseren deutschen Kollegen. Warum habe ich das gesagt? In der Geschichte seit dem Mittelalter haben wir enge Beziehungen mit Deutschland. Frisch ist die Erinnerung in unserer Gesellschaft an diese Geschichte von den deutschen Kolonisten in Bessarabien. Bessarabien ist ein Großteil von unserem Land, das am Anfang des 19. Jahrhundert durch das damalige Zarenreich vom moldauischen Fürstentum abgetrennt wurde, das viel größer war als die heutige Republik Moldau. 1812 wurden wir annektiert durch das Zarenreich. Und wenn wir auf die Karte vom heutigen Rumänien schauen, dann merken Sie, es gibt auch eine Provinz in Rumänien, Ostrumänien, namens Moldau, Moldova. Das ist der zweite Teil von unserem damaligen mittelalterlichen Fürstentum Moldau. 1812 wurden wir annektiert vom Zarenreich und 1825 lud der damalige russische Zar Alexander I. die deutschen Kolonisten nach Bessarabien ein, so hieß damals die Provinz im russischen Zarenreich, weil dort war so viel freies Land, insbesondere im Südteil der heutigen Republik Moldau. Bessarabien ging bis zum Schwarzen Meer.
Es besaß eine Küste.
Genau. Damals hatten wir viele, viele deutsche Familien aus Sachsen, Baden-Württemberg in Moldau herzlich willkommen geheißen. Und bis heute sind in Moldau viele Dörfer, die ihren alten deutschen Namen behalten haben: Alexanderfeld, Leipzig z.B. Wir hatten ziemlich eng und friedlich miteinander gelebt. Die Deutschen hatten eigene Vertreter in unserem Parlament nach der ersten Unabhängigkeitserklärung nach der Oktoberrevolution in St. Petersburg 1917.
Auch in meiner Muttersprache wird deutlich, wie eng das Zusammenleben zwischen Deutschen und Moldauern war. In meiner Muttersprache machen bis heute die Frauen „Strudel“.
Tatsächlich?
Ja, so sagen wir in meiner Muttersprache. Und auch wenn in der Sommerzeit es heiß drinnen ist, dann machen wir das „Oberlicht“ auf. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ihre eigene Großmutter, das bedeutet, meine Urgroßmutter zu meinem Großvater, Schwiegersohn sozusagen, gesagt hatte, wenn meine Großeltern eine Kuh kaufen wollten, oder ein Pferd: „Pass mal auf, du gehst auf den Markt, dann kauf doch bei einem Deutschen, das ist besser.“
[Lachen]
Ja, einige Deutsche, auch in Chișinău, wo Karl Schmid war Bürgermeister
Karl Schmid war langjähriger Bürgermeister …
Er hat wohl sehr viel für die Stadt getan.
Er hatte Chișinău damals in eine moderne europäische Stadt entwickelt. Übrigens: Er hat sein Mandat niedergelegt nach 15 Jahren als Oberbürgermeister von Chișinău aus Protest gegen das Judenpogrom 1903. Er duldete sowas nicht. Er hat damals gesagt, ich kann nicht Oberbürgermeister einer Stadt sein, nachdem, was passiert ist.
Daher finde ich schade, dass als Folge des Hitler-Stalin-Pakts es ein Zusatzprotokoll gab, mit welchem Hitler die eigenen Landsleute ins Reich zurückrufen sollte aus den Gebieten, die zwischen Stalin und Nazi-Deutschland vereinbart waren. Und Bessarabien gehörte zu dem Teil, der an die UdSSR zurückgegeben werden sollte. Der Hitler-Stalin-Pakt wurde im August 1939 unterzeichnet und Anfang 1940 wurde die deutsche Minderheit aus Bessarabien zwangsdeportiert ins Reich.
Wir nennen es eher „Umsiedlung“. Die Propaganda der Nazis hat daraus gemacht: „Die wollen alle“ …
Sie wollten es nicht, das war zwangsweise. Und das war eine echte Tragödie für die Deutschen, die mit uns gelebt hatten damals in Bessarabien, weil viele wurden nach Deutschland umgesiedelt, das war ein langer Weg mit Schiffen über die Donau wieder zurück ins Deutsche Reich.
Und auch nach Polen, das eben erobert wurde.
Genau. Z.B. einer von den Bundespräsidenten stammte von einer solchen Familie von Bessarabiendeutschen, nämlich Herr Köhler, Horst Köhler. Leider hatten wir mehr als 100 000 deutsche Mitbürger und Mitbürgerinnen damals verloren. Und frage ich mich manchmal, was wäre heute mit der Moldau, hätten wir diesen großen Teil von Mitbürgern gehalten. Wahrscheinlich würde Moldau heute etwas anders aussehen. Deutsche waren schon durch die Annexion meines Landes durch die Sowjetunion 1940 nach Sibirien deportiert worden.
Dann kennen Sie die weitere Geschichte, dann war der 2. Weltkrieg und seit der sogenannten Befreiung – ich sage wieder offen, das war eine Eroberung 1944 – waren wir bis August ‘91 in der UdSSR geblieben. Im Vergleich mit anderen Ländern der UdSSR – Ukraine, Weissrussland, Kasachstan – waren wir glücklicherweise weniger Jahre Mitglied der UdSSR als die anderen, die schon seit 1924 drin waren.
Natürlich, diese Zeit, die wir in der UdSSR gelebt hatten, hat große Spuren in der Mentalität der Menschen hinterlassen, aber das hatte den Wunsch in meiner Bevölkerung, dass die Befreiung eines Tags kommt, nicht weggewischt. Das war immer die Hoffnung, weil in politischen Gefängnissen in der damaligen UdSSR hatten die Moldauer nicht mit Gewalt gekämpft, aber plädierten für die Unabhängigkeit Moldaus. Und viele davon hatten plädiert für die Wiedervereinigung mit Rumänien.
Das ist die Geschichte, aber jetzt kommen wir zu den Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland nach der Unabhängigkeitserklärung. Hier möchte ich gerne loben den Mut der deutschen Bundesregierungen, die im Laufe der Zeit unserem Land geholfen haben, die eigene Wirtschaft zu stärken und unsere Beziehungen zu vertiefen. Da darf ich sagen, Deutschland ist ständig in den Top 4 der größten Investoren in unserer Volkswirtschaft. Manchmal Platz 3, manchmal Platz 4, das pendelt, aber ständig in den ersten 4 Ländern, die die größten Investitionen in unsere Wirtschaft gemacht haben und das ist natürlich für uns sehr, sehr hilfreich, damit Moldau wirtschaftlich blüht. Das ist der Grundkern für die Entwicklung jedes Landes.
Welches sind die bevorzugten Bereiche dieser Investitionen in der Moldau?
Das sind Autozulieferer, das beste Beispiel ist Dräxlmaier, ein Familienunternehmen, das eigene Werke in Moldau eröffnet hat und Autokomponenten aus Moldau an verschiedene Autohersteller in Deutschland liefert. Südzucker produziert Zucker in Moldau, wenn Sie in Lebensmittelgeschäfte gehen, schauen Sie, wenn sie von Südzucker produziert sind, stammen sie aus Moldau. Und Leoni, Knauf, es sind viele viele deutsche Unternehmen, die in Moldau tätig sind.
Für deutsche Unternehmen scheint Moldau attraktiv zu sein, weil es niedrige Löhne im Vergleich zu europäischen Ländern hat, und wir bieten auch eine ganze Menge Nachlass für fremde Investoren in Moldau. Wir haben ein System entwickelt, freie Wirtschaftszonen in Moldau, wo ein Fremdinvestor seine eigene Produktion ansiedeln, dort produzieren darf und – Achtung! - nicht um in Moldau diese Produktion zu verkaufen, sondern wieder zurück in den EU-Raum zu bringen. Dafür er zahlt null Steuern. D.h. eine steuerfreie Produktion in der Republik Moldau. Einzige Steuer ist die Lohnsteuer in der Republik Moldau.
Neben den Deutschen gab es auch andere Bevölkerungsanteile, es gab Bulgaren, Schweizer, die Wein anbauten…
Wir haben eine große Palette an Minderheiten in Moldau, überraschenderweise sind die größte Minderheit nicht die Russen, sondern die Ukrainer. Und dann hatten wir früher eine große Zahl von Juden, bis zu diesem Pogrom 1903, die haben sehr gut miteinander gelebt. Wir hatten Städte, wo mehr als 90% der Einwohner dieser Städte Juden waren. Und das bemerkt man noch heute, wenn Sie nach Israel gehen und reden mit Leuten und fragen: Wie heißen Sie? Plötzlich hören wir die Namen von moldauischen Städten. Z.B. wir haben eine kleine Stadt in Moldau, Călărași und in Israel gibt es Familien mit dem Namen Calaraschki. Und das ist ein Hinweis, dass sie von dort stammen. Oder wir haben die zweitgrößte Stadt im Norden, Bălți, und auch in Israel finden wir Familien mit Nachnamen Belzki. Liberman, der frühere israelische Außenminister stammt aus Moldau, er war in Moldau geboren. Viele Israelis pflegen bis heute noch Beziehungen in die Moldau.
Man könnte auch noch fragen nach der Beziehung nach Rumänien, die ja eine spezielle ist, aber, das hat mich frappiert, 1991 folgende, trotz „podul de flori“, und ähnlichen Dingen, musste man sagen, wir sind ein eigener Staat, wir können uns jetzt nicht Gedanken darüber machen, dass wir uns mit Rumänien vereinigen.
Rumänien hat uns unglaublich viel geholfen jetzt in der schwierigen Zeit. Auch nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Natürlich sind wir Rumänien sehr dankbar, ohne rumänische Bereitschaft, da zu sein für uns, wäre es sehr viel schwieriger. Klar, in Moldau gibt es die Meinung, es wäre für Moldau viel besser, sich wieder zu vereinigen und mit einem Schlag alle Probleme zu lösen. Meiner Meinung nach klingt das ein bisschen parasitär. Statt alles zu unternehmen, damit das Land sich entwickelt, ist es viel leichter, durch jemand anderen zu beginnen. Wenn wir unseren Hinterhof besorgen, dann laden wir keinen Nachbarn ein, unsere Arbeit im Hinterhof zu leisten. Solange wir das selber machen. Und das ist wahrscheinlich auch im Interesse von Rumänien, solch ein Partnerland zu haben, diesselbe Kultur, ein Volk, zwei Länder. So ähnlich. Ein zweites Partnerland, das bedeutet eine Zusatzstimme entweder in den Vereinten Nationen, internationalen Beziehungen und mit dem Blick hoffentlich auf eine baldige Perspektive mit dem Beitritt in die Europäische Union. Wenn wir es schaffen, die Kopenhagen-Kriterien zu erfüllen, die Beitrittskriterien, dann hat Rumänien ein Partnerland dabei.
Eine Stimme mehr.
Genau.
Wobei eben auch Vereinigungen nicht so einfach sind.
Heutzutage sehr schwierig. Wenn wir auf die völkerrechtliche Frage schauen, sie wäre möglich gewesen direkt nach dem Zusammenbruch der UdSSR, als die internationale Gemeinschaft noch nicht unsere internationalen Grenzen anerkannt hatte. Sobald die internationalen Grenzen festgelegt sind – Schluss.
Zumal die erklärte Absicht war, es so zu machen.
Und es wäre notwendig ein riesiges Referendum in Moldau sowohl als auch in Rumänien. Und keiner weiß, welches Ergebnis kommt am Ende heraus. Das wäre eine Schande, ein Referendum zu organisieren mit negativem Ergebnis.
Ein nicht geringer Teil der Bürger Moldaus arbeitet im Westen, aber wahrscheinlich immer noch viele auch in der Ukraine und in Russland. Es gibt ja immer noch – Sie haben es erwähnt – die Prägung des Landes, auch mental, in einer Aufteilung, die vielleicht gar nicht so wahrgenommen wird im Land selbst.
Wissen Sie, wir bemerken diese Teilung und sie war früher ziemlich groß, das kann ich sagen. Ich bin aufgewachsen in der Sowjetunion, war noch junger Student, als die Sowjetunion zerfiel, deswegen fühle ich mich persönlich nicht so stark beeinflusst von der damaligen sowjetischen Propagandamaschinerie. Die älteren Generationen, meine Eltern oder die Generation, die heute knapp 60 Jahre alt ist und mehr, die sind natürlich ein bisschen stärker beeinflusst von den Sowjetzeiten. Das ist ein langfristiger Prozess der Prägung durch die sowjetische Mentalität in meinem Land. In erster Linie ist das ein rein physiologischer Prozess, es kommt die neue Generation danach. Zweitens: Natürlich viele Moldauer haben – wie kann man das ausdrücken? – Nostalgie für die damalige Sowjetzeit. Und mit der Zeit, und das ist auch menschlich, das ist verständlich, mit der Zeit sind die schlimmen Dinge in den Schatten gerückt, und was in der Erinnerung bleibt, sind tolle Dinge. Sie waren damals jung und natürlich mit dem Alter bleiben in Erinnerung nur die schönen Dinge, die wir alle in jungen Zeiten erlebt haben. Und aus diesem Grund, das ist verständlich, haben diese Leute diese positive Nostalgie gegenüber der damaligen Zeit, die leider nichts zu tun hat mit der damaligen Realität.
Ab und zu auch hier in Deutschland überrascht mich, wenn ich Bürger der ehemaligen Ostgebiete Deutschlands treffe, auch diese Nostalgie gegenüber der ehemaligen DDR: Alle oder die meisten reden von diesem Gemeinschaftsgefühl. Da waren sie sie sehr freundlich miteinander, es gab Hilfsbereitschaft, aber wie gesagt, das ist eine Konsequenz von diesem psychologischen. Effekt, weil das Gehirn versucht, die Türen mit den schlimmen Dingen zu schließen. Jetzt haben wir, wenn wir auf die Umfragen schauen in Moldau, eine klare Mehrheit meiner Gesellschaft mit europäischen Werten und sie sieht die Zukunft der Republik Moldau in der Europäischen Union. Es bleibt nur ein kleiner, sehr geringer Teil meiner Bevölkerung, die noch in dieser russischen Propagandamaschinerie stark verankert ist.
Die Ergebnisse von Umfragen zeigen auch ein interessantes Phänomen. Wenn ein Land besser läuft, gesellschaftlich, wirtschaftlich, dann wächst der Teil der Bevölkerung, der mehr proeuropäisch stimmt, dramatisch nach oben, rasant. Wenn es schlechter geht, dann beobachten wir das Wachsen vom Gegenteil. Das kann ich nicht antieuropäisch nennen, auf keinen Fall ist es antieuropäisch, aber die Enttäuschung wirkt sozusagen.
Und wenn wir beobachten im Laufe der Jahre, z.B. in den letzten 10, 15 Jahren kann ich sagen, zwischen 2001 und 2009 wurde Moldau von einer kommunistischen Regierung mit einem ehemaligen Kommunisten der Sowjetunion als Präsident regiert. Er hieß Vladimir Voronin, wenn Ihnen dieser Name etwas sagt. Und damals hatten die Umfragen gezeigt, dass 75% der moldauischen Bevölkerung proeuropäisch tickte. Dann kommt die sog. Twitter-Revolution in unserem Land, im April 2009, als die Bevölkerung satt war von dieser langjährigen kommunistischen Regierung. Überraschend ja, dass es nirgendwo in Europa ein kommunistisches Land gab, bloß in Moldau hatten wir diese Regierung, die wir mit Gewalt beseitigten, um neue parlamentarische Wahlen aufzurufen. Und seit 2009 bis heute werden wir regiert von proeuropäischen politischen Kräften.
Und unter proeuropäischen Regierungen sinkt die Zahl des proeuropäisch tickenden Teils der Bevölkerung . Weil die Bedingungen sind schlechter geworden in der Gesellschaft. Natürlich wächst ein bisschen die Unzufriedenheit von dieser Verbindung, von dieser Annäherung an die Europäische Union, wenn gleichzeitig die einfachen Leute die Annäherung nicht fühlen – in der eigenen Tasche oder der Gesellschaft allgemein. Und das ist ein interessantes Phänomen, das sollte meiner Meinung nach ein Teil von soziologischen Studien sein…
Das hätte man sich gewünscht, dass im Ostblock direkt nach der Wende soziologische Studien gemacht werden, wie sich die Gesellschaften änderten. Dass gerade auch in der DDR ja eine andere Gesellschaft war und wenn man so tut, die sind eigentlich wie wir, hat man doch schon eine falsche Richtung.
Ich würde aber gerne nochmal nachfragen, es gibt ja die Tatsache, dass Leute eben Interessen haben, meistens ökonomischer oder beruflicher Art, sagen wir in der Ukraine oder in Russland oder in Georgien. D.h., dass sie von dort her nicht unbedingt antieuropäisch sind, sondern einfach Ihre beruflichen oder ökonomischen Interessen haben ihre Orientierung ergeben. Vor Jahren war ja die Aufteilung: Fast die Hälfte war in Europa im Westen, die andere Hälfte war in östlichen Ländern, was sie nicht jetzt pro-Putin oder was auch immer gemacht hat, sondern es ist eine Realität im Land und die Frage ist, wie geht man damit um?
Es gab eine Zeit, als in der Tat die größte Diaspora, die Moldau im Ausland hatte, in der Russischen Föderation war. Ich erinnere mich, die Zahlen, die von russischen Behörden geliefert wurden, 2014, 2015 in Russland waren fast 600 000 Moldauer. Das ist eine riesige Zahl. Natürlich hatten wir auch eine riesige Zahl von Landsleuten in europäischen Ländern, aber nicht so groß wie damals in Russland. Z.B. in Italien, die größte Diaspora im europäischen Raum haben wir in Italien. Warum Italien? Weil es geringe Sprachbarrieren gibt. Für meine Landsleute mit der Muttersprache Rumänisch ist es viel einfacher, Italienisch zu lernen als z.B. die deutsche Sprache. Oder Französisch oder Spanisch. Und deswegen siedelten viele Moldauer in diese Länder um oder versuchten bessere Arbeitsplätze dort zu finden als in Deutschland. Und natürlich aufgrund, dass viele meiner Landsleute noch von UdSSR-Zeiten Russisch sprechen, war Russland natürlich auch ein Zielland für Migranten. Jetzt sieht das Bild ein bisschen anders aus. Weil nach der Finanzkrise in Russland, 2018, 2019, emigrierten viele Moldauer aus Russland nach Europa. Und auch für mich heute ist überraschend festzustellen, dass in Deutschland viel mehr Moldauer tätig sind als während meinem ersten Mandat hier als Botschafter, 2010-2015. Das war eine Ausnahme, einen Moldauer hier in Deutschland zu sehen. Als Migrant, als Arbeitsmigrant. Heutzutage sind schätzungsweise etwas mehr als 100 000 Moldauer in der Bundesrepublik Deutschland. Und in der Tat: Manche davon kommen nach Deutschland aus der Russischen Föderation. Die haben die Seite gewechselt.
Ob die Moldauer, die bis heute in Russland arbeiten, ob die alle pro-Putin sind oder nicht, weiß ich nicht genau. Ich kann nur bestätigen, dass das russische Fernsehen doch einen Einfluss hat. Und die Propagandamaschinerie läuft und läuft. Als ausgebildeter Journalist – meine erste Ausbildung war als Journalist an der Moldauischen Staatlichen Universität und dann als nächstes Studium Internationale Beziehungen – kann ich bestätigen, dass die Russen es hochprofessionell machen und es ist unglaublich schwierig, den russischen Narrativen, die man jeden Tag im Rundfunk oder Fernsehen hört, zu widerstehen. Und in diesem Sinne – und das ist ein anderes Thema: Propagandabekämpfung – habe ich einen Artikel von einem amerikanischen Journalisten gelesen, der 2019-20 in Russland war, und geschrieben hat, dass er selbst nach zweiwöchigem Aufenthalt in Russland in einem Moment bemerkte, dass er glaubt, was das russische Fernsehen sagt. Und er hatte als Journalist festgestellt – ups! das funktioniert doch. Was können wir dann sagen über Leute, die jahrelang dort leben in einer solchen Situation und täglich morgens und abends die russischen Fernsehkanäle verfolgen.
Wie will man mit diesem Teil der Bevölkerung umgehen? Bei der Wahl der Präsidentin Sandu hat sie in Gagausien nur 2% der Stimmen erhalten. Ihr Gegenkandidat über 90%. Dort spricht man Russisch, es ist Teil der Republik Moldau…
Es ist Teil der Republik Moldau. Mit dem gagausischen Autonomiegebiet haben wir ein anderes Problem. In Europa wird leider wenig darüber debattiert. Gagausen sind eine alttürkisch-sprachige Minderheit. Die Muttersprache der Gagausen ist alttürkisch. Sie waren nach Moldau gekommen wie damals auch die deutschen Kolonisten. Sie sind die ehemaligen Janitscharen der osmanischen Armee. Sie wurden nach dem Wehrdienst befreit und hatten sich in der Moldau ein Stück Landfläche ausgesucht. Und weil im Südteil vom damaligen Bessarabien wir genug Landflächen hatten, wurden sie akzeptiert. Sie sind so dankbar dem Zaren des damaligen russischen Reichs, dass sie das Land erhielten, sie waren vom russischen Wehrdienst befreit, sie waren, wenn ich richtig erinnere, 5 oder 7 Jahre von Steuern befreit, damit sie in diesem Gebiet verwurzeln. Und diese Dankbarkeit für die russischen Zaren ist so stark in dieser Bevölkerung verwurzelt, dass sie sich mit der Zeit nicht geändert hat. Und dass – egal, wer regiert in Moskau oder damals in der Hauptstadt Petersburg – die Dankbarkeit bleibt. Dann kommt die Oktoberrevolution, der neue Zar heißt Lenin, diese Dankbarkeit strahlte auch auf Lenin aus.
In der Sowjetunion.
In der Sowjetunion. Deswegen kann man das menschlich verstehen, aber damit muss man arbeiten. Das ist eine Frage von langsamen Erklärungsprozessen und lange Arbeit mit diesen Leuten. Eigentlich haben wir keine Probleme mit Gagausen in diesem Autonomiegebiet, weil sie Bürger der Republik Moldau sind. In erster Linie. Und als Minderheit, als Gagausen haben sie diese Autonomie erhalten, insbesondere mit dem Ziel, Tradition, Sprache und Kultur zu erhalten.
Das ist Teil dieser politischen Problematik, mit der – wie Sie sagen – man arbeiten muss. Die da ist. Das andere, wäre eben die nicht-Autonomie, die Abspaltung der sogenannten Transnistrischen Moldauischen Republik …
Wir nennen es die Transnistrische Region Moldaus.
Sie ist nicht anerkannt, d.h. sie zählt zum Staatsgebiet der Republik Moldau. Da war am Anfang des Krieges eben, der ja auch die Republik Moldau ins Zentrum des Interesses Europas aber auch global gebracht hat, die Frage aufgetaucht, ob von dieser Republik aus Kriegshandlungen u.U. möglich wären, um alles zu erobern, was es zu erobern gibt in der Region. Das hat nicht stattgefunden. Wie würden Sie jetzt die Lage, die ja auch viel mit der Energiesituation zu tun hat, wie würden Sie die Lage dort beschreiben?
Zuerst zu den Gründen, warum diese Abspaltung damals kam 1992 nach unserer Unabhängigkeitserklärung … Also zuerst gehen wir etwas tiefer hinein in die Geschichte. In Sowjetzeiten hatte Moskau die Kernelemente unserer Schwerindustrie genau in diesem Gebiet gebildet. Die politische Führung, die aus Moskau dorthin schon längst vor unserer Unabhängigkeitserklärung geschickt worden war – das war eine typische russische Strategie, aus Moskau als Zentrum Ingenieure, Direktoren von Werken und so weiter und so fort ganz gezielt in die Region oder in die ehemaligen sozialistischen Sowjetrepubliken zu schicken – und nach der Unabhängigkeitserklärung war die Führung über Nacht plötzlich in einem unabhängigen Land. Natürlich sagten sie, nein, nein, nein, wir bleiben, wir möchten gern die UdSSR behalten. Und das klingt für uns etwas komisch, denn die UdSSR gibt es nicht mehr. Und dann wurde von der Seite von Tiraspol, so heißt die Hauptstadt dieser Region, der Druck stärker und stärker und stärker und in einem Moment kommt es zur Gewalt. Dann folgte seit März ‘92 bis Juli ‘92 eine militärische Auseinandersetzung mit vielen Opfern von beiden Seiten. Es sind etwa 1200 Gefallene von beiden Seiten insgesamt.
Die Kämpfe waren brutal…
Genau. Und nach dem Waffenstillstandabkommen von 21. Juli ‘92 hat es keinen Schuss mehr gegeben an dieser Kontrolllinie zwischen der abgespaltenen Region und dem Rest des Landes. Durch das damals unterzeichnete Abkommen zwischen dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin und unserem damaligen Präsidenten Snegur wurden Friedenstruppen installiert und eine Sicherheitszone zwischen der abgetrennten Region und dem Rest des Landes.
Aber: Das ist in keiner Weise vergleichbar mit der Frage in Georgien z.B. mit Abchasien und Südossetien oder Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan. Bei uns gibt es keine religiösen Unterschiede, es ist kein religiöser Konflikt, das ist kein ethnischer Konflikt, das ist ein rein politischer Konflikt, entworfen in Moskau. Mit dem Versuch, Moldau im eigenen Einflussbereich zu halten. Es gab auch einen solchen Versuch in den baltischen Ländern, aber das schaffte Moskau damals nicht, aber den Versuch gab es. Und wenn wir schauen, erfolgreiche Versuche waren Georgien, Moldau und Aserbaidschan-Armenien. Deswegen – viele Experten sagen, die Transnistrienkonfliktlösung sollte die einfachste sein, es fehlen die Komponenten, die stören, Religion, Minderheit usw. Deswegen sagen wir ständig, das ist ein rein politischer, künstlich gemachter Konflikt.
Was inzwischen dort passierte: Es herrscht in dieser Region ein Unternehmen namens Sheriff, das nutzte den Zugang zum Schwarzmeerhafen Odessa für globale Schmugglerei. Und durch die Schmugglerei haben sie viel Geld gewonnen. Warum bis heute dieser Konflikt nicht gelöst ist, kann ich Ihnen sagen… Dieses Unternehmen Sheriff kontrolliert das ganze abgespaltene Gebiet – mit schwarzem Geld kann man viele Politiker einkaufen.
Erstaunlich, dass man in Odessa Geschäfte machen kann während des Krieges …
Vor dem Krieg. Wir sprechen von vor dem Krieg. Mit Ausbruch des Krieges hat natürlich die ukrainische Armee den ukrainischen Teil der transnistrisch-moldauischen Grenze dicht gemacht. So, deswegen scheint die Sache politisch leicht zu lösen zu sein, aber es ist nicht einfach im Verhandlungsprozess. Weil im Verhandlungsprozess haben wir das Format 5+2. Das bedeutet Moldau, OSZE, Russland als Garantieland, Ukraine als zweites Garantieland und Tiraspol. Das sind 5 Verhandlungsmitglieder, +2 das sind Beobachter: Europäische Union und Vereinigte Staaten. Deswegen nennen wir dieses Format 5+2. Alle Verhandlungen laufen durch dieses Format und unseres heutiges Problem in diesem Konfliktlösungsprozess ist, dass nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine natürlich dieses Format nicht mehr verhandlungsfähig ist. Wie Sie sich vorstellen können, sitzt die ukrainische Delegation nicht mehr am selben Tisch mit der russischen Delegation. Aber interessant hat die Leitung oder Führung, die sogenannte politische Führung dieser abgespaltenen Region Moldaus reagiert nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Sie waren sehr zurückhaltend. Sie hatten auch politisch erklärt, öffentlich, dass das transnistrische Gebiet sich nicht in diesen Krieg mischt. Was bedeutet, dass die Jungs in der transnistrischen Region Ruhe brauchen, um weiter Geld zu verdienen. Das ist ein rein wirtschaftliches, finanzielles Interesse.
In dem Fall also ist es ein Vorteil, dass man wirtschaftliche Interessen höher wertet als…
Genau. Unser Problem ist auch dazu, dass auf transnistrischem Gebiet ein riesiges Munitionslager aus UdSSR-Zeiten noch dort geblieben ist, und die illegale Präsenz von russischen Truppen auf unserem Boden in der transnistrischen Region. Ich hatte Ihnen gesagt, dass wir aufgrund dieses Waffenstillstandabkommen im Juli 91 die Friedenstruppen etabliert hatten. Wir haben in der transnistrischen Region Moldaus 1200 russische Soldaten. Fünf oder sechshundert davon sind sogenannter Teil von Friedenstruppen.
500?
Ja, oder 600. Der Rest ist das Wachpersonal, das dieses riesige Munitionslager bewacht, das noch in Transnistrien ist. Warum sage ich riesiges Munitionslager? Weil dort sind bis heute aus verschiedenen Quellen 20 – 25 000 Tonnen Munition gelagert.
Das ist viel.
Das ist viel. Früher waren es fast 60 000, aber im Laufe der Jahre, das war der OSZE-Beschluss von 1999 – OSZE-Gipfel von Istanbul 1999 –, den Jelzin damals unterzeichnet hat, und die Bedingung akzeptierte, eigene Truppen und Munition aus Moldau ordentlich wieder zurück nach Russland zurückzuführen. Und aufgrund dieses Beschlusses war in den nuller Jahren von 2001 bis 2005 oder ‘06 ungefähr in der Tat ein Teil dieser Munition wieder nach Russland gebracht worden, aber trotzdem sind in diesem Lager bis heute sagen wir 25 000 Tonnen schon verschrottete… wahrscheinlich veraltete Munition gelagert.
So. Das ist das andere Thema. Wir streiten uns ständig mit der russischen Delegation, dass dieser Beschluss von damals in Istanbul umzusetzen ist.
Wenn wir zum heutigen Stand der Dinge in der transnistrischen Region meines Landes zurückkehren, sieht man mit bloßem Auge, dass ein reines finanzielles Interesse besteht. Die Jungs versuchen weiter Geld zu machen, Geldwäscherei, alles. Ich erinnere mich, einmal hatten wir beobachtet, was die Jungs machen. Sie importieren nach Transnistrien z.B. Butter. Dann wechseln sie die Verpackung und exportieren es weiter in andere Drittländer, nicht unbedingt EU-Raum, aber Lateinamerika. Und als wir rechneten, wieviel Butter in diese Region kam, stellten wir fest, pro Kopf der Einwohner dort – dort wohnen mehr als 350 000 Einwohner – fünf Kilo Butter pro Kopf inklusive Kinder bis zu einem Jahr alt kam in diese Region in einem Jahr. Oder Zigaretten. Schwarzer Zigarettenmarkt. Ja, sie produzieren soviele Zigaretten, dass ganz Europa bedeckt werden kann mit illegalen Zigaretten aus der transnistrischen Region. Der Schmuggel blüht.
Das wird geschmuggelt und dann weiterverkauft.
Natürlich. Nicht nur meine Regierung, sondern auch die Europäische Union, auch unsere internationalen Partner bemühen sich, diesen Schmuggel zu stoppen und nicht umsonst wurde die sogenannte EUBAM-Mission – EU-Border Assistance Mission – ins Leben gerufen, damit sie die Grenze der Republik Moldau beobachtet, insbesondere im Hinblick auf diese abgespaltene Region.
Man könnte viele Szenarien entwickeln, was ja viel vom Fortgang des Krieges abhängt, die Ukraine, die Republik Moldau …
Natürlich, wir hatten Angst damals am 24. Februar 2022 – und das war in der Tat das Ziel der Russischen Föderation, mit Gewalt die ganze Ukraine vom Schwarzen Meer abzuspalten und diese Landfläche bis nach Moldau zu erobern. Und die Frage war, wo die Russen stoppen. Entweder sie nehmen nur transnistrisches Gebiet meines Landes oder das Ziel wäre sogar meine Hauptstadt.
Natürlich. Das waren die Überlegungen. Man war etwas überrascht oder auch froh dann, dass Transnistrien sich sehr zurück gehalten hat.
Es wurde ja auch sehr viel gelernt im Laufe der konkreten Entwicklung, dass die Dinge oft sehr viel komplizierter sind, als sie nur auf der Landkarte aussehen, weil dort eigentlich gar kein Interesse bestand, die eigenen Aktivitäten, den eigenen Status aufzugeben. Auch nicht für Russland. Aber natürlich überlegt man, wie lange sich so etwas halten kann. Es könnte sehr lange gehen, aber es könnte auch …
Ich gebe Ihnen nur eine einzige Zahl und das sagt alles darüber, wohin sich das Transnistrische Gebiet meines Landes bewegt: Sie exportieren 85% eigene Produktion in den EU-Raum. d.h. sie sind schon wirtschaftlich sehr eng vernetzt mit dem europäischen Binnenmarkt. D.h., es bleibt nur eine politische Entscheidung, um diesen Konflikt zu lösen und mit einer wiedervereinigten Moldau sich in Richtung Beitritt zur Europäischen Union zu bewegen.
Und man verkennt auch, dass dadurch viele einen moldauischen Pass haben.
Ja, 99% von den Leuten, die dort leben, haben die moldauische Staatsangehörigkeit.
Und können dann auch die rumänische haben, d.h. sie sind auch EU-Bürger. Das klingt phantastisch.
Diese Abspaltung bleibt nur in den Köpfen einer kleinen Mannschaft an der Spitze von diesem Gebiet, die streng alles kontrolliert, was passiert, aber bei den einfachen Menschen gibt es keinen Konflikt. Wenn wir z.B. auf einer Brücke über den Dnjestr stehen, dann wären Sie überrascht, morgens zu beobachten, wie Leute mit Autos, Bussen aus transnistrischem Gebiet den Rest des Landes durchqueren zu den Arbeitsplätzen. Sie arbeiten auf dem von der moldauischen Regierung kontrollierten Gebiet. Und abends beobachten Sie wieder, wie sie zurückkehren und dort übernachten. Das zeigt, es gibt keinen Konflikt. Das ist keine echte Grenze wie es z.B. war in Georgien zwischen Südossetien und dem Rest des Landes. Oder Berg-Karabach. Streng bewaffnet und so weiter. Nein, das ist eine transparente, wir nennen es administrative Linie, und die transnistrische Seite nennt es Grenze. Von unserer Seite wird diese Linie beobachtet von einfachen Polizisten und von transnistrischer Seite von Grenzpolizisten.
So etwas kann lange dauern, so wie die Zeiten der DDR auch lange gedauert haben, aber es ist zu klein, es hat auch eine gewisse ökonomische Bedeutung, aber ein Territorium, das kaum leben …
Ich sehe auch keine Chance für dieses Gebiet als Chance für…
Ein Aspekt, der damit zu tun hat und der jetzt wichtig wird, ist die Energiewirtschaft.
Wir waren 100% abhängig vom russischen Gas bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Seitdem haben wir versucht, unsere Gasquellen zu diversifizieren. Und heute kann ich bestätigen, dass wir außerhalb des transnistrischen Gebietes im Rest des Landes nicht mehr abhängig von Gazprom sind. Wir kaufen Gas an den europäischen Börsen und nutzen verschiedene alternative Quellen. Was die transnistrische Region Moldaus betrifft, so haben wir dort bis heute eine große Abhängigkeit von Strom aus transnistrischem Gebiet. Warum? Weil wir in Transnistrien ein großes Stromwerk haben, gebaut noch in UdSSR-Zeiten, das produziert Strom nicht nur für Moldau, sondern auch für drei große Regionen in der Ukraine. Und dieses große Stromwerk war damals gebaut in UdSSR-Zeiten worden mit dem Blick, andere Länder, nämlich Bulgarien, Rumänien und so weiter mit Strom zu versorgen. Da können Sie sich vorstellen, wie groß dieses Stromwerk ist im transnistrischen Gebiet meines Landes. Was passierte danach? Die Russen liefern Gas an dieses Stromwerk kostenlos. Natürlich umsonst für dieses Stromwerk, aber die Rechnung für dieses Gas legen die Russen auf unsere Schulter.
Auf moldauische Schultern?
Auf moldauische Schultern. Ja, und wenn wir schauen auf die Zahl heute, früher waren es ungefähr 8 Milliarden US-Dollar, heute sind es um 12 Milliarden US-Dollar. Die allgemeine Schuld für dieses kostenlose Gas, geliefert an Transnistrien.
Die Schuld der Republik Moldau?
Genau. Für das Gas. Das die Russen liefern an Transnistrien.
Und Transnistrien…
Transnistrien bezahlt nicht, aber die Rechnung davon, versuchen die Russen auf uns zu legen. Und was passiert? Dieses große Stromwerk produziert Strom aufgrund dieses kostenlosen Gas. Und dieser Strom wird günstig für den Rest des Landes angeboten. Wir nehmen diesen Strom, wir bezahlen diesen Strom … das ist eine Menge Geld… und dieses Geld, das wir bezahlen für diesen benutzten Strom, ist die größte Quelle vom Etat, vom Budget für diese abgespaltene Region. Das bedeudet, das ist eine Form von Subsidierung dieser abgespaltenen Region seitens Russlands. Jetzt haben wir ein Problem damit, weil wie Sie wissen, ab 1. Januar 2025 die Ukraine den russischen Gastransit durch die Ukraine stoppt. Deswegen können die Russen nicht mehr Gas pumpen für die transnistrische Region. Und jetzt wollen wir alternative Stromquellen auffinden, um damit Moldau mit Strom zu versorgen außerhalb dieses Stromwerks, das bis heute Moldau mit Strom versorgt hat. Natürlich kommt der Strom von anderen Quellen viel teurer.
Teurer als „umsonst“.
Genau. Und das ist zur Zeit unsere erste Aufgabe. Wir müssen wirklich langfristige Kontrakte haben für die Stromversorgung des Landes. Egal, wieviel das kostet. Hauptsache die Bevölkerung ist mit Strom versorgt.
Natürlich auch ein Faktor, der wieder zu Protesten und so weiter führen kann, wenn der Strom teurer wird.
Die prorussischen Kräfte, die wenige, aber trotzdem noch da sind in der Republik Moldau, versuchen damit zu spekulieren und russische Narrative zu verbreiten in unserer Bevölkerung. Aber Gott sei Dank, wir haben Verständnis auch für die Bevölkerung und ich schätze nicht, dass es zu riesigen Protesten kommt. Die Unzufriedenheit ist da, ja, aber ich hoffe sehr, dass es nicht zu Gewalt kommt.
Gewalt nicht, aber es geht auch um künftige Wahlen und so weiter.
Ja, wir erwarten im dieses Jahr… wir hatten Parlamentswahlen und schauen wir, was für Entscheidungen die Moldauer treffen. Aber egal welche Regierung an die Spitze kommt, sie sollte das Problem lösen.
Aber es ist eine volatile Entwicklung. Es kann in viele Richtungen ausschlagen, es können Dinge passieren wie im Nachbarland Rumänien, die man nicht mehr für möglich hielt. Von denen man auch nicht weiß, wie sie weitergehen. Auf jeden Fall ist die Republik Moldau ins Zentrum all dieser Probleme geraten. Sie hat ja auch sehr großen Zuspruch gefunden, dadurch dass sie Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat.
Das ist ein Grund stolz zu sein für mich, auf meine Landsleute, mit wieviel großem Herz die Moldauer die Flüchtlinge aus der Ukraine von Anfang an aufgenommen haben. Und Sie wissen wahrscheinlich, insgesamt mehr als 1 Million Ukrainer sind durch Moldau Richtung Rumänien und andere EU-Länder gegangen. Bis heute haben wir in Moldau etwas mehr als 100 000 Ukrainer, die geblieben sind, ukrainische Flüchtlinge in Moldau. Interessanterweise hatten kurz vor Ausbruch des Krieges die Vereinten Nationen recherchiert, wieviel Flüchtlinge sich Moldau leisten kann. Und das Ergebnis war: maximal 25 000.
Da ist 1 Million viel. Oder 100 000.
Genau. Mehr als 100 000 sind geblieben und über 1 Million ist durch Moldau geflossen. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Stress war für meine Regierung, das alles zu managen!
Natürlich und, wie Sie sagen, auch die Bevölkerung hat letztlich die Leute aufgenommen.
Ja, … Von Anfang an hatten meine Landsleute die ukrainischen Flüchtlinge in ihre Häuser aufgenommen.
Das meine ich, dass da auch Beziehungen sind. Da kam die Moldau ins Zentrum. EU-Aussenministertreffen, US-Aussenminister, Staatspräsidenten, alle kamen in die Moldau, um sie zu unterstützen.
Weil nach der Ukraine Moldau das am meisten betroffene Land in diesem Krieg ist.
Insofern werden die deutsch-moldauischen Beziehungen eng bleiben müssen.
Sie sind eng und sie werden weiterhin eng bleiben und wir vertiefen das. Das ist meine Aufgabe als Botschafter, alles zu unternehmen, damit diese Beziehung immer tiefer und tiefer wird. Wie gesagt: Geschichtlich waren wir immer zusammen.
Herr Botschafter Ciocoi, vielen Dank für dieses Gespräch.